Spezielle Schmerztherapie oder der "Facharzt zum Blutabnehmen"
Offener Brief des DGSS-Präsidenten an eine Ärztekammer
Köln - 1996 entschied der Deutsche Ärztetag, die Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" einzuführen. Damit sollte die Versorgung von Patienten besonders mit chronischen Schmerzen verbessert werden, da Ärzte weder im Studium noch in ihrer Facharztweiterbildung ausreichend auf die Behandlung solcher Patienten vorbereitet werden. Nicht alle Landesärztekammern haben jedoch diesen Beschluss umgesetzt. Dies kritisierte Professor Dr. Dr. Klaus A. Lehmann, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS), jetzt in einem offenen Brief an eine dieser Ärztekammern.
"Im Bereich Ihrer Ärztekammer wurden inzwischen zwei Versuche unternommen, die Zusatzbezeichnung 'Spezielle Schmerztherapie' ebenso einzuführen wie bereits in 10 anderen Kammern vorher. Beide Versuche waren erfolglos. Die Argumente waren vielfältig, aber zumeist von der Überzeugung getragen, man bräuchte derartige Spezialkenntnisse nicht zu sanktionieren. Weil wir Ärzte sind? Zumindest in einem Kammerbereich war man aufrichtig (oder unbedacht) genug, auch verlauten zu lassen, die Kennzeichnung der Zusatzbezeichnung auf dem Praxisschild könne anderen Kollegen Patienten abziehen - und führte sie wie bei Ihnen gar nicht erst ein." Der DGSS-Präsident appelliert an die betroffene Ärztekammer, ihre Argumentation gegen die Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" noch einmal zu überdenken. Kenntnisse in allgemeiner Schmerztherapie - die Behandlung akuter und einfacher Schmerzen - müssten von jedem Arzt erwartet werden, wobei auch hier die Situation nicht optimal sei. Für die spezielle Schmerztherapie, d.h. die Behandlung von Patienten, bei denen der Schmerz seine physiologische Warnfunktion verloren hat und zu einem eigenständigen Krankheitsbild geworden ist, würden jedoch Spezialkenntnisse benötigt, die sich nicht nur in einigen Wochenendkursen erwerben ließen.
In der Geschäftsstelle der DGSS, so berichtet Professor Lehmann, gehen fast täglich Hilferufe ein von Patienten, die unter ihren anhaltenden Schmerzzuständen leiden, oder von Angehörigen, die das Leiden ihrer schmerzgeplagten Verwandten oder Freunde kaum noch aushalten können. In der Regel haben die Kranken dann bereits eine längere und erfolglose Behandlungszeit hinter sich - obwohl es heute sehr häufig wirksame Behandlungen für sie gibt. Die Kenntnisse darüber sind jedoch viel zu wenig verbreitet.
Eine Ende der 80er Jahre von der Bundesregierung geförderte Expertise zur Situation chronischer Schmerzpatienten in Deutschland ging von mindestens 5 Millionen Patienten mit chronischen Schmerzen aus. Davon litten mindestens 600.000 unter so genannten problematischen Schmerzen, die zumeist fälschlicherweise als "therapieresistent" eingestuft würden. Nach internationalen Empfehlungen benötigten diese Patienten eine interdisziplinär organisierte Therapie durch Ärzte mit besonderen Kenntnissen. Diese Kenntnisse aber sind dem Arzt nicht mit dem Sprechen des hippokratischen Eides eingegeben, er muss sie erwerben und nachweisen. Dafür soll er die Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" erhalten.
Die Befürchtung, dass damit Selbstverständliches mit einem zusätzlichen - überflüssigen - Etikett versehen würde, ist angesichts der desolaten Situation von Patienten mit chronischen Schmerzen nicht nachzuvollziehen, so der Präsident der DGSS: "Und eine letzte Frage, speziell an Sie, verehrte Kollegin, die bei der letzten Abstimmung in der Kammerversammlung argwöhnte, wenn man die 'Spezielle Schmerztherapie' einführe, stünde als nächstes der Facharzt zum Blutabnehmen zur Diskussion: Glauben Sie inzwischen nicht vielleicht auch, dass derartige Überlegungen ein bisschen an der Realität vorbeigehen?"
Den vollständigen Text des Briefes können Sie bei der Geschäftsstelle der DGSS unter der Telefonnummer 0221/478-6686, der Fax-Nummer 0221-478-6688 oder der E-Mail-Adresse dgss@uni-koeln.de bestellen oder als PDF-Datei unter der URL: http://www.medizin.uni-koeln.de/projekte/dgss/
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Für Rückfragen steht Ihnen Professor Dr. Dr. Klaus A. Lehmann ab dem 30. Juli unter der Telefonnummer 0221/478-6686, der Fax-Nummer 0221/478-6116 und der E-Mail-Adresse klaus.lehmann@uni-koeln.de zur Verfügung.
Weitere Informationen:
http://www.medizin.uni-koeln.de/projekte/dgss/