Unternehmen an der deutsch-polnischen Grenze
Unternehmen an der deutsch-polnischen Grenze: zwischen Expansionshoffnungen und Rückzug
Im Vorfeld der EU-Osterweiterung wächst die Ver-unsicherung bei den wirtschaftlichen Akteuren im deutsch-polnischen Grenzraum. Diese Entwicklung verwundert den unbeteiligten Beobachter, der noch vor wenigen Monaten zuversichtliche Stellungnah-men von Lokal-, Landes- und Bundespolitikern konstatieren konnte. In den 90er-Jahren war in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass grenz-überschreitende Verflechtungsprozesse, die auf der Ebene der politischen Organisationen zustande ge-kommen waren, auch die Wirtschaft positiv stimmen und zu eigenen Kooperationsbemühungen veranlas-sen könnten. Dieser Eindruck verliert sich spätestens zur Jahrtausendwende. Symbolische politische Handlungen der Grenzüberschreitung haben ökono-mische Formen der Zusammenarbeit und des Infor-mationsaustausches offenbar kaum berührt. Unter-nehmens-Kooperationen über die Grenze hinweg kommen trotz punktueller Unterstützung durch die brandenburgische Landesregierung meist nur müh-sam zustande.
Es handelt sich um eine mehrfache Verunsicherung:
1. Einschätzungen der künftigen Wirtschaftsent-wicklung der Grenzregion durch lokale Unter-nehmen pendeln zwischen den Extremen "Grenzregion als bevorzugter Kontakt- und Entwicklungsraum zwischen älteren und neuen EU-Mitgliedsregionen" und "Grenzregion als Schrumpfungsraum und neue Peripherie".
2. Auf der Ebene betriebswirtschaftlicher Kalküle werden Verschlechterungen der gegenwärtigen Wettbewerbssituation durch die zunehmend kri-senhafte Entwicklung der Wirtschaft im Grenz-raum erwartet. Zudem werden neue Konkurren-zen durch polnische und andere ostmitteleuro-päische Unternehmen befürchtet.
3. Auf der soziokulturellen Nahraumebene werden die Einbettung der Unternehmer in lokale Milie-us und die Verwicklung von Unternehmen in lo-kale Spreizungsprozesse zu einem zunehmenden Moment der Verunsicherung.
Auf der Basis einer lokalen Fallstudie (der deutsch-polnischen Doppelstadt Guben-Gubin) werden Mi-lieubezüge und die alltäglichen Umfelder grenzüber-schreitender Kooperationstätigkeiten ökonomischer Akteure im Grenzraum diskutiert. Zudem wird die Frage nach Institutionalisierungsprozessen gestellt, die aus den jeweiligen Milieubezügen erwachsen. Die folgenden Ergebnisse werden zur Diskussion gestellt:
- Entgegen landläufigen Annahmen hilft eine Ver-ankerung in lokalen sozialen Milieus und Poli-tiknetzwerken den Unternehmern nicht entschei-dend dabei, stabile Orientierungen und grenz-überschreitende Handlungsperspektiven zu ge-winnen. Grenzüberschreitende Kooperationen werden bislang eher von denjenigen realisiert, die nur einen lockeren Milieubezug haben oder in globalen Zusammenhängen agieren, die die Region selbst kaum berühren.
- Kennzeichnend für die Situation in der Grenzre-gion sind Spreizungen zwischen der Ebene der Kommunalpolitik und dem lokalen Unterneh-mertum. Während lokale Politiker eine symboli-sche Politik im Dienste der europäischen Eini-gung und der deutsch-polnischen Verständigung praktizieren, fühlen sich viele Unternehmer mit ihren Bemühungen allein gelassen und wenden sich von der Lokalpolitik ab. Ihre Ansprechpart-ner suchen sie häufig eher in politischen Akteu-ren und Verbänden außerhalb der Grenzregion und in der Landespolitik.
- Findet eine intensive Einbettung von Unterneh-men in lokale Milieus und Politiknetzwerke statt, so geht sie oft mit Abschottungstendenzen ge-genüber der polnischen Seite einher. Der sog. Lokalismus, d.h. eine auf den Ort bezogene, bo-denständige Orientierung der Akteure, die in an-deren regionalen Entwicklungszusammenhängen
eine ausgesprochen positive endogene Ressource darstellt, wirkt sich in der deutsch-polnischen Grenzregion eher kontraproduktiv aus: Hier wird allenfalls die Förderung des deutschen Teils der Grenzregion, nicht jedoch einer neuen grenz-überschreitenden Region angestrebt.
- Dennoch herrschen in dem weit verbreiteten "EU-Einigungsskeptizismus" der lokalen Klein-unternehmer und -händler nicht ausschließlich negative Einschätzungen vor. In der Regel ver-mischen sich Konkurrenzängste mit vagen Ent-wicklungshoffnungen. Eine Taktik des vorsichti-gen Abwartens bei latent vorhandener Abwande-rungsbereitschaft dürfte auch für die kommenden Jahre kennzeichnend sein.
- Aufgrund ausbleibender Erfolge der politischen Stützungsversuche für grenzüberschreitende Kontaktaufnahmen und Kooperationen bleibt die Kooperationsszenerie von wenigen, isoliert ope-rierenden Einzelunternehmern mit z.T. langjäh-rigen Erfahrungen und großem persönlichen En-gagement geprägt. Ein schnelles Zusammen-wachsen der Regionen beiderseits der Grenze, gar unter Beteiligung von neuen, belastbaren Kooperationsnetzwerken, ist derzeit kaum ab-sehbar.
- Umso wichtiger ist es, lokale Handlungsansätze unter dem Vorzeichen der "Lernenden Region" zu entwickeln, die die beschriebenen Abschot-tungen auflockern und neue Verständigungswe-ge zwischen den Akteuren erschließen.
Erkner bei Berlin
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