Podiumsdiskussion: TV-Serie und Buch zu Nazikarrieren nach 1945
Auf der öffentlichen Veranstaltung "Zwischen Quote und Katheder - über die Möglichkeit der Historie zur Prime Time" (Dienstag, 5. Februar 2002, HMA 20) erläutern und diskutieren Studierende und Wissenschaftler ihre Recherchen für das Buch "Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945".
Bochum, 31.01.2002
Nr. 34
ARD serviert Historisches zur Prime Time
Bochumer Studenten erforschten Nazi-Karrieren nach 1945
Podiumsdiskussion zu RUB-Buch und ARD-Geschichtsserie
Fast bruchlos ging es mit der Karriere nach 1945 weiter - bei Ärzten, Unternehmern, Juristen, Militärs und Journalisten, ja selbst bei manchem hohen Nazifunktionär. Auf der öffentlichen Veranstaltung "Zwischen Quote und Katheder - über die Möglichkeit der Historie zur Prime Time" (Dienstag, 5. Februar 2002, HMA 20) erläutern und diskutieren Studierende und Wissenschaftler ihre Recherchen für das Buch "Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945", das unter der Leitung von Prof. Dr. Norbert Frei (Neuere und Neueste Geschichte, RUB) entstanden ist. Das Buch war gleichzeitig Quelle der gleichnamigen Serie in der ARD ab April. Die Öffentlichkeit ist herzlich eingeladen.
Geschichtsunterricht zur besten Sendezeit
Ob und wie sich historische Fakten in eine Fernsehserie packen lassen, die zur allerbesten Sendezeit laufen soll, darüber diskutieren die Buchautoren Norbert Frei, Tobias Freimüller, Florian Melchert, Marc von Miquel, Tim Schanetzky, Jens Scholten und Matthias Weiß und Dr. Thomas Fischer (Südwest Rundfunk - SWR). Kurze Statements bringen Gerhard Möller (Kanzler der RUB), und Thomas Carl Schwoerer (Campus Verlag).
Mediziner, Juristen ...
Fünf Berufsgruppen standen im Brennpunkt des Interesses von Bochumer Geschichtsstudenten. Sie zeigen, wie einfach es auch für hohe Nazifunktionsträger war, nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland wieder Fuß zu fassen. KZ-Ärzte, Nazi-Richter, Arisierungsgewinner, Propagandaredakteure und Wehrmachtsgeneräle lenkten jahrzehntelang die Geschicke der jungen Demokratie: schlimmstenfalls als Minister, als Ministerpräsident, als Bundesrichter etc. Einige übernahmen die neuen Wertvorstellungen, andere behielten ihre alten Ansichten bei. Letzteres gilt für viele Mediziner, die Tobias Freimüller unter die Lupe nimmt. Menschenversuche, Euthanasie und Rassenlehre bestimmten die Nazi-Wissenschaft, die verantwortlichen Mediziner forschten nach 1945 oft unbehelligt weiter. Auch deshalb, weil diejenigen, die es hätten verhindern können, selbst genug Dreck am Stecken hatten: andere Mediziner, Juristen, Journalisten. Gerade bei Medizinern und Juristen verhinderte zudem das Standesdenken ein Anklagen von Berufsgenossen. So unterblieb das (gerichtliche) Verurteilen insbesondere unter Juristen weitgehend, wie der Beitrag von Marc von Miquel zeigt. Die Juristen machten es sich einfach: Eine Verurteilung zum Tode wegen eines kleinen Diebstahls entsprach exakt dem NS-Recht - der seinerzeit urteilende Richter kann dafür nicht nachträglich belangt werden.
... Journalisten, Militärs und Unternehmer
Kontinuitäten gab es auch im Journalismus. Wer bis 1945 noch für "Das Reich" Propaganda- und Hetzartikel schrieb, fand nach 1945 ohne Probleme beim "Stern" (Henri Nannen) oder in der "ARD" (Werner Hofer) eine neue Beschäftigung - viele solcher Karrieren benennt Matthias Weiß. Zu erwarten waren diese Muster beim Militär (untersucht von Jens Scholten). Nach zehn armeelosen Jahren meldeten sich die alten Hasen von Ost- und Westfront zackig zum Dienst, als es galt, die neue Bundeswehr aufzubauen; wer bereits tot war, nach dem wurde eine Kaserne benannt. Ebenso stetig verliefen die Lebensläufe der deutschen Unternehmer (von Tim Schanetz-ky analysiert): einmal Industriekapitän, immer Industriekapitän oder Oberbanker oder - Kanzlerberater.
Volle Konzentration aufs Wirtschaftswunder
Dass diese Karrieren in solcher Vielzahl möglich waren, hatte einen recht banalen Hintergrund: Die deutsche Gesellschaft beschäftigte sich in den 50er- und 60er-Jahren lieber mit dem Wirtschaftswunder als mit der jüngsten Vergangenheit. Eine Wende leiteten die Studentenproteste Ende der 60er-Jahre ein, mit denen die ernsthafte Vergangenheitsbewältigung einsetzte - die andauert, wie Wehrmachtsausstellung und Zwangsarbeiterentschädigung beweisen. Diese und ähnliche Aspekte beleuchtet der resümierende Aufsatz von Norbert Frei.
Titelaufnahme
Norbert Frei (Hg.): "Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945". Campus Verlag, 370 S. 25,50 Euro
Weitere Informationen
Prof. Dr. Norbert Frei, Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-22540, Fax: 0234/32-14414
Korrekturen
31.01.2002 00:00
Bitte beachten Sie: Die Veranstaltung findet von 14 bis 16 Uhr statt.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Josef König