Gewerkschaften nur erfolgreich mit wirtschaftlicher Kompetenz
Ver.di und IG Metall proben neue Netzwerkstrukturen in der IT-Branche
Nur mit wirtschaftlicher Kompetenz und neuen Organisationsstrukturen können die Gewerkschaften langfristig auch in den neuen Dienstleistungsberufen der IT-Branche Fuß fassen. ,,Mit Projekt- und Netzwerkstrukturen können die IT-Beschäftigten we-sentlich effektiver und zielgruppenspezifischer betreut werden als mit klassischen, hierarchischen Gewerkschaftsorganisationen,'' so Karin Töpsch und Raphael Menez in ihrer aktuellen Studie ,,Arbeitsregulation in der IT-Branche - Organisationsbedarf und Organisationsfähigkeit aus gewerkschaftlicher Sicht'', die sie im Auftrag der TA-Akademie verfasst haben.*
Insgesamt würden die Gewerkschaften von vielen Betriebsräten und Beschäftigten im IT-Bereich vorwiegend als Dienstleister begriffen. ,,Solidarität als Teil eines gewerk-schaftlichen Wertespektrums ist für die IT-Beschäftigten von eher untergeordneter Bedeutung. Gewerkschaftliche Gegenmacht muss heute auf wirtschaftlicher Kompe-tenz basieren'', sagt Raphael Menez. ,,Sie kann auf Dauer nur funktionieren, wenn Be-triebsratsspitze und Gewerkschaft sich kompetent in eine Konzernpolitik einmischen können.'' Auch die neuen Projekt- und Netzwerkstrukturen seien nur dann erfolgreich, wenn sie an den jeweils spezifischen arbeitsplatzbezogenen Bedürfnissen der IT-Beschäftigten orientiert seien. Die Autoren verweisen dabei auf das Projekt con-nexx.av, mit dem die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di derzeit an fünf Standorten mit insgesamt 15 Mitarbeitern versucht, im Medien- und Filmbereich gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen. connexx.av versucht, die Beschäftigten und Betriebsräte untereinander stark zu vernetzen, so Menez. ,,Es gibt regelmäßige Treffen im bundesweiten Team, in dem dann auch eine Abstimmung der einzelnen Aktivitäten in den Branchen und Unternehmen stattfindet.''
Mittlerweile sei die Kontaktaufnahme zur Gewerkschaft weniger eine politische Willensbekundung als Resultat eines individuellen Kosten-Nutzen-Kalküls. ,,Wird die Dienstleistung, die eine Gewerkschaft anzubieten hat, höher eingeschätzt als die Kosten, die eine Mitgliedschaft mit sich bringt, fällt die Entscheidung positiv aus'' haben die Autoren in zahlreichen Interviews mit Gewerkschaftern erfahren. So konnte die IG-Metall etwa bei der Firma Siemens deshalb Mitgliederzuwächse in größerem Umfang verzeichnen, weil Tausende von Stellen in der Netzwerksparte und im Bereich industrielle Dienstleistungen bedroht waren und den Beschäftigten ab dem Tag ihres Eintritts in die Gewerkschaft wirksamer Rechtsschutz in Aussicht gestellt wurde. ,,In immer mehr Unternehmen der IT-Branche gibt es mittlerweile Betriebsräte'', sagt Karin Töpsch. Dies sei vor allem eine Auswirkung der Krise in der New Economy.
Als Barriere für die gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten in den modernen Dienstleistungsberufen wirke sich allerdings die Konkurrenz zwischen den Ge-werkschaftsriesen IG-Metall und Ver.di in einzelnen Unternehmen aus. Beide lehnen es jedoch weiterhin ab, differenzierte Angebote nach dem Versicherungsprinzip zu machen bzw. gestaffelte Mitgliedsbeiträge anzubieten, etwa für Unternehmen mit und ohne Tarifbindung. ,,Wir sind nicht der ADAC der Arbeitnehmerschaft und keine Versicherung, sondern eine politische Organisation, der es darum geht, politisch etwas zu verändern'', zitiert die Studie einen interviewten Gewerkschaftsfunktionär.
Dennoch will auch die IG-Metall ihr in der Öffentlichkeit nach wie vor vorherrschendes Image einer Interessensvertretung der "Old Economy" (Automobil-, Maschinen-bau und Stahl) loswerden und plant u.a. die Einrichtung einer Karriereberatung. Damit sollen die IT-Beschäftigten bei der Suche nach geeigneten Fortbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten unterstützt werden.
Ansprechpartner: Stefanie Springer, Tel: 0711/9063-191 E-Mail: stefanie.springer@ta-akademie.de
Dr. Birgit Spaeth, Tel: 0711/9063-226
E-Mail: birgit.spaeth@ta-akademie.de.
* Raphael Menez, Karin Töpsch: "Arbeitsregulation in der IT-Branche - Organisationsbedarf und Orga-nisationsfähigkeit aus gewerkschaftlicher Sicht". Arbeitsbericht Nr. 231 der TA-Akademie, März 2003. Zu beziehen als Download im Internet unter www.ta-akademie.de.