Risikokommission fordert ein Ende der Zersplitterung, mehr Effizienz und Transparenz
Risiken für Umwelt und Gesundheit:Eine klare Trennung zwischen wissenschaftlicher Analyse und politischer Bewertung, eine einheitliche und transparente Vorgehensweise bei der Abschätzung wie beim Management von Risiken, mehr Aufmerksamkeit für Kommunikation und Beteiligung der Öffentlichkeit sowie die Errichtung eines koordinierenden Risikorates sind vier Kernforderungen eines 10-Punkte-Programms zur Reform der Regulierungspraxis für umweltbezogene Gesundheitsrisiken.
Dieses Programm ist zentraler Bestandteil des Abschlussberichtes der von der Bundesregierung eingesetzten Risikokommission, die am 3. und 4. Dezember 2003 im Hotel Van der Valk in Berlin die Empfehlungen mit Vertretern von Politik, Behörden, Wirtschaft und allgemeiner Öffentlichkeit diskutieren wird. Grund für die Einsetzung der Kommission im Jahre 2000 war der von vielen Beobachtern beklagte widersprüchliche und häufig nicht nachvollziehbare Umgang mit umweltbezogenen Gesundheitsrisiken in Deutschland. Gleichartige Risiken werden bislang oft unterschiedlich beurteilt je nachdem, in welchem Medium (etwa Wasser oder Luft) oder in welchem Kontext (am Arbeitsplatz oder in der (Wohn)Umwelt) sie auftreten. Dazu kommen Inkonsistenzen und mangelnde Abstimmung zwischen den Gremien. Diese Situation behindert eine effektive Risikoregulierung und führt darüber hinaus zu Vertrauensver-lusten gegenüber den dafür zuständigen Behörden und Gremien.
Auch die jüngsten Skandale im Themenbereich "Umwelt und Gesundheit", wie etwa BSE in Rindfleisch und PCB in Schulen, haben nach Ansicht des Vorsitzenden der Kommission, dem Stuttgarter Professor Ortwin Renn, deutlich gezeigt, dass auch in Deutschland in dieser Frage erheblicher Reformbedarf besteht. Um diesem Zustand abzuhelfen, hat die Kommission Vorschläge erarbeitet, die in einem 10-Punkte Programm zusammengefasst wurden.
1. Mehr Effektivität durch Harmonisierung
Ein wesentlicher Eckpfeiler der Empfehlungen betrifft die Harmonisierung von Verfahren zur Abschätzung von Risiken und zur Bewertung von risikoreduzierenden Maßnahmen. Vor allem drängt die Kommission auf eine stärker wissenschaftlich abgestützte Form der bilanzierenden Bewertung von Maßnahmen zur Risikoreduzierung. Die Kommission hat bereits erste Schritte auf dem Weg zu einheitlichen Richtlinien unternommen. So hat sie neben dem Abschlussbericht je einen Leitfaden für Risikoabschätzung und Risikomanagement sowie eine Anleitung für die so genannten Vorverfahren (bestehend aus Schutzzielbestimmung, Frühwarnung, Prioritätensetzung und Entscheidung über die weitere Verfahrensweise) ausgearbeitet. Gleichzeitig hat sie der Bundesregierung weitere Maßnahmen für eine intensivere Harmonisierung von Umwelt- und Gesundheitsstandards im Europäischen und internationalem Maßstab empfohlen. "Obgleich die EU immer mehr Zuständigkeiten im Regulierungsprozess erhält", so der stellvertretende Vorsitzende der Kommission, Prof. Andreas Kappos aus Hamburg, "verbleibt dennoch ein durchaus gestaltungsbedürftiger Spielraum für die deutschen Behörden. Zudem geht es in dieser Frage auch darum, bewährte Verfahren und Leitlinien aus Deutschland in den europäischen Kontext einzubringen und durch entsprechende Beteiligung der Öffentlichkeit zu legitimieren."
2. Koordinierung durch Risikorat
Kernstück der institutionellen Reformvorschläge im Rahmen des 10-Punkte Programms ist die Einrichtung eines zentralen Risikorates. Dieser Rat soll umweltmedien- und kontextübergreifend Leitlinien für den Umgang mit Risiken entwerfen und weiterentwickeln, im Vorfeld der Risikoregulierung ein Frühwarnsystem organisieren, Qualitätssicherung bei der Risikoabschätzung sicherstellen und die Verhandlungsführung bei öffentlich kontrovers geführten Bewertungsdebatten übernehmen. Der Risikorat soll das Recht und die Pflicht haben, die Bevölkerung über besondere Gesundheits- und Umweltgefahren zu informieren. Nach Vorstellung der Kommission sollte sich der Risikorat aus national und international anerkannten Expertinnen und Experten aller risikorelevanten Disziplinen zusammensetzen und auf Zeit von der Bundesregierung berufen werden. Von der Einrichtung des Risikorates verspricht sich die Kommission auch Effizienzgewinne und eine Verschlan-kung der jetzt bestehenden Vielfalt an Gremien zur Regulierung von Risiken.
3. Legitimation durch Kommunikation und Beteiligung
Besonderen Wert hat die Risikokommission auf die Frage der Kommunikation und Beteiligung der Öffentlichkeit gelegt. Risikokommunikation ist nach Auffassung der Kommission ein integraler Bestandteil des gesamten Regulierungsprozesses, der in der Vorphase der Regulierung beginnt und mit der Umsetzung der Maßnahmen endet. Alle Anstrengungen der Risikokommunikation sollten frühzeitig, umfassend und auf die Anliegen der Betroffenen bezogen sein. Ebenso spricht sich die Kommission für eine angemessene Beteiligung gesellschaftlicher Akteure an der Entscheidungsfindung aus, da die Definition des Schutzziels, die Festlegung von Kon-ventionen bei der Abschätzung sowie der Auswahl und Abwägung risikoreduzie-render Maßnahmen von gesellschaftlichen und politischen Zielsetzungen bestimmt werden. Im Abschlussbericht ist dazu ein gestaffeltes Verfahren von der Einbeziehung externer Experten bis zur Mitwirkung der allgemeinen Öffentlichkeit entwickelt worden. "Durch mehr Beteiligung und Dialog", so der Vorsitzende Ortwin Renn aus Stuttgart, "soll allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, auf der Basis der Kenntnis der faktisch nachweisbaren Auswirkungen, der verbleibenden Unsicherheiten und der vertretbaren Interpretations-spielräume eine persönliche Beurteilung der jeweiligen Risiken vorzunehmen." Dieses Ziel hat die Kommission als "Risikomündigkeit" bezeichnet.
4. Impuls für weitere Debatten
Das 10-Punkte Programm, der etwa 80seitige Abschlussbericht und die weit über hundert Seiten umfassenden Anhänge und Leitlinien hat die Risikokommission in knapp drei Jahren ausgearbeitet. Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit werden einem größeren internationalen Fachpublikum in Brüssel am 25. Juni im Rahmen des Welt-Risiko-Kongresses vorgestellt. Eine intensive Debatte über die Empfehlungen ist auch in Deutschland geplant, unter anderem mit einer Konferenz im Herbst diesen Jahres.
Die Risikokommission besteht aus 19 ausgewiesenen Expertinnen und Experten, die über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Beurteilung und Regulierung von Risiken auf der Basis natur-, gesellschafts- oder rechtswissenschaftlicher Erkenntnisse und interdisziplinären Wissens verfügen. Die Mitglieder der Kommission sind in der Anlage aufgeführt. Mit der Übergabe des Abschlussberichtes endet offiziell die Amtszeit der Kommission.
Mitglieder der Risikokommission
(Stand: Juni 2003)
Vorstand:
Prof. Dr. Ortwin Renn, Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Vorsitzender
Prof. Dr. Dr. Andreas Kappos, Behörde für Umwelt und Gesundheit Hamburg; Stellv.Vorsitzender
Mitglieder:
Dr. Dieter Arnold, Ehemals Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
Dr. Bettina Brohmann, Öko-Institut e.V., Bereich Energie & Klimaschutz
Prof. Dr. Monika Böhm, Philipps-Universität Marburg, Institut für Öffentliches Recht
Prof. Dr. Dr. Gisela H. Degen,Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund
Dr. Dieter Eis, Robert Koch-Institut
Prof. Dr. Dr. Heinz-Peter Gelbke,BASF AG
Dr. Thomas Holtmann, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Abt. Umweltpolitik
Dr. Thomas Jung, Bundesamt für Strahlenschutz, Fachbereich Strahlenschutz und Gesundheit
Dr. Fritz Kalberlah, Forschungs- u. Beratungsinstitut Gefahrstoffe GmbH
Dr. Eckehard Koch, Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW
Dr. Fritz Kochan,Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Dr. Dorothea Köster, Interdisziplinäre Gesellschaft für Umweltmedizin e.V. (IGUMED)
Prof. Dr. Wilfried Kühling,Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Inst. für Geographie
Dr. Dietrich Rosenkranz, Umweltbundesamt
Prof. Dr. Arnim von Gleich, Universität Bremen, Fachbereich Produktionstechnik
Prof. Dr. Gerd Winter,Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaften
Dr. Jürgen Wuthe,Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg
ViSdP
Karin Borkhart
Helmut Jahraus
Geschäftsstelle der
Risikokommission
c/o
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