Ein Pisa für die akademische Ausbildung? - Wider die Googleisierung von Wissenschaft und Ausbildung
Das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft sieht in der vorgesehenen Urheberrechtsanpassung für Wissenschaft und Ausbildung große Gefahren - nicht zuletzt aber auch für die Informationswirtschaft selber.
Durch den am 29. September vorgelegten Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Reformierung des Urheberrechts werden zwar einige vorderhand positiv aussehende Regelungen für die Bereiche Bildung und Wissenschaft vorgeschlagen, diese aber zugleich wieder so eingeschränkt, dass sie ihre Wirkung verlieren. Nach einer ersten Analyse des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft besteht, wie schon durch die erste Anpassung im letzten Jahr, die große Gefahr, dass die Funktionsfähigkeit von Wissenschaft und Ausbildung durch Reglementierungen stark eingeschränkt wird, die der Praxis elektronischer Umgebung nicht Rechnung trägt.
Vor allem die geplante Neuregelungen der §§ 52b und 53a werden in Wissenschaft und Ausbildung beim Umgang mit Wissen und Information ein Klima des Misstrauens und der Verknappung entstehen lassen.
Nur einige wenige Beispiele:
Der vor gut einem Jahr eingerichtete §52a, der Wissenschaft und Ausbildung in sehr begrenztem Umfang eine Nutzung auch elektronischer, urheberrechtsgeschützter Materialien zusicherte, wird - geschieht nichts - seine Gültigkeit zum 31.12.2006 verlieren, bevor eine repräsentative Auswertung der Folgen dieses Paragraphen möglich ist. Die Forderung nach Streichung - zumindest nach Verlängerung der Befristung - blieb im Referentenentwurf unberücksichtigt.
In §52b klingt es zunächst positiv, dass die Bibliotheken nun auch elektronische Materialien und zwar "an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich" machen dürfen. Vielleicht wollte das BMJ Bildung und Wissenschaft sogar entgegenkommen, aber die Rücksichtsnahme auf die Sorgen der Informationswirtschaft hat dann doch überwogen, indem § 52b, Satz 2, des UrhG-Entwurfs bestimmt, dass nicht mehr Exemplare eines Werkes zugänglich gemacht werden dürfen, als im Bestand der Bibliothek vorhanden sind. Wie soll eine Bibliothek gegenüber den wartenden Nutzern begründen, dass sie trotz 10 vorhandener Terminals einen Artikel oder ein Buch gleichzeitig nur an zwei Terminals zugänglich machen darf, weil nur zwei Exemplare durch die Bibliothek angeschafft wurden? Der Vorteil der elektronischen Zugänglichmachung wird so ad absurdum geführt und es drängt sich angesichts dessen die Frage auf, wie sich die zusätzliche Vergütung an die Urheber rechtfertigen kann, da das "neue" Recht überhaupt keinen neuen Sachverhalt darstellt, sondern lediglich den Besitzstand abbildet.
Besonders realitätsfern ist der neue §53a. Der Service der Dokumentlieferung wird auf klassische Formen wie Post oder Fax begrenzt. Die unökonomischen Medienbrüche sind vorprogrammiert - soll ein Wissenschaftler tatsächlich in der Zukunft Daten oder wichtige Textpassagen wieder abtippen müssen, wenn er sie in seiner Arbeit verwenden will? Was geschieht in der Zukunft, wenn immer mehr temporale Daten (Simulationen, Videos, Animationen etc.) im elektronischen Material vorhanden sind - wie soll das über Post oder Fax vermittelt werden?. Elektronische Dokumentversorgung darf nur dann noch sein, wenn die Anbieter des Marktes (sprich die Verlage) nicht selber ein Angebot bereitstellen. Auch dann nicht, wenn die Bibliotheken Kopien auf Einzelbestellung als Faksimile herstellen und die Nutzung der Kopien ausschließlich analog erfolgt. Das klingt marktkonform harmlos, ist aber schlicht eine Katastrophe.
Leistungen wie der erfolgreiche "subito-Dienst" müssten aus den Bibliotheken verschwinden. Nicht mehr ca. 5 Euro sollen Wissenschaftler oder Studierende pro Artikel bezahlen, sondern 20 Euro und mehr für die Angebote der Elsevier, Springer etc. - wo bleiben die Studierenden?
Eine Zweiklassengesellschaft droht in der Wissenschaft zu entstehen, zwischen denen, die dank ihrer direkten Wirtschaftsrelevanz bezahlen können und denen, die das nicht können. Und Studierende wäre mehr als heute schon auf das Internet angewiesen, in dem aber die wissenschaftliche Information nur zum Teil erhältlich ist. Eine Googlerisierung der Ausbildung droht, wenn Bibliotheken nicht mehr für die Informationsversorgung mit elektronischen urheberrechtsgeschützten Materialien zuständig sein sollen. Ist wirklich das Pisa für die akademische Ausbildung geplant?
Genug der Beispiele. Das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft wird eine detaillierte Stellungnahme zum Referentenentwurf vorlegen. Die Tendenz ist aber klar:
Die einschränkenden Formulierungen des Referentenentwurfs sind zweifellos auf das Lobbying der Verlagswirtschaft zurückzuführen. Dies sind keine positiven Schranken, sondern Restriktionen. Das Aktionsbündnis appelliert an die Wirtschaft, den Bogen nicht zugunsten kurzfristiger kommerzieller Erfolge zu überspannen. Wissenschaft und Ausbildung wollen keinen "Informationskrieg" mit den Verlagen, sondern sehen sie weiter als Partner - aber dann müssen die Partner auch eine faire Balance einhalten. Dies ist zur Zeit bedroht. Freier und bezahlbarer Zugang zu Wissen ist auch ein Erfordernis für den Erfolg der wissenschaftlichen Verlage, da er ohne wissenschaftliche Autoren undenkbar ist. Unverkannt bleibt bislang, dass faire Ausnahmen im Interesse von Bildung und Wissenschaft unmittelbare Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland haben.
Wissenschaft und Bildung sind keine Bittsteller, sondern es entspricht der gesellschaftlichen Verantwortung, wenn über eine entsprechende Ausgestaltung der Schrankenregelungen eine ausreichende Informationsversorgung gewährleistet wird. So wie jetzt vorgesehen, darf der Gesetzesentwurf nicht Realität werden.
Das Aktionsbündnis, unterstützt von vielen Wissenschaftsorganisationen und Verbänden sowie einzelnen Personen, appelliert an die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern und in den Parlamenten sich dafür einzusetzen,
- den verhängnisvollen Trend der Informationsverknappung in Wissenschaft und Bildung zu stoppen
- die Entstehung einer Zweiklassengesellschaft in Wissenschaft und Bildung in diejenigen, die die oft hochpreisigen Angebote der Verlagswirtschaft bezahlen können, und diejenigen, die das nicht können, die Studierenden eingeschlossen, zu verhindern
- die Befristung des § 52a in § 137k UrhG auf den 31.12.2008 zu terminieren und eine Evaluierung in den Jahren 2005 und 2007 einzufordern, da der bisherige Termin 31.12.2006 für eine zuverlässige Bewertung zu knapp gewählt wurde.
- Regelungen für den Umgang mit Wissen und Information zu finden, die den Potenzialen elektronischer Umgebungen Rechungen tragen und nicht Privilegien und Monopolansprüche aus der analogen Welt fortschreiben
Das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft vertritt die Interessen von derzeit mehr als 40 Wissenschafts- und Ausbildungsinstitutionen. Das Bündnis steht für weitere Auskunft und Interviews bereit.
Ansprechperson - der Sprecher des Aktionsbündnis:
Dr. Hartmut Simon
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