Zukunft eines der bedeutendsten Werke historischer Grundlagenforschung gesichert
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen übernimmt das Forschungsprojekt "Germania Sacra" vom Göttinger MPI für Geschichte und setzt neue Schwerpunkte
Von dem ehemaligen Franziskanerkloster in Gandersheim steht keine einzige Mauer mehr. Dennoch gibt es eine Möglichkeit, diese kirchliche Institution, deren kurze Geschichte 1568 endete, vor dem geistigen Auge wieder aufleben zu lassen, man muss nur eines der Handbücher "Germania Sacra", in diesem Fall den Band "Das Bistum Hildesheim", aufschlagen. Darin erfährt man unter anderem, dass es sich bei der Klosterkirche vermutlich um einen einschiffigen Hallenbau mit Dachreiter handelte und im Süden der Kirche ein vierflügeliger Kreuzgang angelegt war; 31 Mönchszellen wurden gezählt, in denen später Studenten lernten; außerdem soll an einer der Wände ein auf Pergament gemalter Totentanz gehangen haben. Der Mönch Henning Riecke wird das Bild betrachtet haben. Von ihm ist überliefert, dass er sich am 21. Oktober 1542 vor den Schmalkaldener Visitatoren der Reformation verweigerte, sich dafür aber anderntags entschuldigte. Zur Strafe erhielt er Klosterverbot, durfte aber in Gandersheim wohnen bleiben.
All diese und weitere unzählige Informationen über die Kirche des Heiligen Römischen Reiches wären ohne das Vorhaben "Germania Sacra", das seit Anfang des Jahres von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen betreut wird, für die Forschung verloren. Das wissenschaftliche Monumentalwerk bildet die Grundlage für Forschungen etwa zur Verfassungs- und Kirchengeschichte, zur Reichs- und Landesgeschichte, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, zur Bildungsgeschichte, zur Historischen Geographie, zur Verwaltungsgeschichte und zur Siedlungsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.
1917 begannen Wissenschaftler, das verfügbare Quellenmaterial zur Vergangenheit der Bistümer, Klöster und Stifte aufzubereiten, seitdem sind 59 Bände der Handbücher erschienen und ist das Nachschlagewerk unerlässlich geworden für alle, die über die Vormoderne forschen. Zuletzt war das Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte für das Unternehmen verantwortlich. Nach seiner Schließung hat nun die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen das Langzeitforschungsprojekt übernommen - allerdings unter neuen Vorzeichen, denn die Akademie will das Vorhaben in den nächsten 25 Jahre zum Abschluss bringen.
Für Frank Rexroth, Mitglied der Göttinger Akademie und Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georgia Augusta, der das Forschungsprojekt gemeinsam mit Prof. Hedwig Röckelein, Historikerin an der Göttinger Universität, und Prof. Helmut Flachenecker vom Institut für Geschichte der Universität Würzburg leitet, heißt es daher nun: "Wir werden neue Schwerpunkte setzen". Zugleich verweist er darauf, dass das Personal verdreifacht wurde. Fortan werden sich die drei Redakteure und die 50 ehrenamtlichen Mitarbeiter, meist Archivare und Bibliothekare, die nahe an den kirchlichen Stätten sitzen, inhaltlich auf die Bistümer des Reiches konzentrieren. Mit dieser Auswahl ist sichergestellt, dass die Qualität der Forschung auf dem bisherigen hohen Niveau weitergeführt wird und die in engerem Rahmen erforschte Kirchengeschichte die allgemeine Geschichte sehr stark berührt, wie Rexroth erläutert. Insofern dürfte sich auch an folgender Feststellung des Historikers nichts ändern: "Viele Länder beneiden uns, weil wir solch ein Projekt haben".
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