Überschuldete Menschen dürfen nicht noch zusätzlich zur Kasse gebeten werden
Überschuldete Menschen, die eine Verbraucherinsolvenz anstreben, werden sich künftig mit veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen konfrontiert sehen. Ziel des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung, der bereits Gegenstand einer kontroversen Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages war, ist es, das Verfahren grundsätzlich zu vereinfachen und bürokratische Hürden abzubauen. Dies wird von der Schuldnerberatungspraxis durchaus begrüßt. Doch es gibt auch Kritik an dem Vorhaben. Denn überschuldete Personen sollen künftig wieder in die eigene, aber "leere" Tasche greifen, um ihren Rechtsanspruch auf einen neuen Start ohne Schulden verwirklichen zu können.
Frankfurt am Main/Darmstadt.
Diese finanzielle Eigenbeteiligung sollen alle Antragsteller, die kein pfändbares Einkommen erzielen, aufbringen. Damit müssten auch alleinerziehende Empfängerinnen von Grundsicherung Zahlungen aus ihrem Existenzminimum leisten. Darauf wies Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau, anlässlich der Tagung "Reform der Verbraucherinsolvenz - Planungen des Gesetzgebers" hin. Besonderer Gast der Fachtagung, zu der die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hessen, die Liga der freien Wohlfahrtspflege Hessen und die Evangelische Fachhochschule eingeladen hatten, war Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die in ihrem Eröffnungsvortrag die geplante Reform erläuterte.
Diakonie-Chef Gern, der auch Vorsitzender des Liga-Arbeitskreises für Armutsfragen und Migration ist, erinnerte daran, dass fast die Hälfte der Menschen, die ein Insolvenzverfahren durchlaufen müssen, von Arbeitslosengeld II leben. "Sie werden künftig gezwungen, eine Eintrittsgebühr von 25 Euro zu entrichten und müssen über 6 lange Jahre pro Monat 13 Euro von ihrem Regelsatz für die Teilnahme an einem Verbraucherinsolvenzverfahren bezahlen. Dies ist in Zeiten von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Kinderarmut nicht verantwortbar und von den Betroffenen einfach nicht leistbar. Überschuldete Menschen, die ohnehin schon zu wenig haben und sich - aus welchen Gründen auch immer - in ein Insolvenzverfahren begeben, dürfen nicht noch zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Denn dann dreht sich für sie die Schuldenschraube nur noch weiter", sagte Gern.
Professor Dr. Dieter Zimmermann, der an der Evangelischen Fachhochschule u.a. Schuldnerberatung lehrt, nannte einen weiteren Kritikpunkt: Bislang sei der Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit allen Gläubigern vorgeschrieben gewesen, bevor ein Insolvenzantrag gestellt werden konnte. Deshalb ließen sich die meisten Betroffenen in einer Schuldnerberatungsstelle umfassend über ihre wirtschaftliche und soziale Situation beraten. Diese dem Insolvenzverfahren vorgeschaltete Beratung droht mit der Reform wegzufallen, da künftig für die Mehrzahl der Fälle eine Aussichtslosigkeitsbescheinigung ausreichen soll. Zimmermann sagte dazu: "Schuldnerberatung darf nicht zur Stempelstelle verkommen. Die vorgeschaltete persönliche Beratung mit Sicherung der wirtschaftlichen Existenz, umfassender Bestandsaufnahme und ggf. hauswirtschaftlicher Beratung ist zwingend notwendig und muss in der Reform verankert bleiben. Denn nur so ist es möglich, mit den Betroffenen individuelle Wege aus der Überschuldung zu finden und Drehtüreffekte zu vermeiden."
Auch Thomas Zipf vom Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hessen e.V. (und Leiter der Schuldnerberatung bei der Sozialverwaltung der Stadt Darmstadt) sieht die Länder und Kommunen in der Pflicht, dieses Beratungsangebot zu finanzieren. Im Jahr 2004 hat allerdings die hessische Landesregierung mit der so genannten "Operation Sichere Zukunft" als einziges Bundesland die Landesfinanzierung der Insolvenzberatung komplett gestrichen. Seither haben sich zwar viele Kommunen in der Pflicht gesehen, die Finanzierung zu übernehmen, um weiteren sozialen Abstieg zu verhindern und berufliche Integration zu ermöglichen. "Die langen Wartezeiten, die viele Überschuldete in Kauf nehmen müssen, belegen den Handlungsbedarf. Investitionen in die Schuldner- und Insolvenzberatung machen sich bezahlt, denn die wirtschaftliche Stabilisierung Überschuldeter spart langfristig soziale Transferzahlungen ein", wirbt Thomas Zipf.
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege unterhält in Hessen 37 Schuldnerberatungsstellen, die auch Insolvenzberatung anbieten, dazu kommen 15 Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft und 8 Beratungsstellen freier Träger.
Auskunftspersonen:
Sylvia Kreußer, DWHN für die Liga der Wohlfahrtspflege
8069-7947322 od. 0170-7640534)
Dieter Zimmermann, Evang. Fachhochschule Darmstadt
(06151-879818)
Thomas Zipf, LAG Schuldnerberatung Hessen e.V.
(06151-714061 od. 0160-91532310)
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