Der Zufall als Helfer
Auflösen von Warteschlangen/Bewertung von Testergebnissen/die Börse als Glücksspiel
FRANKFURT. Der Zufall hat in den Naturwissenschaften einen schlechten Ruf. Seit der Aufklärung versucht der Mensch ihn in die Schranken zu weisen und die Welt durch Naturgesetze erklärbar und vorhersagbar zu machen. Anders ist es in der Stochastik, der "Kunst des Mutmaßens", die den Zufall als eigenständiges Konzept versteht und entwickelt. Mit seiner Hilfe löst der Stochastiker Probleme, die man durch deterministische Ansätze nicht in den Griff bekäme. In der neuen Ausgabe von "Forschung Frankfurt" zum Jahr der Mathematik zeigt Prof. Götz Kersting an drei verblüffenden Beispielen, wie der Zufall als Helfer in Erscheinung tritt.
Beim ersten Beispiel geht es um das Auflösen von Warteschlangen beim Hin- und Herschicken von Paketen in komplexen Netzwerken, konkret gesprochen von Datenpaketen im Computer. Wie sich herausstellt, vermeidet man Warteschlangen am zuverlässigsten, wenn man die Routen für die Pakete in geeigneter Weise zufällig wählt. Hier ist der Zufall zu etwas in der Lage, was man gewöhnlich nur deterministischen Handlungsvorschriften zutraut. In der Informatik macht man sich diese Qualität des Zufalls inzwischen häufig zunutze und entwirft randomisierte Algorithmen für verschiedenste Zwecke.
Bei dem Beispiel aus der Statistik geht es darum festzustellen, ob sich in einem Datensatz ein ursächlicher Zusammenhang aufdecken lässt. Da sich dies nicht direkt klären lässt, dreht man den Spieß um und fragt, ob die Daten rein zufällig entstanden sein könnten - etwa bei der Bewertung einer klinischen Studie durch zwei Gruppen von Ärzten, denen die Ergebnisse eines neuen Therapieverfahrens in unterschiedlicher Weise präsentiert wurden. Beurteilen die beiden Gruppen die Therapie sehr unterschiedlich, liegt der Verdacht nahe, dass eine der Darstellungen tendenziös war.
Skeptiker könnten allerdings einwenden, die Unterschiede seien rein zufällig entstanden. Um das herauszufinden, konfrontiert man die Daten mit hypothetischen, vom Zufall gesteuerten Modellen. Kann man glaubhaft machen, dass sie sich so nicht erklären lassen, so gilt dies als Beleg, dass eben doch ein Wirkungszusammenhang besteht. Hier geht kausales Denken ein Bündnis mit dem Zufall ein; die Statistik mit ihren Zufallsbetrachtungen wird zum methodischen Rüstzeug einer empirischen Wissenschaft, der es gar nicht um den Zufall geht. Das hat auch seine Tücken, dennoch ist die Entwicklung der Statistik eine moderne Erfolgsgeschichte.
Im letzten Beispiel schließlich deutet Kersting an, wie man in der Finanzmathematik dem Börsengeschehen und seinen Risiken mit Zufallsmodellen auf den Grund geht. Dabei geht es um Fragestellungen, die erst einmal gar nichts mit Zufall zu tun haben. Auch entsprechen die Zufallsmodelle definitiv nicht der Wirklichkeit. Dennoch ist es hier so, dass diese "falschen" Modelle (sogenannte "Martingalmaße") das Verständnis entscheidend fördern. Das klingt paradox und ist nicht ganz leicht zu vermitteln. An diesen Modellen kommt man aber nicht mehr vorbei, will man die Risiken auf den Finanzmärkten in Schranken halten. Spezialisten aus der Mathematik wächst hier eine immer wichtigere Rolle zu.
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Soeben erschienen:
Wissenschaftsmagazin Forschung Frankfurt 2/2008
Schwerpunktthema "Mathematik"
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Informationen:
Prof. Götz Kersting, kersting@math.uni-frankfurt.de, Stochastik, Campus Bockenheim, Universität Frankfurt.
Telefonische Anfragen bitte über Tel. 069/798-28626 bzw. -22472.
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. Vor 94 Jahren von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am
1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit 45 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Uni den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigt sich die Goethe-Universität als eine der forschungsstärksten Hochschulen Deutschlands.
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