Puccini in Mittweida - Zum 150. Geburtstag von Giacomo Puccini
Puccini in Mittweida
Zum 150. Geburtstag von Giacomo Puccini
Am 22. Dezember wäre Giacomo Puccini, der zu den meistgespielten Komponisten des internationalen Musiktheaters zählt, 150 Jahre alt geworden. Dieses Ereignis dürfte für viele Freunde der Musik und die Zeitungen Anlass sein, sich des genialen Komponisten der Opern "Manon Lescaut", "La Bohème", "Tosca", "Madame Butterfly", "Das Mädchen aus dem Goldenen Westen" und "Turandot" zu erinnern. Nach der Premiere von "Manon Lescaut" im Jahre 1893 waren alle Opern Puccinis auch international große Erfolge. Er konnte vom Komponieren leben und musste niemals einen anderen Beruf ausüben, etwa als Dirigent oder als Lehrer.
Wer sich ein wenig mehr mit dieser faszinierenden Persönlichkeit des Musiktheaters befasst, wird wissen, dass er einer Dynastie von Musikern der toskanischen Stadt Lucca entstammt. Sein Vater Michele Puccini war Leiter der Stadtkapelle von Lucca und Komponist von Opern und Messen, sein Großvater Domenico Vincenzo Puccini war Musikdirektor der Stadt und Domorganist und ebenfalls Komponist. Giacomo Antonio Domenico Michele Secondo Maria Puccini, so sein ganzer Name, studierte von 1880 bis 1883 in Mailand Musik und begann nach dem Studium, Opern zu komponieren. Dass sein in der Musik spürbares Temperament mit seiner Lebensweise, seinen intensiven Beziehungen zu Frauen, seiner Leidenschaft für die Jagd, für Autos und Motorboote korrespondiert, war bereits den Zeitgenossen bekannt. Bekannt geworden sind später auch die chronisch depressiven Phasen in seinem Leben.
Weniger bekannt ist, dass er durch eher schlechte Schulleistungen auffiel, sein Vater früh starb und die Familie mit acht Kindern von der Mutter allein versorgt werden musste, der junge Giacomo oft den Müßiggang pflegte, keine Fremdsprache beherrschte und im Ausland oft darunter litt. Er versuchte mehrmals, der von ihm so empfundenen Enge seiner Heimat durch Tourneen und Reisen zu entkommen, seine Leidenschaft für schnelle Autos und Motorboote ist dokumentiert, aber letztlich blieb er seinem Geburtsort Lucca immer verhaftet. Puccini kam mit den Aufführungs-Tantiemen und dem Notenverkauf von seinen Opern zu großem Reichtum. Er galt als eher geizig, aber für den Kauf von Häusern, Motorrädern, Autos und Motorbooten gab er viel Geld aus. Am 29. November 1924 starb Giacomo Puccini an den Folgen einer Halsoperation während einer Kehlkopfkrebs-Behandlung in einer Brüsseler Klinik. Die Grabstätte von Giacomo Puccini, seiner Frau Elvira, von Antonio und dessen Ehefrau befindet sich in einer Kapelle aus Marmor der Apuanischen Alpen in seinem Haus in Torre del Lago.
Ganz und gar unbekannt war bis vor wenigen Jahren, dass Giacomo Puccini auch eine Verbindung nach Mittweida besaß. Leider hat der Meister die Stadt nie besucht, aber sein einziger Sohn Antonio Puccini (1886-1946) besuchte das damals bereits weithin bekannte private "Technikum Mittweida". Puccini konnte sich erst im Jahre 1904, nachdem er die Mutter, Ehefrau eines Großwarenhändlers aus Lucca, heiratete, offiziell als Vater bekennen. Puccini heiratete mit ihr die dominierendste seiner zahlreichen Geliebten. Sein Sohn erbte die musikalische Leidenschaft der Familie wohl nicht, denn nach seinem Schulabschluss im Jahre 1902 in St. Gallen kam er auf Empfehlung des Leiters dieser Schule an das Technikum Mittweida. Im Jahre 1907 studierten 17 Italiener am Technikum, und es gab eine landsmannschaftliche Verbindung. Antonios Vater verband damit sicher die Hoffnung, dass dieser sich auf dem von ihm ebenfalls sehr geschätzten Gebiet der modernen Technik ausbilden lassen sollte. Das erwies sich allerdings als Illusion.
Es ist das Verdienst von Frau Dr. Marion Stascheit, Leiterin des Archivs der Hochschule Mittweidaer, bei Recherchen zu der Schrift "Mittweidas Ingenieure in aller Welt" /1/ die genaueren Umstände entdeckt zu haben. Antonio Puccini ist in der Rubrik "Überliefertes" (S. 140) gewürdigt, da er nicht zu den herausragenden Absolventen gehört. Der Entdeckung nahm sich auch der bekannte Puccini-Biograph und Forscher Dr. Dieter Schickling /2/ an. Er schrieb einen Beitrag unter dem Titel "Antonio Puccini in Mittweida Eine Studiengeschichte vor 100 Jahren" /3/. In diesem Aufsatz sind alle im Hochschularchiv vorhandenen Dokumente ausgewertet und wiedergegeben.
Antonio Puccini begann am 14. Oktober 1905 sein Maschinenbau-Studium in Mittweida. Allerdings hatte er am Ende des Wintersemesters nur mäßige Leistungen erbracht und 117 Stunden gefehlt, davon nur 47 entschuldigt. Im nachfolgenden Sommersemester, zu dem er verspätet am 25. April 1906 zurückkehrte, besteht er die Vorprüfung nicht und fehlt 102 Doppelstunden, davon nur 52 entschuldigt. Da für die Ingenieure eine praktische Ausbildung vorgeschrieben war, arbeitete Antonio vom Oktober 2006 bis zum August 2007 in einer Autowerkstatt in Straßburg. Im Wintersemester 2007 wiederholte er auf Anraten der Direktion das zweite Semester, er muss aber die noch ausstehenden nicht bestandenen Prüfungen und die folgende Vorprüfung erfolgreich ablegen. Noch bevor dies geschieht, reist er am 12. März 1908 ab, denn in einem Telegramm von seiner Mutter wird ihm eine Erkrankung in der Familie signalisiert. Schickling interpretiert diese Mitteilung als Vorwand. Auch in diesem Semester sind für Antonio 110 Doppelstunden als Versäumnisse registriert, davon nur 26 entschuldigt. Im April 1908 gestattet ihm die Direktion zwar den Eintritt in das dritte Semester, verlangt aber bis zum September die Prüfungen. Die Verfahrensweise der Direktion ist überaus entgegenkommend, was sicher auch der Prominenz des Studierenden geschuldet sein dürfte. Auch in diesem Semester erhöhte sich sein Fleiß allerdings nicht, denn Antonio hat wiederum 169 Doppelstunden versäumt, von denen er 108 entschuldigt war. Zu dieser Zeit reifte in ihm wohl der Entschluss, das Studium aufzugeben. In einem Brief an seine Halbschwester, den seine Mutter in ihrem Brief an das Technikum vom 27. September 1908 ausführlich zitiert, macht Antonio seine mangelnde mathematische Begabung geltend und hält die Fortsetzung des Studiums für Zeit- und Geldverschwendung. Am 6. November 1908 scheidet Antonio Puccini ohne Abschluss aus. Damit ist er aber keineswegs ein "Versager", denn in dieser Zeit studierte mancher nur einige Zeit und verließ das Technikum ohne Zeugnis. Darunter sind auch später sehr bekannt gewordene Persönlichkeiten. Über den weiteren Lebensweg von Antonio Puccini wird nur wenig berichtet, er teilte wohl die Neigungen seines Vaters, ohne dessen Genialität auf musikalischem Gebiet zu besitzen. Er diente ihm als Sekretär, als Reisebegleiter, wahrscheinlich auch als Organisator und, so wird berichtet, er habe sich rührend um seinen schwerkranken Vater gesorgt.
Trotz dieses Misserfolges des Studenten Antonio Puccini gehört er zu den jungen Menschen, die das Technikum Mittweida als geeigneten Ort für ihre technischen Bildung besuchten. Die Auswahl hat sicher sein berühmter Vater maßgeblich beeinflusst.
Das Hochschularchiv und das in Mittweida beheimatete Unternehmen IMM nahm diese Tatsachen zum Anlass, im Jahre 1908 sowohl den Vater als auch den Sohn zu würdigen. Am 31. März 2008 veranstaltete die IMM Gruppe in ihren Räumen eine Soiree mit dem Rektor der Hochschule Mittweida, Professor Dr.-Ing. Lothar Otto, Frau Dr. Marion Stascheit und bekannten Künstlern.
In einer Pressekonferenz stellte Prof. Detlev Müller das Hörbuch "Nessum Dorma - Giacomo Puccini. Leben eines Meisters" vor. Unter diesem Titel gestalteten 15 Künstler, u. a. von den Städtischen Theatern Chemnitz und vom Mittelsächsischen Theater Freiberg diese aufwendige Produktion. In gestalteten Vitrinen konnten die Besucher dort und am 19. April im historischen Wasserkraftwerk Mittweida zum Frühlingsfest die aufgefundenen Dokumente aus dem Hochschularchiv sehen. Im Rahmen der 13. IMM-TAG im Juni 2008 sowie zum IMM PartnerMeeting im Oktober 2008 stellte das Hochschularchiv nochmals die aufbereiteten Materialien zur Verfügung.
Sowohl die "Freie Presse" und der "Wochenspiegel als auch andere Zeitschriften, unter ihnen das "Wirtschaftsjournal", berichteten ausführlich über die Veranstaltungen und die Würdigung.
Literatur:
/1/ Mittweidas Ingenieure in aller Welt. Hochschule Mittweida 2004
/2/ Schickling, Dieter: Giacomo Puccini. Carus / Reclam Verlag Stuttgart 2007, ISBN 978-3-89948-087-0 Seit 1996 ist Dr. Dieter Schickling Vorstandsmitglied der Forschungseinrichtung "Centro studi Giacomo Puccini" in Lucca, die u. a. die Gesamtausgabe der Werke und der Briefe Puccinis vorbereitet.
/3/ Schickling, Dieter: Antonio Puccini in Mittweida Eine Studiengeschichte vor 100 Jahren. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte", 78. Band 2007, erschienen 2008, S. 283-306
Prof. Dr. phil. habil. Jan-Peter Domschke