Auf zu neuen Dimensionen - Bei der SMBC 2010 in Freiburg blickten Systembiologen optimistisch in die Zukunft
Rund 350 Wissenschaftler diskutierten bei der Conference on Systems Biology of Mammalian Cells
(SBMC) neuste Ergebnisse, Trends und Visionen. Die bedeutende Systembiologiekonferenz fand unter
der Schirmherrschaft von Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan vom 3. bis 5. Juni im
Konzerthaus Freiburg statt. In den Vorträgen der internationalen Redner wurde immer wieder deutlich: die Systembiologie ist bereit zu neuen Dimensionen: Es gilt, die systembiologischen Modelle von der Zellebene auf ganze Organe oder sogar einen vollständigen Organismus auszuweiten. Und erste Projekte belegen, dass sich dieses Ziel erreichen lässt.
Neue Dimensionen für Systembiologie und moderne Medizin
"Systembiologische Forschung schafft durch die Verknüpfung molekularbiologischer Ansätze mit
mathematischen Computermodellen neue Lösungswege für eine individualisierte Medizin, von der jeder Patient profitieren kann", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Dr. Helge Braun, bei seiner Eröffnungsrede. "Die Systembiologie ist daher als lebenswissenschaftliche Schlüsseltechnologie entscheidender Impulsgeber für Innovationen in der Medizin in der nächsten Dekade", so Braun.
Welche bedeutenden Neuerungen diese Wissenschaftsdisziplin für die moderne Medizin bringt, wurde
insbesondere beim Vortrag von Prof. Claudio Cobelli, Universität Padua, deutlich. Der italienische
Wissenschaftler stellte neuste Ergebnisse aus dem Bereich der systembiologischen Ganzkörpermodelle
vor. Gemeinsam mit seinen Kollegen entwickelt Cobelli Simulationen, um die vielfältigen Prozesse und
Störungen bei Diabetes Typ 1 und 2 darzustellen und besser zu verstehen. Sie helfen, neue
Therapieansätze, für die Stoffwechselerkrankungen zu erproben – etwa als Ersatz für Tierversuche, oder für Untersuchungen, die man bei menschlichen Patienten aus Sicherheitsgründen nicht durchführen möchte oder darf. Die Diabetes-Modelle wurden erst kürzlich von der FDA (Food and Drug Administration), der US-Zulassungsbehörde für Medikamente als in-silico-Methode zur Erprobung von Behandlungsstrategien bei Diabetes registriert.
Systembiologie als Kathedrale des 21. Jahrhunderts
Solchen einschlägigen ersten Erfolge zum Trotz, warnte Prof. Denis Noble, Universität Oxford, vor zu
großer Euphorie und übereilten Versprechungen. Der britische Physiologe legte 1961 in seiner
Doktorarbeit das erste mathematische Modell des schlagenden Herzens vor und gilt daher als einer der Pioniere der Systembiologie. Noble zog in seinem Vortrag den Vergleich zu den großen Kathedralen Europas, deren Bauphase sich in der Regel über mehrere Jahrhunderte erstreckte. Die moderne Wissenschaft und damit die Systembiologie zählen für den Briten zu den Kathedralen des 21.
Jahrhunderts. Und genau wie bei den imposanten Sakralbauten, bedarf es auch hier einer langen und
intensiven "Bauzeit", um zu einem Ergebnis zu kommen, das über lange Zeit Bestand hat. Kurz gesagt: Die Systembiologie braucht intensive Grundlagenforschung als solides Fundament, um die vielfältigen und komplexen Prozesse des Lebens auf wirklich allen Ebenen vom Genom, über das Proteom bis hin zu Zellen, Organen und dem gesamten Organismus zu verstehen. Nur dann wird sie die großen Erwartungen erfüllen können, die Wissenschaftler gerade für den Bereich der Humanmedizin in sie setzen.
Mit solidem Fundament zu höheren Ebenen
Diese kritische Einschätzung entspricht ganz dem Verständnis der Gastgeber der Konferenz. Das
HepatoSys-Netzwerk hat sich in den letzten sechs Jahren intensiv mit der Systembiologie der Leberzelle befasst. Jetzt gilt es im Nachfolgeprojekt German Virtual Liver Network ein Verständnis der Vorgänge in Zellverbänden bis hin zum ganzen Organ zu untersuchen. Ziel ist es, die Funktionen der Leber als wichtigstes Stoffwechselorgan des Körpers zu erfassen. "Die Herausforderung ist groß, doch wir freuen uns darauf, sie anzunehmen und nicht nur das Verständnis der Leber voranzutreiben, sondern dem gesamten Bereich der systembiologischen Forschung wichtige Impulse zu geben", sagt Adriano Henney, Programmdirektor des German Virtual Liver Network. Denn, wie er den brasilianischen Schriftsteller Paolo Coelho zitiert: „Nur eines macht sein Traumziel unerreichbar: die Angst vor dem Versagen.“
Über die SBMC
Die dritte Systembiologie-Tagung "Conference on System Biology of Mammalian Cells (SBMC 2010) fand vom 3. bis 5. Juni 2010 in Freiburg statt – organisiert von HepatoSys/German Virtual Liver Network, dem deutschen Netzwerk für die Systembiologie der Leber. HepatoSys wurde im Jahr 2004 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiiert – zur Erforschung intrazellulärer Prozesse in Hepatozyten (Leberzellen). Seit April 2010 strebt das Nachfolgeprojekt German Virtual Liver Network ein Verständnis der Prozesse auf der nächst höheren Ebene an: Basierend auf den Ergebnissen von HepatoSys, machen sich die Wissenschaftler vom German Virtual Liver Network nun daran, die Vorgänge in Zellverbänden bis hin zum ganzen Organ zu untersuchen.
Weitere Informationen:
http://www.sbmc2010.de
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