Wer Fachkräfte binden will, muss neue Wege gehen
Mit der Maxime „Familie – ein Plus für Unternehmen“ verweist das Projekt „Schichtarbeit zwischen Anforderungen von Arbeitswelt und Lebenswelt“ (SCHICHT) auf die zunehmende Bedeutung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Privatleben. Im Fokus des Forschungsverbundes steht dabei ein doppeltes Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität. Zusammen mit mehreren Betrieben an den sachsen-anhaltischen Chemiestandorten Bitterfeld-Wolfen und Leuna werden vor allem für den Schichtbetrieb Vereinbarkeitslösungen konzipiert und in der betrieblichen Praxis erprobt. Ein Servicebüro an beiden Standorten entlastet bereits Beschäftigte und Personalverantwortliche bei den Vereinbarkeitsproblemen.
Die traditionsreiche Chemieregion Sachsen-Anhalt ist von einer wechselvollen Entwicklungsdynamik geprägt. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat die chemische Industrie in der Region große Fortschritte bei der Anpassung an wettbewerbsfähige Strukturen gemacht. Unternehmen der Branche stehen für wirtschaftliche Prosperität und Kontinuität; nicht zuletzt weil sich hier (traditionell) Chemiekompetenz und Chemieakzeptanz verbinden. Um diese Erfolge zu sichern, wird in vielen Unternehmen rund um die Uhr im Mehrschichtsystem gearbeitet. Schichtarbeit ist dabei mehr als die Organisation von Arbeitsabläufen. Schichtarbeit stellt hohe Anforderungen auch an die familiäre Organisation, kommunale Dienstleistungen oder regionale Bedingungen. Wer in Zukunft Fachkräfte gewinnen bzw. an sich binden will, muss eine arbeitnehmerorientierte und familienfreundliche Personalpolitik beherrschen.
Bei den Anforderungen geht es zum einen um Spannungen und Konflikte zwischen der betriebsnotwendigen Flexibilität der Einsatzzeiten und dem Stabilitätsbedarf der Beschäftigten. Die vorherrschende Produktionsweise in der Chemie ist Schichtarbeit, nicht zuletzt in der besonders belastenden Form der vollkontinuierlichen Wechselschicht. Jedoch sind Ausgleichsmöglichkeiten zur Reduzierung der Belastungen für die in Wechselschicht beschäftigten Arbeitnehmer von vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) erheblich schwerer zu realisieren als von großen Unternehmen. Zum anderen entstehen Spannungen und Konflikte zwischen betrieblichen Anforderungen an Leistungs- und Arbeitszeitstabilität und lebensweltlichen Flexibilitätsanforderungen. Komplementär zur Problematik der Schichtarbeit führen altersstrukturelle, biografische und milieubedingte Faktoren zu tendenziell wachsenden Spannungen zwischen dem betrieblichen Interesse an Leistungs- und Zeitstabilität der Beschäftigten einerseits und dem Bedürfnis ausreichender Zeitflexibilität zur Übernahme familiärer Verpflichtungen wie Kinderbetreuung und/oder Pflegeverantwortung andererseits.
Das BMBF-Verbundprojekt hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, nach dem Vorbild eines Servicebüros in Leuna auch andere Standorte für die Gründung von Servicestellen für Beschäftigte zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewinnen. Ein weiteres Büro in Wolfen hat bereits im Rahmen des Projektes seine Arbeit aufgenommen. Arbeitnehmer erhalten dort beispielsweise Unterstützung bei der Suche nach einem Kindergartenplatz, einer neuen Wohnung oder bei der Verkürzung von anderen Behördenwegen. Das zunehmende Interesse weiterer, regional ansässiger Unternehmen aus dem Chemie- und Solarbereich für das Projekt kann als erster Erfolg gewertet werden. Langfristiges Ziel ist es, gemeinsam mit der Wirtschaft eine tragfähige Beratungsinfrastruktur für Personalverantwortliche und Beschäftigte besonders in Betrieben, die durch Schichtarbeit geprägt sind, zu etablieren.
Das SCHICHT-Projekt wird im Forschungsprogramm "Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln. Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie vom Europäischen Sozialfonds gefördert. Kooperationspartner sind das Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Qualifizierungsförderwerk Chemie GmbH, die Stadtverwaltung Bitterfeld-Wolfen und die InfraLeuna GmbH.
Kontakt:
Bettina Wiener
Zentrum für Sozialforschung Halle
Tel.: (0345) 55 266 03
Mail: wiener@zsh.uni-halle.de
Weitere Informationen:
http://www.familieplusunternehmen.de
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