HörTech bündelt Know-how audiologischer Forschung und etabliert Hörtechnologie als Zukunftsmarkt
Gutes Hören ist nicht selbstverständlich. Schließlich ist das Gehör derjenige unter den fünf Sinnen (Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Sehen), der tagtäglich besonders strapaziert wird. Umso wichtiger, dass die Oldenburger Audiologen der HörTech gGmbH seit zehn Jahren die Vision „Hören für alle“ erfolgreich verfolgen. Nicht von ungefähr ist in der norddeutschen Universitätsstadt geballte Kompetenz auf dem Gebiet der Hörforschung zu Hause. Prof. Dr. Dr. Birger Kollmeier, wissenschaftlicher Leiter der HörTech gGmbH und des Zentrums für Hörforschung der Universität Oldenburg, blickt zurück auf zehn Jahre HörTech.
Eine Dekade HörTech – wo steht das Kompetenzzentrum heute?
Kollmeier: Als wir vor zehn Jahren den Bundeswettbewerb „Kompetenzzentren für die Medizintechnik“ gewonnen haben, konnten wir die anschließende rasante Entwicklung der Hörtechnologie in Hörgeräten, elektronischen Hörprothesen, aber auch in der Unterhaltungselektronik kaum erahnen. Wir haben unseren Beitrag in der Form geliefert, dass in ca. 80 Prozent aller Hörgeräte weltweit ein Stück Oldenburger Know-how steckt. Die HörTech prägt die Hörforschung also nachhaltig. Aus der Gruppe von etwa 30 universitären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind inzwischen etwa 140 Hörforscher in der Universität Oldenburg, Jade Hochschule, HörTech, Fraunhofer Projektgruppe und Hörzentrum Oldenburg geworden, die eng untereinander, mit der Industrie und mit Hannover kooperieren. Unser Kompetenzzentrum gehört zu den erfolgreichsten Netzwerken des Landes und genießt national wie international einen einzigartigen Ruf im Bereich der Hörsystementwicklung. Diese Spitzenposition bescheinigt auch ein Rating der Initiative „Kompetenznetze Deutschland“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Hörforschung „made in Oldenburg“ hat sich also in den vergangenen zehn Jahren als Standortfaktor für Wissenschaft, Wirtschaft und Medizin etabliert. Das spornt uns an. Die Position, zu den innovativsten Zentren Deutschlands zu zählen, möchten wir weiter vorantreiben und ausbauen.
Die Hörtech hat zahlreiche Projekte und Innovationen auf den Weg gebracht. Worauf sind Sie besonders stolz?
Kollmeier: Die Wahl fällt schwer, weil rund um unser Unternehmen eine vielfältige Forschungslandschaft zum Thema Hören entstanden ist. Wir bringen technisches und medizinisches Know-how zusammen und haben uns in zahlreichen nationalen und internationalen Projekten für besseres Hören, Hörgeräte und Hörtechnik engagiert. So haben wir Computer-Hörmodelle aus der Physik erfolgreich zur Vorhersage und Verbesserung des Nutzens einer Hörgeräte-Versorgung in der Medizin etabliert. Das Sprachverstehen unter Lärmeinfluss haben wir durch multilinguale Sprachtests nicht nur besser erfassbar gemacht, sondern auch Verfahren entwickelt, wie man mit „intelligenten“ Hörsystemen der Zukunft den Cocktail-Party-Effekt lindert, d.h. dass man in einer lebhaften Party auch als Hörgeräte-Träger wieder mehr mitbekommt. Außerdem trifft sich bei uns in regelmäßigen Abständen das „Who is Who“ der internationalen Hörforschung und Hörsystementwicklung, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die allen Menschen ein besseres Hören ermöglichen sollen. Gemeinsam mit Experten und Entwicklungsleitern führender Hörsystemhersteller diskutieren wir regelmäßig Trends und Herausforderungen der schnelllebigen Branche und bringen Lösungsansätze auf den Weg, die in vorwettbewerblichen Konsortien weiter vorangetrieben werden. Dieser fachliche Austausch ist einmalig.
Welches praktische Beispiel hat bereits den Weg in den Alltag gefunden?
Kollmeier: Zum Beispiel unser Hörtest per Telefon. Damit können Anrufer unter der Nummer 09001-217221 ihre Hörfähigkeit für pau¬schal 0,99 Euro testen – ganz bequem von zu Hause und ohne Wartezeit in etwa fünf Minuten. Die Anrufer müssen dabei einfach gesprochene Sprache in einer gewissen Geräusch¬kulisse ver¬ste¬hen. Diese Situation ist realistisch und beson¬ders für Menschen mit Hörpro¬ble¬men nicht leicht zu bewältigen. Der Test ersetzt zwar keine Diagnose, schärft aber das Bewusstsein für die eigene Hörfähigkeit. Am Ende erhält der Anrufer das Ergebnis: Entweder das Gehör funktioniert „normal“ oder es gibt „Anhaltspunkte für eine Hörschädigung“ und die Empfehlung, professionelle Hilfe bei einem Ohrenarzt oder Hörgeräteakustiker in Anspruch zu nehmen. Seit letztem Jahr gibt es den Test auch als App fürs Smartphone. Er steht im App-Store unter der Rubrik „Gesundheit und Fitness“ zur Verfügung. Danach kann der Nutzer den Hörtest in bester Klangqualität – so oft er will und wo er möchte – durchführen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der die multimediale Kommunikation quer durch alle Gesellschafts- und Altersgruppen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Welche Folgen hat das für die Hörsystem-Branche?
Kollmeier: Ob Unterhaltungselektronik, geschäftliche Video- oder Telefonkonferenzen oder ob steigende Lärmbelästigung im täglichen Umfeld – dem menschlichen Gehörsinn wird zunehmend mehr abverlangt. In unserem Forschungs- und Entwicklungscluster Auditory Valley begegnen wir mit innovativen Lösungen und unserer weltweit anerkannten Expertise rund um das Hören diesem akustischen Wandel. So erforschen wir, wie man mit „intelligenten“ akustischen Szenen-Analyseverfahren die verschiedenen Schallquellen in einem Raum voneinander trennen kann, um den Einfluss von Störgeräuschen zu vermindern. Auch das binaurale, zweiohrige Hören, das bei Normalhörigen den störenden Nachhall zu unterdrücken hilft, muss von modernen binauralen Hörsystemen so unterstützt werden, dass man die Richtungen des Schalls besser voneinander trennen kann und die gewünschte Schallrichtung verstärkt. Durch die Verknüpfung der Kompetenz im medizinischen Bereich (Hörgeräte, Cochlea-Implantate) mit Audiotechnologien aus dem Consumer-Bereich (mp3, Bluetooth) lassen wir unsere Vision „Hören für alle! Alle Menschen, alle Situationen, alle Branchen“ Wirklichkeit werden. Die Branche besitzt ein enormes Potenzial, das vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Zukunft noch weiter ansteigen dürfte.
Verraten Sie uns noch einen Trend im Rahmen Ihrer F&E-Arbeit?
Kollmeier: Unsere Wissenschaftler arbeiten aktuell zusammen mit unserer Fraunhofer-Projektgruppe für Hör-,Sprach- und Audiotechnologie beispielsweise daran, die Hörgerätetechnik mit Consumertechnologien zu verbinden – so könnte ein Hörgerät beispielsweise mit einem Smartphone verschmelzen oder bei einem Fernseher die Verständlichkeit erhöhen. Die Geräte werden dadurch deutlich vielseitiger. Auch Normalhörende werden von den neuen Technologien profitieren, indem beispielsweise Techniken für Störgeräuschunterdrückung in Mobilfunktelefonen eine Anwendung finden, so dass auch Gespräche in belebten Situationen einfacher werden. Der Trend lautet ganz klar „Wireless“, also die kabellose Verbindung der Hörsysteme mit anderen Geräten der Unterhaltungselektronik. Sie merken also: Wir lassen noch viel von uns hören.
Die HörTech gGmbH wurde 2001 als Kompetenzzentrum für Hörgeräte-Systemtechnik vom Hörzentrum Oldenburg und der Universität Oldenburg gegründet. Ziel der gemeinnützigen Gesellschaft ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung und die Gewinnung neuer Methoden und Erkenntnisse im Bereich des Hörens. Das Institut, das ursprünglich aus einem bundesweiten Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hervorgegangen ist, genießt mittlerweile internationale Anerkennung und leistet viel beachtete Grundlagenforschung zur Verbesserung von Hörgeräte-Technik. Die Mitarbeiter der HörTech suchen nach neuen Möglichkeiten, Hörgeräte besser an die individuellen Bedürfnisse ihrer Träger anzupassen, sowie nach Methoden, die die Rehabilitation von Hörgeschädigten erleichtern. Für die wissenschaftliche Arbeit werden neueste Erkenntnisse über Audiologie und digitale Verarbeitung von Signalen zusammengeführt. Dabei greift die HörTech auf ein bundesweites Kompetenz-Netzwerk zurück. Sitz der HörTech gGmbH ist das „Haus des Hörens“ in Oldenburg.
Weitere Informationen:
http://www.hoertech.de