Weniger Bundesländer – mehr Leistungskraft? - Neugliederung oder Kooperation
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und politischer Handlungsspielraum der Bundesländer in unserer föderalen Demokratie standen im Mittelpunkt der Tagung „Neugliederung des Bundesgebiets oder die Kooperation der Bundesländer“, die die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) Ende September in Berlin organisiert hatte. Vor dem Hintergrund der aktuellen Eurokrise diskutierten Rechts- und Politikwissenschaftler mit Praktikern aus Länderverwaltungen und Parlamenten die Möglichkeiten und Chancen beider Lösungen. Dabei sprachen sich die Staatsrechtler mehrheitlich für eine Neugliederung gemäß Art. 29 GG aus, die Vertreter der Länderverwaltungen setzten hingegen auf Kooperation.
Starke Regionen sind von zentraler Bedeutung für das Zusammenwachsen Europas. Eigenständige und wirtschaftlich leistungsfähige Gebiete haben mehr Gewicht im „Europa der Regionen“. Dies gilt nicht nur für die Mitgliedsstaaten der EU, sondern insbesondere auch für die deutschen Bundesländer. Der dramatische Anstieg der Staatsverschuldung in Folge von Wirtschafts- und Finanzkrise erfordert drastische Maßnahmen. Nationale und europäische Förderprogramme werden zulasten der (neuen) Bundesländer abgebaut und ab 2020 gilt für alle Länder ausnahmslos die verfassungsrechtliche Schuldenbremse.
„Die Finanzlage verschärft sich, die Kluft zwischen Arm und Reich wächst“ skizziert Prof. Dr. Wilfried Erbguth (Uni Rostock), Vizepräsident der ARL die derzeitige Lage. Der Länderfinanzausgleich und weitere Bundesergänzungszuschüsse nivellieren diese Unterschiede weitgehend. Das sind aber auf Dauer keine passenden Instrumente, „um Kranke lebensfähig zu erhalten“, so der Initiator der Tagung.
Seit den 70er Jahren hat sich die Abhängigkeit der finanzschwachen Länder von diesen Ausgleichsinstrumenten verdreifacht, weiß Dr. Reinhard Timmer, früherer Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium. So liege die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Länder, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner heute zwischen 162 Prozent für Hamburg und 71 Prozent für Mecklenburg-Vorpommern. Nimmt man das pro-Kopf-Steueraufkommen als Messlatte für die Leistungsfähigkeit, dann liegen die finanzstarken Länder noch deutlicher in Führung, weit abgeschlagen die neuen Bundesländer.
Die wachsenden Bundeszuweisungen beeinträchtigten die eigenen wirtschaftspolitischen Anstrengungen, das Investitionsverhalten und die Effizienz der Steuerverwaltung und damit die die Eigenständigkeit der Länder. Wegen der vielfältigen Interdependenzen im Bundesstaat seien Kooperationen über die Ländergrenzen hinweg grundsätzlich nützlich und notwendig, um Leistungsschwächen und unzweckmäßige Grenzverläufe zu kompensieren. Aber Kooperationen reichen nach Timmers Einschätzung nicht aus. Ein zusätzliches Problem dabei: Kooperation findet vor allem auf der exekutiven Ebene der Regierungen statt. Die Länderparlamente geraten mehr und mehr in Gefahr, Entscheidungen nur noch abzusegnen, anstatt sie zu diskutieren und zu beschließen. Das widerspricht jedoch der parlamentarischen Demokratie und dem geltenden Subsidiaritätsprinzip.
Deshalb zieht Timmer das Fazit: „Die föderative Ordnung kann Funktionen wie Machtbegrenzung und Demokratisierung, politische und kulturelle Vielfalt sowie eine bürgernahe und effiziente Verwaltung nur zu gewährleisten, wenn sie von leistungsfähigen und zweckmäßig abgegrenzten Ländern getragen werden“. Außerdem müsse ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ländern und Bund hergestellt werden, ohne gegenseitige Abhängigkeiten. Die Neugliederung des Bundesgebietes im Sinne eines „Weniger ist mehr“ böte dazu die Chance.
Die anwesenden Ländervertreter waren sich hingegen einig, dass es aus ihrer Sicht keinen akuten Fusionsbedarf gebe. „Große Länder sind kein Erfolgsfaktor per se“. sagte Dr. Bodo Hasenritter, Leiter der Zentralabteilung der Staatskanzlei Schleswig-Holstein. Gerade in Zeiten zunehmender Globalisierung und europäischer Integration suchten die Menschen Sicherheit. Die fänden sie in vertrauten Gemeinden, Regionen und Ländern. Er lobte die gut funktionierende Kooperation mit Hamburg, die auf gemeinsamen Interessen basiere und klare politische Ziele verfolge. Für einen Nordstaat sieht er derzeit keine Mehrheiten. Kein Wunder, befürchten doch die Länder, das Zusammenlegungen zum einen Stimmen im Bundesrat kosten würden und andererseits Mittel aus dem Länderfinanzausgleich.
Länderneugliederung sei nur eine Möglichkeit, die Leistungskraft zurückzugewinnen, In Niedersachsen stehe jedoch die „Kooperation im Vordergrund“. Ernst Hüdepohl, der stellvertretende Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei, will die Grenzen nicht verschwinden lassen, aber sie im Alltag für die Bürger möglichst unsichtbar machen. „Kooperationen sind immer dann sinnvoll, wenn sie zur Bewältigung von Herausforderungen ausreichen erscheinen und/oder wenn Fusionen politisch nicht durchsetzbar sind. Sollte der Druck zur Fusion künftig wachsen, weil sich die Rahmenbedingungen veränderten, so müsse dafür das Grundgesätz geändert werden.
Dazu erfuhr man Näheres aus berufenem Munde. Für Prof. Dr. Drs. h.c. Hans-Jürgen Papier ist die Länderneugliederung – mit dem Ziel deutliche weniger, aber dafür gleich große und gleich leistungsfähige Bundesländer zu schaffen – Vorbedingung für die Neuordnung der Finanzverfassung und aller anderen Schritte auf dem Wege der nötigen Föderalismusreform. „Erst wenn die Bundesländer in der Lage sind, Handlungsspielräume im Sinne eigenständiger Politik zu nutzen, macht die föderalistische Ordnung auch Sinn“, sagt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes.
Der erste Schritt in diese Richtung wäre für ihn die Änderung des Artikels 29 des Grundgesetzes. Nach dem Willen der Mütter und Väter des Grundgesetzes sollte damit der jungen Bundesrepublik ein Instrument an die Hand gegeben werden, die nach 1945 durch die Besatzungsmächte festgelegten Ländergrenzen sinnvoll zu verändern und so eigenständige und wirtschaftsstarke Territorien zu schaffen. Dies gelang allerdings nur einmal in der Geschichte der Bundesrepublik mit der Zusammenlegung von Baden und Württemberg 1952.
In den 70er Jahren wurde im Zuge der Anpassung der Verfassung an aktuelle Bedürfnisse die verfassungsrechtliche Verpflichtung in eine Kann-Bestimmung umgewandelt. So lautet Art. 29 Abs. 1 in der aktuellen Form: „Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.“ Diese Formulierung hält Hans-Jürgen Papier für „wenig praktikabel und eher hinderlich“. Eine „Rückumwandlung“ des Artikels 29 GG ist für ihn unter rechtlichen Aspekten unverzichtbare Voraussetzung für eine Neugliederung. Das Votum dafür muss freilich per Volksentscheid erfolgen und zwar nicht nur in den Ländern, sondern auch auf Bundesebene.
Der Politologe, Prof. Dr. Arthur Benz (TU Darmstadt), versuchte eine Einordnung der Debatte um Neugliederung oder Kooperation aus der Sicht der fächerübergreifenden Föderalismusforschung. Aus ökonomischer Sicht seien die Schuldenbremse und die anstehende Reform des Länderfinanzausgleichs Argumente für eine Länderfusion. Auch der hohe Koordinationsaufwand zwischen Bund und 16 Ländern und die erheblichen Koordinationskosten zwischen den Ländern sprächen dafür. Allerdings konnten Beweise für mehr Verwaltungseffizienz in größeren Ländern bislang nicht erbracht werden. Und auch die vergleichende Forschung über andere Bundesstaaten (USA, Schweiz) lieferten keine Anhaltspunkte für die Vorteile von Länderfusionen. Zwar habe man in der Schweiz lange darüber diskutiert, dann aber doch einer verstärkten interkantonalen Kooperation den Vorzug gegeben, so Benz.
Weiter berichtete er von Sozialwissenschaftlichen Studien, die das Bedürfnis der Menschen nach Landesidentität und Orientierung in überschaubaren Raumeinheiten bestätigten allerdings nicht auf der Basis historisch-kulturellen Erbes, sondern vielmehr aus ökonomischen Überlegungen heraus. Die „landsmannschaftliche Verbundenheit“ schließlich sei in der modernen, pluralistischen Gesellschaft überholt. Insgesamt wird es von allen Experten als schwierig erachtet, eine Mehrheit der Bevölkerung von den Vorteilen einer Neugliederung zu überzeugen. Wenn sich die Regierungen jedoch dazu entschieden, müsse die Bevölkerung unbedingt über Referenden beteiligt werden.
„Die territoriale Gliederung eines föderativen Staates“ – so das Fazit von Benz „stellt die Grundlage der demokratischen Ordnung dar. Sie zu ändern bedeutet, Menschen mit anderen politischen Verhältnissen, öffentlichen Leistungen und Ressourcenverteilungen sowie einer neuen Rechtsordnung zu konfrontieren. Politiker, die eine Neugliederung durchsetzen wollen, brauchen langfristige Strategien und Konzepte und einen langen Atem.
Weitere Informationen:
http://www.arl-net.de/laenderneugliederung
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