„Raum für Bildung – Ästhetik und Architektur von Lern- und Lebensorten“
Wissenschaftler der Universität Siegen erstellten einen interdisziplinären Sammelband über die Wahrnehmung, Aneignung und Gestaltung von Räumen.
Seit einigen Jahren greifen die traditionell eher isolierten Fachgebiete Architektur und Städtebau, Pädagogik und Psychologie, Kunst und Musik zunehmend ineinander und inspirieren sich wechselseitig. Im Vordergrund steht dabei die Erkenntnis, dass Bildung, Erziehung und Lernen nicht nur in vielfältiger Weise durch architektonische bzw. städtebauliche Kontexte beeinflusst werden, sondern dass umgekehrt auch die ästhetische Wahrnehmung baulicher Zusammenhänge an komplexe kognitive und erkenntnistheoretische Voraussetzungen gekoppelt ist.
Auf zahlreichen Schnittfeldern von Pädagogik und Architektur – zu nennen wären etwa aktuelle Neu- und Umbauten von Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen – sind heute konzeptionelle, theoretische und empirische Neuansätze zu verzeichnen, die darauf abzielen, Beziehungen zwischen Raum, Bildung und Ästhetik zu reflektieren. Auch in den Bereichen Städtebau und Sozialer Arbeit gibt es Konzepte – wie z. B. das Quartiersmanagement –, die im öffentlichen Raum als gesellschaftliches und kreatives Handeln aufgefasst werden. Dabei wird nicht zuletzt die Bildende Kunst, auch aufgrund ihrer angestammten Nähe zur Architektur und zur Pädagogik, als aktiver Faktor in Prozessen der Stadtentwicklung erkannt.
Die skizzierte Lebendigkeit auf den Schnittfeldern von Pädagogik, Kunst und Architektur hat an der Universität Siegen zur Bildung der Fakultät II unter Fusionierung der ehemaligen Fachbereiche „Erziehungswissenschaft und Psychologie“, „Kunst- und Musikpädagogik“ und „Architektur und Städtebau“ geführt. Diese Fakultät widmete den genannten Zusammenhängen eine internationale Fachtagung, aus der heraus der Band „Raum für Bildung – Ästhetik und Architektur von Lern- und Lebensorten“ (Bielefeld: transcript 2012) entstanden ist. Durch die in der bundesdeutschen Hochschullandschaft einmalige Konstellation wurden die überraschend zahlreich vorgefundenen raum-, sozial- und kunstbezogenen Affinitäten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengeführt und haben eine Dynamik entfacht, die so nicht vorausgeplant werden konnte. Die Fakultät II der Universität Siegen entwickelt derzeit einen transdisziplinären, profilbildenden Forschungsschwerpunkt, der unter dem übergreifenden Thema „Räume bilden“ Gebiete wie Inklusion und Ausgrenzung, Bildung und Benachteiligung sowie ästhetische und kulturpädagogische Fragestellungen einbezieht.
Die Wahrnehmung von Schnittfeldern zwischen Architektur, Bildung und Künsten ist eingelagert in den so genannten spatial turn – die raumbezogene Wende –, wie sie seit einigen Jahren in den Kultur- und Sozialwissenschaften verzeichnet wird (vgl. den Band der beiden Siegener Döring & Thielmann 2008). Vor diesem Hintergrund sind die Herausgeberinnen und Herausgeber Hildegard Schröteler-von Brandt, Thomas Coelen, Andreas Zeising und Angela Ziesche besonders stolz auf die Vielfalt der Beiträge in dem Band, denn darin ist eine vierfache Erweiterung der bisher verbreiteten Diskurse zum spatial turn zu erkennen:
1. finden Leserinnen und Leser im Band – zunächst ganz vordergründig – solche Themen, die (neben dem aktuell-praktischen Anlass des Aus- und Umbaus von Schulgebäuden zu Ganztagsschulen) auch außerschulische Bildungsorte benennen. Im Zuge dessen können die ausgereiften Theorien und Methoden sozialräumlicher Konzepte aus der Sozialen Arbeit aufgegriffen werden.
2. sind im Band solche Themen zu finden, die über die Architektur von einzelnen Gebäuden hinaus komplexere Zusammenhänge des Städtebaus und der Siedlungsplanung wahrnehmen lassen.
3. finden Leserinnen und Leser auch Verbindungen zwischen den genannten Feldern mit der Kunst und – sicherlich ungewöhnlich – zur Musik.
4. schließlich erweitert der Band den Diskurs über die Analyse von raumbezogenen Sachverhalten hin zu Fragen der Vermittlung – also der Didaktik und Methodik –, wagt sich also über das Deskriptive hinaus, hinein ins Reich des Normativen. Somit werden der bisherigen Diskussion in den Kultur- und Sozialwissenschaften die Perspektiven aus drei weiteren Fachdisziplinen hinzugefügt. Eine Belebung des interdisziplinären Diskurses wird erwartet.
Der Band umfasst 32 Beiträge, die in vier Kapitel gruppiert wurden (weitere Texte finden sich unter www.uni-siegen.de/bak/start/tagung): zunächst zu subjektiven Raumwahrnehmungen, dann zu diversen Lebens- und Lernorten (wovon die Schule im Folgendem als Spezifischer betrachtet wird) und schließlich Erörterungen zu kulturellen Raumidealen.
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