Aus zwei oder drei mach eins: RUB-Philosophen stellen neue Emotionstheorie auf
Ein Leben ohne Gefühle – unvorstellbar. Obwohl Emotionen so wichtig sind, diskutieren Philosophen nach wie vor darüber, was sie eigentlich sind. Prof. Dr. Albert Newen und Dr. Luca Barlassina vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum haben eine neue Theorie aufgestellt. Dieser zufolge sind Emotionen nicht einfach Sonderfälle der Wahrnehmung oder des Denkens sondern eine eigene Art von mentalem Zustand, der durch die Integration von körperlichen Gefühlen und Denkinhalten entsteht. Das Modell beschreiben sie in der Zeitschrift „Philosophy and Phenomenological Research“.
Aus zwei oder drei mach eins
RUB-Philosophen beschreiben Emotionen als eigene Sorte mentaler Zustände
Gefühle entstehen durch Integration körperlicher und kognitiver Informationen
Ein Leben ohne Gefühle – unvorstellbar. Obwohl Emotionen so wichtig sind, diskutieren Philosophen nach wie vor darüber, was sie eigentlich sind. Prof. Dr. Albert Newen und Dr. Luca Barlassina vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum haben eine neue Theorie aufgestellt. Dieser zufolge sind Emotionen nicht einfach Sonderfälle der Wahrnehmung oder des Denkens sondern eine eigene Art von mentalem Zustand, der durch die Integration von körperlichen Gefühlen und Denkinhalten entsteht. Das Modell beschreiben sie in der Zeitschrift „Philosophy and Phenomenological Research“.
Frühere Emotionstheorien
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert schlugen die Psychologen William James und Karl Lange vor, dass Emotionen nichts anderes seien als Wahrnehmungen von physiologischen Zuständen. Nach der James-Lange-Theorie zittern wir nicht, weil wir Angst haben; sondern wir haben Angst, weil wir zittern. „Diese Theorie berücksichtigt aber nicht den Denkinhalt vieler Emotionen“, sagt Albert Newen. Wenn ein Student Prüfungsangst hat, dann erlebt er diese Angst, weil er zum Beispiel denkt, dass die Prüfung wichtig ist und dass er einen Blackout haben wird. Die sogenannte „kognitive Theorie der Emotionen“ besagt daher, dass Emotionen im Wesentlichen eine mit dem Verstand vorgenommene Bewertung der Situation sind: Dieser Hund ist gefährlich, weil er die Zähne fletscht. „Auch diese Theorie ist unbefriedigend“, meint Newen, „weil sie das Gefühlserleben als zentralen Bestandteil der Emotion vergisst.“ Ein Mensch kann etwa realistisch einschätzen, dass ein Hund gefährlich ist, und gleichzeitig keine Angst haben, weil er Experte im Umgang mit gefährlichen Hunden ist. Die kognitive Einschätzung bestimmt also nicht unbedingt die Emotion.
Integrative Verkörperungstheorie der Emotionen
Die Bochumer Philosophen bezeichnen ihr neues Modell als „integrative Verkörperungstheorie der Emotionen“. Die Gefühlsebene ist – wie von William James postuliert – der zentrale Ausgangspunkt. Eine Emotion kommt aber erst zustande, wenn die Wahrnehmung von physiologischen Zuständen mit anderen Aspekten integriert wird. Das Gehirn muss dabei mindestens zwei Informationen kombinieren: die Wahrnehmung eigener Körperzustände in einer bestimmten Situation, zum Beispiel Zittern, und das intentionale Objekt, etwa den Hund, der die Angst auslöst. Darüber hinaus kann bei „kognitiven“ Emotionen auch noch ein typischer Denkinhalt einer Rolle spielen, zum Beispiel mit Blick auf einen Bullterrier: „Bullterrier sind besonders kräftig und gefährlich.“ Das Ergebnis ist eine eigene Sorte von mentalen Zuständen, nämlich eine Emotion, die wir als komplexes Muster von charakteristischen Eigenschaften auffassen.
Emotionen für Dinge, die es gar nicht gibt
Laut Newen und Barlassina ist die neue Theorie auch der bislang ausgefeiltesten Gefühlstheorie von Jesse Prinz überlegen. Denn diese habe nicht berücksichtigt, dass eine Emotion auch auf ein Objekt gerichtet sein kann, das nicht anwesend oder nicht einmal existent ist. Ein Fallbeispiel: Karl geht mit seiner Freundin Antje in eine neue Bar. Weil Karl schon vom Barbesitzer Fritz bedient wurde, wartet Antje alleine an der Bar. Karl hört, wie sie beleidigt wird, sieht aber nicht von wem; er geht davon aus, dass es Fritz war. Zwischenzeitlich hat dieser jedoch den Raum verlassen und Mitarbeiter John ist an der Theke. Er hat die Beleidigung ausgesprochen und ist dann sofort gegangen. Als Karl zur Bar kommt, um seinem Ärger über die Beleidigung Luft zu machen, ist Fritz zurück. Karl ärgert sich über Fritz, aber die Ursache seiner Körperzustände, die mit dem Gefühl des Ärgers einhergehen, ist die Äußerung von John. Die kausale Ursache, John, und das Objekt des Ärgers, nämlich Fritz, fallen nicht zusammen. Bei dem Objekt des Ärgers spricht man auch vom intentionalen Objekt des Ärgers, weil es nicht existieren muss. Menschen können sogar Emotionen gegenüber etwas erleben, dass es gar nicht gibt, zum Beispiel vor Vampiren Angst haben. Während alle Gefühlstheorien das intentionale Objekt als einen wesentlichen Teil der Emotion übersehen, tendieren die kognitiven Theorien dazu, das intentionale Objekt und gegebenenfalls weitere Denkinhalte bestenfalls als Ursachen zu berücksichtigen. Erst die integrative Verkörperungstheorie berücksichtigt alle genannten Komponenten als konstitutiv für die Emotion.
Titelaufnahme
L. Barlassina, A. Newen (2013): The role of bodily perception in emotion: in defense of an impure somatic theory, Philosophy and Phenomenological Research, DOI: 10.1111/phpr.12041
Weitere Informationen
Prof. Dr. Albert Newen, Institut für Philosophie II, Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft, Tel. 0234/32-22139, E-Mail: albert.newen@rub.de
Redaktion: Dr. Julia Weiler
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