Neue Studie der Bertelsmann-Stiftung: Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland nur Mittelmaß
Die Bertelsmann-Stiftung stellte gestern ihren „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ vor, der gesellschaftlichen Zusammenhalt im internationalen Vergleich untersucht. Forscher der Jacobs University verglichen dazu im Auftrag der Stiftung 34 westliche Länder, indem sie Daten aus 25 Jahren auswerteten und zu einem Index zusammenfassten. Am stärksten ist der gesellschaftliche Zusammenhalt in Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland. Deutschland liegt nur im Mittelfeld. Schwach ist der gesellschaftliche Zusammenhalt besonders in den baltischen Staaten Litauen und Lettland sowie in den südosteuropäischen Ländern Bulgarien, Griechenland und Rumänien, die ganz unten im Ländervergleich stehen.
Die Studie definiert gesellschaftlichen Zusammenhalt als die Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders. Gesellschaften mit starkem Zusammenhalt zeichnen sich durch drei Bereiche aus: belastbare soziale Beziehungen, eine positive emotionale Verbundenheit ihrer Mitglieder mit dem Gemeinwesen und eine ausgeprägte Gemeinwohlorientierung. Als messbare Dimensionen wurden in der Studie folgende Aspekte berücksichtigt: Existenz und Ausprägung von sozialen Netzen, Vertrauen in Mitmenschen, Akzeptanz von Diversität, Identifikation mit dem eigenen Land, Vertrauen in Institutionen, Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Anerkennung sozialer Regeln sowie gesellschaftliche Teilhabe.
Untersucht wurden auch Rahmenbedingungen für starken Zusammenhalt. Als günstige Bedingungen für starken Zusammenhalt in Gesellschaften haben sich hier vor allem Wohlstand, eine ausgeglichene Einkommensverteilung und der Aspekt des technologischen Fortschritts hin zur Wissensgesellschaft herausgestellt. Die häufig verbreitete Meinung, dass Einwanderung den Zusammenhalt bedroht, hat sich nicht bestätigt. Der Anteil von Migranten in einer Gesellschaft hat keinen schwächenden Einfluss auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt.
Nach den nordeuropäischen Ländern gibt es ebenfalls einen hohen Zusammenhalt in den angelsächsisch geprägten Ländern Kanada und den Vereinigten Staaten sowie Australien und Neuseeland. Auch in den kleineren und wohlhabenden westeuropäischen Ländern Schweiz, Österreich oder Luxemburg ist der Zusammenhalt stark.
Deutschland rangiert im oberen Mittelfeld des Ländervergleichs. Besonders gut schneidet die Bundesrepublik bei der Anerkennung sozialer Regeln ab, während die Identifikation mit dem eigenen Land eher gering ausfällt. Insgesamt hat sich die Position von Deutschland im Zeitvergleich verbessert: Die Menschen haben starke soziale Netzwerke, ein hohes Vertrauen in gesellschaftliche und politische Institutionen und empfinden die gesellschaftliche Situation als gerecht. Eine mögliche Erklärung für die im Ländervergleich positive Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahren ist das relativ gute wirtschaftliche Abschneiden Deutschlands in diesem Zeitraum trotz der Finanzkrise. Anlass zur Sorge ist dagegen die schwache Ausprägung bei der Akzeptanz von Vielfalt. Im Vergleich zu den untersuchten Ländern ist Deutschland in den letzten Jahren sogar zurückgefallen. Die Akzeptanz von Vielfalt ist jedoch in modernen und heterogenen Gesellschaften ein wichtiger Aspekt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
„Ein besonders wichtiges und erfreuliches Ergebnis ist für uns, dass sich in den letzten Jahren immer deutlicher abzeichnet, dass Zuwanderung Gesellschaften des 21. Jahrhunderts stärkt und nicht etwa, wie noch vielfach vertreten, eine Gefahr für den Zusammenhalt darstellt“, kommentiert Klaus Boehnke, Professor of Social Science Methodology an der Jacobs University und einer der beiden Studienleiter, die Ergebnisse. „Zuviel Leitkultur schadet nur; eine Vielfalt der Lebensstile und eine ‚bunte Mischung‘ der Menschen, die in einem Land wohnen, schaffen hingegen Chancen für neue gesellschaftliche Verbundenheit und Solidarität.“
„Moderne Gesellschaften benötigen deshalb einen inklusiven gesellschaftlichen Zusammenhalt, der die Pluralität der Lebensentwürfe und Identitäten nicht nur als gegeben hinnimmt, sondern als Stärke zu begreifen sucht“, ergänzt Stephan Vopel, Programmleiter der Bertelsmann Stiftung. Besonderes Augenmerk müsse daher in Deutschland auf die Stärkung der Akzeptanz von Vielfalt gelegt werden. Zudem hänge die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit Deutschlands von weiterer qualifizierter Zuwanderung ab. Um als Zuwanderungsland attraktiv zu sein, brauche es eine Willkommenskultur, die auf der Akzeptanz von Vielfalt beruhe, so Vopel weiter.
Das Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt
Die Bertelsmann Stiftung stellt mit dem Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt ein Instrument zur Verfügung, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt im internationalen Vergleich misst. Ein fünfköpfiges Forscherteam der Jacobs University unter Leitung der beiden Soziologie-Professoren Klaus Boehnke und Jan Delhey werteten dazu im Auftrag der Stiftung Daten aus den letzten 25 Jahren und fassten sie zu einem Index zusammen. Hierzu griffen sie auf Daten aus zahlreichen internationalvergleichenden Studien zurück.
Die untersuchten Länder setzen sich aus den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und sieben weiteren westlichen OECD-Ländern (Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz, die USA und Israel) zusammen. Mit dem Instrument soll die gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte über den gesellschaftlichen Zusammenhalt, seine Ursachen und seine Folgen mit empirischen Grundlagen angeregt und unterstützt werden.
Weitere Infos unter: www.gesellschaftlicher-zusammenhalt.de
Fragen zu der Studie seitens der Jacobs University beantwortet:
Prof. Dr. Klaus Boehnke | Professor of Social Science Methodology
Tel.: +49 421 200-3401 | Email: k.boehnke@jacobs-university.de
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