Auf Schatzsuche im Datenchaos: Neue Software kann erstmals auch öffentlich zugängliche Proteom-D
Gemeinsam mit Kollegen aus Belgien und Norwegen haben Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Analytische Wissenschaften (ISAS) in Dortmund womöglich ein großes Problem der modernen Lebenswissenschaften gelöst: die automatisierte Analyse großer Mengen von Proteom-Rohdaten, die oft ungenutzt in öffentlichen Datenbanken schlummern. Solche Daten genauer zu untersuchen, war bislang extrem kompliziert: zu viele Dateiformate, zu große Datenmengen. Eine neue Software, die die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Journals „Nature Biotechnology“ vorstellen, kann die Daten automatisch in ein einheitliches Format umwandeln und auch gleich auswerten.
Gerade die so genannten Omics-Forschungsfelder produzieren mittels Hochdurchsatz-Techniken riesige Datenberge. Eine der wichtigsten Analysemethoden, vor allem im Bereich Proteomics, ist die Massenspektrometrie (MS): Sie wird genutzt, um aus großen Ansammlungen von Biomolekülen, etwa Zellen oder Geweben, die einzelnen Komponenten sowie deren Menge und Veränderungen zu ermitteln. Mittels Massenspektrometrie lassen sich die unterschiedlichen Bestandteile eines Gemisches nach ihrer Masse trennen, und das erlaubt wiederum eine Aussage über deren Konzentration und Zusammensetzung.
Dabei kommt es allerdings zu der paradoxen Situation, dass Wissenschaftler zwar unzählige Proben gleichzeitig analysieren, die entstehenden Daten aber oft nicht vollständig auswerten können. Um anderen Kollegen die Möglichkeit zu erneuten und weitergehenden Analysen (so genannten Re-Analysen) zu geben, werden die experimentellen Ergebnisse solcher Studien in der Regel auf Datenbanken wie „PRIDE“ (PRoteomics IDEntifications database) hochgeladen. Diese öffentlich zugänglichen „Repositories“ machen die Forschung transparent und vereinfachen den wissenschaftlichen Selbstregelungsprozess, bei dem Forschungsergebnisse und Studien von außenstehenden Wissenschaftlern geprüft und beurteilt werden – zumindest theoretisch. In der Praxis bleiben die Daten oft ungenutzt, und ihr Potenzial wird nicht erkannt.
Marc Vaudel, der am ISAS und am VIB Gent promoviert hat, glaubt, diese Lücke nun schließen zu können. Gemeinsam mit seinen Kollegen vom ISAS, dem VIB sowie der Universitäten in Gent und Bergen (weitere Projektpartner: siehe Hintergrundinfos) hat er das Programm „PeptideShaker“ entwickelt. Ursprünglich sollte die Software nur dazu dienen, die eigenen riesigen Datenmengen in den Griff zu bekommen, erklärt Dr. René Zahedi, der am ISAS die Arbeitsgruppe Systemanalyse leitet: „Als wir etwa im Jahr 2009 angefangen haben, „Peptide Shaker“ zu entwickeln, gab es nämlich noch keine andere Software zur qualitativ hochwertigen Analyse unserer vergleichsweise großen Datenmengen.“ Bald jedoch wurde den Wissenschaftlern bewusst, dass sie mit „Peptide Shaker“ eine Möglichkeit geschaffen hatten, auch Daten aus den öffentlichen Proteom-Datenbanken automatisch zu verwerten. Damit wird erstmals der gesamte Datenzyklus der Proteomanalyse abgedeckt.
Die Software nutzt nicht wie andere Programme nur einen Algorithmus, sondern gleich mehrere, so dass die von ihr erstellten Interpretationen und grafischen Auswertungen genauer und zuverlässiger werden. Im Gegensatz zu vielen anderen frei verfügbaren Programmen in diesem Bereich, so Zahedi, sei „PeptideShaker“ außerdem „wesentlich nutzerfreundlicher und leichter zu bedienen.“
Das Paper mit dem Titel „PeptideShaker enables reanalysis of MS-derived proteomics data sets“ ist in der Januar-Ausgabe von „Nature Biotechnology“ (Print: 12. Januar 2015; Online: 09. Januar 2015) erschienen.
DOI: 10.1038/nbt.3109
Hintergrundinfos:
Projektpartner:
Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften – ISAS – e.V.
Proteomics Unit, Department of Biomedicine, University of Bergen, Norway
Department of Clinical Medicine, University of Bergen, Norway
The KG Jebsen Centre for MS-research, Department of Clinical Medicine, University of Bergen, Norway
The Norwegian Multiple Sclerosis Competence Centre, Department of Neurology, Haukeland University Hospital, Bergen, Norway
Department of Medical Protein Research, VIB, Ghent, Belgium
Department of Biochemistry, Ghent University, Ghent, Belgium
Computational Biology Unit, University of Bergen, Norway
Omics:
Unter den Begriff „Omics“ fallen Teilgebiete der Biologie, die sich mit der Gesamtheit von bestimmten Zellbestandteilen beschäftigen. Das können zum Beispiel Gene, Fette, Kohlenhydrate oder Eiweiße sein. Unter „Proteomics“ versteht man etwa die Analyse aller Proteine einer Zelle oder eines Zellorganells. Dieser Bereich ist besonders wichtig, da Proteine sehr große Auswirkungen auf den Organismus haben. So besitzen die Zellen eines menschlichen Körpers zwar die gleiche DNA (Bauplan), können aber vollkommen unterschiedliche Funktionen und Eigenschaften haben, was für die Entwicklung höherer Organismen mit unterschiedlichen Geweben und Organen von grundlegender Bedeutung ist. Dies liegt vor allem daran, dass je nach Zelltyp aus der DNA teils unterschiedliche Proteine (Bausteine) in unterschiedlichen Mengen hergestellt werden. Die Proteomforschung versucht nun mit Hilfe modernster Technologien wichtige biologische Prozesse zu verstehen und Unterschiede in der Proteinzusammensetzung zwischen gesunden und erkrankten Zellen, Geweben und Patienten aufzuklären, um schließlich neue Möglichkeiten für die Diagnose und Therapie zu erschließen.
Leibniz-Gemeinschaft:
Das ISAS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 89 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen – unter anderem in Form der Wissenschaftscampi –, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 16.500 Personen, darunter 7.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,4 Milliarden Euro.
Weitere Informationen:
http://www.nature.com/nbt/journal/v33/n1/full/nbt.3109.html Link zur Studie
http://www.isas.de Website des ISAS
http://www.leibniz-gemeinschaft.de Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft