Daunen, Wolle & Co.
Warme Hülle für kalte Tage
BÖNNIGHEIM (ri) „Es gibt kein schlechtes Wetter – es gibt nur falsche Kleidung.“ Mit
den Wettereinbrüchen und eisigen Temperaturen gewinnt diese Binsenweisheit jedes
Jahr wieder an Aktualität. Aber welche Funktionen muss Kleidung überhaupt erfüllen
und wie schaffen moderne Materialien das? Dr. Andreas Schmidt, Abteilungsleiter des
Bereichs „Function and Care“ an den Hohenstein Instituten in Bönnigheim untersucht
und optimiert den Tragekomfort von Kleidung und kennt die Antworten:
Was sind die Grundfunktionen von Kleidung?
Kleidung hilft dem Menschen, sich dem Umgebungsklima gegenüber zu behaupten.
D. h. sie muss uns einerseits warm halten und andererseits die Verdampfung des
Schweißes ermöglichen, so dass der Körper bei Bedarf ausreichend gekühlt wird.
Warum tragen wir Kleidung und kein Fell?
Der Verlust des Felles stellt in der Geschichte der Menschwerdung einen Meilenstein
dar. Fast alle Säugetiere regulieren ihre Körpertemperatur über die Atmung, was
den Umfang der Wärmeabfuhr aber stark einschränkt. Der Frühmensch nutzte zur
Wärmeabfuhr dagegen den ganzen Körper und wurde damit in Punkto Ausdauer und
Anpassungsfähigkeit den meisten Tieren überlegen. Wirklich effektiv ist die Fähigkeit
zu schwitzen jedoch nur, wenn kein Fell die Luftzirkulation behindert. Im Laufe der
Evolution verlor der Mensch deshalb weitgehend sein Körperhaar.
Die Besiedelung kälterer Weltregionen wurde für den Frühmenschen in der Folge nur
durch die Erfindung schützender Kleidung möglich. Aber selbst unter klimatischen
Bedingungen, die einen Körperschutz durch Kleidung eigentlich unnötig machen,
entwickelten sich im Rahmen der kulturellen Entwicklung aus ethisch-religiösen
Motiven heraus typische Bekleidungsformen.
Warum muss unser Körper vor Kälte geschützt werden?
Der Mensch ist wie alle Säugetiere ein Warmblüter, dessen Temperatur (37°C) im
Körperkern, also in Kopf und Rumpf, in recht engen Grenzen konstant gehalten werden
muss. Schon eine geringe Abweichung der Kerntemperatur um 2°C nach oben oder
unten kann im Körper zum Versagen wichtiger Funktionen führen.
Durch die Organ- und Muskeltätigkeit wird im Körper ständig eine wechselnde
Menge von Wärme produziert, dieser „Leistungsumsatz“ wird in Watt angegeben.
Um die Temperatur im Körperkern konstant zu halten, müssen Wärmeproduktion
und Wärmeabgabe des Menschen gleich groß sein. Dazu bedarf es komplizierter
Regelmechanismen. So wird z. B. durch die Verdunstung von Schweiß auf der
Haut dem Körper sehr effektiv Wärme entzogen. In kalter Umgebung verringert der
Körper die Durchblutung von Händen und Füßen und reduziert so die Wärmeabgabe.
Durch Muskelzittern bei Kälte kann der Körper Wärme produzieren. Durch die große
Oberfläche der Haut, kann der Mensch mehr Körperwärme über die Haut abgeben als
zum Beispiel durch das Ausatmen von warmer Luft.
Der Mensch kann sich an verschiedene Temperaturen anpassen. So herrscht an
der Körperoberfläche größere Toleranz gegenüber Temperaturabweichungen.
Am Rumpf, in dem sich die lebenswichtigen Organe befinden, sind die tolerierten
Abweichungen am kleinsten. An Händen und Füßen akzeptieren wir hingegen
Temperaturabweichungen nach unten um 10°C und mehr.
Wie hält uns Kleidung warm?
Es sind nicht die textilen Materialien der Kleidung, die uns warm halten – sondern
die von der Kleidung festgehaltene Luft: Aufgabe der Kleidung ist es, für eine
Luftschicht um den Körper herum zu sorgen, die als Isolationsschicht gegenüber dem
Umgebungsklima dient. Ähnlich wie bei einer Thermoskanne, wird die vom Körper
erzeugte Wärme durch das Luftpolster in der Kleidung am Körper gehalten. Jedes
Fasermaterial, egal ob Wolle, Seide oder Chemiefaser, hat eine mindestens zehnmal
so hohe Wärmeleitfähigkeit wie Luft.
Entscheidend dafür, wie warm wir ein Kleidungsstück empfinden, ist deshalb
dessen Fähigkeit, Luft zwischen den Fasern festzuhalten und den Austausch mit der
Umgebungsluft zu unterdrücken. Nach diesem Prinzip funktionieren in der Natur auch
die Felle von Säugetieren und das Gefieder von Vögeln.
Deshalb muss ein Kleidungsstück aber nicht nur einen guten Wärmeisolationswert
bieten, abhängig vom Einsatzbereich muss es auch winddicht sein, damit das
isolierende Luftpolster nicht zerstört wird. Außerdem spielt die Konfektion, d.
h. die Schnittgestaltung und Verarbeitung, eine große Rolle: So verhindern
elastische Gummibündchen zum Beispiel, dass durch die Körperbewegungen ein
übermäßiger Luftaustausch stattfindet, was den wärmenden Effekt der Kleidung
erhöht. (Verschließbare) Ventilationsöffnungen zum Beispiel unter den Achseln
helfen andererseits durch den Luftaustausch mit der Umgebung überschüssige
Wärmeenergie in Belastungssituationen nach außen abzuleiten.
Und was passiert, wenn wir ins Schwitzen geraten?
Körperliche Aktivität erhöht die Wärmeproduktion des Körpers. Damit dieser in der
Folge nicht überhitzt, kommen wir zum Beispiel beim Skifahren auch bei frostigen
Temperaturen ins Schwitzen. Über die Verdunstung des Schweißes auf der Haut
wird dem Körper überschüssige Wärme entzogen. Um dies zu ermöglichen, muss
die Feuchtigkeit aber auch vom Körper weggeleitet werden. Bei manchen Ski-
Anzügen befinden sich deshalb unter den Achseln Lüftungsschlitze, die vom Träger
bei Bedarf geöffnet werden können. Moderne Membranmaterialien lassen zudem den
Schweißdampf nach außen entweichen und bieten dennoch einen effektiven Schutz
gegen Nässe und Wind.
Kann der Schweiß aber nicht vom Körper weggeleitet und an die Umgebung
abgegeben werden, sammelt er sich in den hautnahen Schichten der Kleidung.
Dies ist nicht nur unangenehm, sondern kann bei sinkendem Aktionsgrad und damit
reduzierter Wärmeproduktion sogar gesundheitsgefährdend werden. Da Wasser
ein hervorragender Wärmeleiter ist, verliert der Mensch durch nasse, am Körper
anliegende Kleidung viel Wärme dies sorgt zusammen mit dem Energieentzug
durch die Verdampfung für ein starkes Auskühlen. Den gleichen Effekt können
wir im Sommer beobachten, wenn die von feuchter Badekleidung bedeckte Haut
unangenehm kalt wird.
Wie unterscheidet sich moderne Winterkleidung von der vor 50 Jahren?
Noch bis in die 1960er Jahre hinein wurde für Kleidung fast ausschließlich
Naturmaterialien wie Wolle, Baumwolle, Leinen, Leder und Pelze verarbeitet. Zwar
wurden bereits 1935 mit `Nylon´ von Dr. Wallace Hume Carothers in den USA und
1938 mit `Perlon´ von Dr. Paul Schlack in Berlin die ersten synthetische Textilfasern
entwickelt. Den Durchbruch schafften die Chemiefasern allerdings erst, als man gelernt
hatte, sie hinsichtlich der gewünschten Eigenschaften gezielt zu beeinflussen.
So lässt sich durch die Einstellung der Faserfeinheit und damit -steifigkeit sowie
besondere Verarbeitungstechniken die Menge der eingeschlossenen Luft im Textil
und damit die Wärmeisolation steuern und maximieren. In Jacken oder Schlafsäcken
eingearbeitete Vliesmaterialien aus röhrenförmigen Hohlfasern mit hoher Bauschkraft
erreichen so Werte bei der Wärmeisolation, die an diejenigen von Daunenfüllungen
heranreichen. Da die Hohlfilamente relativ steif sind können sie auch nicht so leicht
zusammengedrückt werden und bewahren auch unter Belastung ihr wärmendes
Luftpolster.
Im Bereich des Regen- und Windschutzes haben sich Membran-Systeme seit ihrer
Einführung Ende der 1970er etabliert. Die Membranen können aus unterschiedlichen
Hightech-Materialien bestehen: Die Poren von porösem Polytetrafluorethylen zum
Beispiel sind kleiner als der kleinste Wassertropfen und lassen somit keinen Regen
eindringen. Sie sind aber größer als ein einzelnes Wasserdampfmolekül, so dass der
gasförmige Schweiß nach außen verdampfen kann. Auch aus speziellem Polyester
oder Polyurethan werden Membranen hergestellt, die ebenfalls Wassertropfen
nicht nach innen aber Schweißdampf nach außen lassen und den Wind effektiv
abhalten. Einen guten Schutz vor einem Regenguss und eisigen Winden bietet zwar
auch der klassische Friesennerz mit PVC- oder Polyurethan (PU) beschichtetem
Baumwollgewebe – die Atmungsaktivität ist hier jedoch gleich Null, weswegen der
Träger nach kurzer Zeit durch seinen eigenen Schweiß nass wird und unangenehm
auskühlt.
1980 wurde die österreichische Damenmannschaft für die Winterolympiade in
Lake Placid mit der weltweit ersten zweischichtigen Unterwäsche ausgestattet,
die zusammen mit den Wissenschaftlern der Hohenstein Institute in Bönnigheim
entwickelt worden war. Seither bieten die modernen Funktionstextilien Profis wie
Freizeitsportlern beim Wärme- und Feuchtemanagement klare Vorteile gegenüber
traditioneller Baumwollwäsche: Die auf der Haut aufliegenden Chemiefasern des so
genannten Double-Face-Materials leiten den Schweiß schnell und effektiv vom Körper
weg in die außen liegende Baumwolle. In Kombination bieten die beiden Materialien
durch das trockenere Gefühl am Körper einen deutlich besseren Tragekomfort als
Baumwollwäsche.
Die Entwicklungen sind in diesem Bereich noch lange nicht am Ende angelangt. Auch
an den Hohenstein Instituten werden ständig neue Materialkombinationen und –
Modifikationen auf ihre Vorteile beim Tragekomfort hin überprüft.
Wie kann ich den Tragekomfort von Bekleidung im Laden beurteilen?
Selbst für den Fachmann ist es schwierig, den Tragekomfort eines Kleidungsstückes
allein anhand des Augenscheins zu beurteilen. Die Aussagen der Hersteller sind zum
Teil recht blumig, aber untereinander kaum vergleichbar. Wer also wissen möchte,
welcher Skianzug gute Wärmeisolation bietet, beim Aprésski aber den Schweiß
nicht in Strömen fließen lässt oder welche Sportunterwäsche den Schweiß am
besten aufnimmt ohne unangenehm auf der Haut zu „kleben“, ist auf eine objektive,
herstellerunabhängige Beurteilung angewiesen. Diese bietet die Tragekomfortnote,
wie sie von den Hohenstein Instituten basierend auf einer Reihe von Messwerten
ermittelt wird. Die Tragekomfortnote, in der Regel in Verbindung mit dem Hohensteiner
Qualitätslabel am Produkt ausgewiesen, reicht von 1 „sehr gut“ bis 6 „ungenügend“.
Sie deckt sowohl die thermophysiologischen Eigenschaften eines textilen Materials
ab, wie z. B. Wärmeisolation, Atmungsaktivität und Feuchtemanagement, als
auch die hautsensorischen Aspekte des Tragekomforts, d. h. ob die Textilien als
angenehm weich und anschmiegsam empfunden werden oder im Gegensatz dazu
als unangenehm kratzend bzw. auf der schweißfeuchten Haut anklebend. Für all
diese Eigenschaften von Textilien haben die Hohensteiner Wissenschaftler objektive
Messmethoden entwickelt, deren Ergebnisse in die Berechnung der Tragekomfortnote
einfließen.
Was bei Kleidung für den Normalbürger freiwillig ist, ist bei Kälteschutzkleidung
für den professionellen Einsatz (z. B. im Kühlhaus) heute schon Pflicht: Hier
muss der Hersteller die Wärmeisolation prüfen lassen und das Ergebnis auf der
Kleidung auszeichnen. Der Anwender kann dann anhand einer Tabelle, die in
der dazugehörigen Norm angegeben ist, bestimmen, wie lange die Kleidung bei
vorgegebener Arbeitsschwere und Umgebungstemperatur getragen werden kann.
Wie sieht das ideale Outfit für kaltes Wetter aus?
Die Allround-Bekleidung für jede Temperatur wird es auch in absehbarer Zeit nicht
geben. Ziel der bekleidungsphysiologischen Forschung ist es deshalb zu ermitteln,
welche Kleidung für welchen Zweck und Einsatzbereich angemessen ist und
entsprechende Hinweise für den Träger zu geben. Bei Schlafsäcken kann man das
Ergebnis dieser Arbeit bereits hautnah erleben: Dort wird nach einem normierten
Verfahren der Temperaturbereich ermittelt und am Produkt ausgewiesen, in dem
dieses zum Einsatz kommen kann, ohne dass sich der Nutzer unwohl fühlt oder
gesundheitliche Schäden zu befürchten sind. Auch bei Bettwaren lässt sich mit einem
von den Hohenstein Instituten entwickelten System anhand einer Grafik die optimale
Bettdecke, abhängig von der Umgebungstemperatur und dem Körpergewicht des
Schläfers, ermitteln.
Bei Bekleidung ist, anders als bei Schlafsäcken und Bettdecken, der Aktivitätsgrad
und die damit verbundene unterschiedliche Wärmeproduktion des Körpers
zu berücksichtigen. Hier gilt es nach wie vor, bei kalter Witterung das
„Zwiebelschalenprinzip“ anzuwenden, d. h. mehrere Kleidungsschichten übereinander
zu tragen, die nach Bedarf abgelegt werden können. Bei deren Auswahl sollte man
aber unbedingt die o. g. Überlegungen zum Wärme- und Feuchtetransport im Auge
behalten und die einzelnen Kleidungsstücke aufeinander abstimmen, um ein optimales
Wärme- und Feuchtemanagement sicherzustellen. Denn mit der richtigen Kleidung gibt
es kein schlechtes Wetter.
Weitere Informationen:
http://www.hohenstein.de/de/inline/pressrelease_33280.xhtml?excludeId=33280
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