Tanz und Identität. Der sorbische Volkstanz zwischen »gelebter« und »gezeigter« Kultur
In der Schriftenreihe des Sorbischen Instituts erschien kürzlich die Untersuchung „Der Sorbische Volkstanz in Geschichten und Diskursen“ von Dr. Theresa Jacobs. Die 2012 in Leipzig verteidigte Dissertation geht erstmals kritisch den Diskursen um Authentizität, Originalität und Tradition im Volkstanzgeschehen der Lausitzer Sorben nach. Die Veröffentlichung schließt eine zentrale Forschungslücke der sorabistischen Musikwissenschaft und Kulturgeschichte. Zugleich verspricht der von Jacobs entwickelte wissenssoziologische Ansatz der Gegenüberstellung von »gelebter« und »gezeigter« Kultur auch für die breitere kulturwissenschaftliche Forschung neue methodische Impulse.
Volkstänze werden in der Regel mit einer historisierenden Bild- und Formensprache, mit traditionellen Trachten, Instrumenten und Gesängen assoziiert. Doch was dieses Phänomen, etwa im Gegensatz zum Gesellschaftstanz, genau auszeichnet und ob es sich überhaupt hinreichend definieren lässt, ist in der Wissenschaft keineswegs unumstritten. Selbst in der Praxis lässt sich ein vergleichbarer, anhaltender Dissens zwischen den verschiedenen volkstanzenden Akteuren und Deutungseliten beobachten. Volkstänze befinden sich somit in einem performativen Kontinuum zwischen »gelebter«, alltagsweltnaher Populärkultur und »gezeigter«, professionalisierter Bühnenkunst.
Was aber macht bestimmte populäre Tänze zu Volkstänzen? Dieser Frage geht Theresa Jacobs in ihrer Untersuchung am Beispiel der Tanztraditionen der Lausitzer Sorben nach. Dabei blickt sie gleichermaßen auf historische Wurzeln, den Prozess der Institutionalisierung und Professionalisierung, die Rezeptionsgeschichte sowie die gegenwärtige Pflege der zum »Sorbischen Volkstanz« stilisierten Tänze.
Die Untersuchung wirft zugleich einen kritischen Blick auf die Regeln und Mechanismen, die es professionellen Ensembles und Laienvolkstanzgruppen ermöglichen, den Spagat zwischen folklorisierender Bewahrung und künstlerischer Innovation zu bewältigen. Während ihrer Forschungen besuchte Jacobs zahlreiche sorbische Tanzvereine und -ensembles, begleitete sie bei Proben und Auftritten sowie auf Feste und Festivals. Sie sprach mit Tänzern, Choreografen und weiteren Beteiligten über ihre Arbeitsweisen und ihre Auffassungen vom Wesen und der Funktion des Sorbischen Volkstanzes einst und jetzt. Dass dieser kein angestaubtes und altertümliches, sondern ein durchaus dynamisches, modernes Phänomen darstellt, unterstreichen vor allem die individuellen Deutungen der Akteure, die Theresa Jacobs in ihrer Untersuchung neben populäre und wissenschaftliche Diskurse stellt.
Veröffentlichung:
Theresa Jacobs: Der Sorbische Volkstanz in Geschichten und Diskursen (Schriften des Sorbischen Instituts, 59), Domowina Verlag Bautzen 2014, 248 Seiten.
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Das Sorbische Institut/Serbski Institut mit Sitz in Bautzen und Cottbus ist eine außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtung, die sich der Erforschung von Sprache, Geschichte und Kultur der Lausitzer Sorben in interdisziplinärer und vergleichender Absicht widmet. In seiner Schriftenreihe sind seit 1992 bereits 59 Bände erschienen. Sie befassen sich aus unterschiedlicher Perspektive mit aktuellen Fragen der sorabistischen und slawistischen Forschung, der vergleichenden Minderheitenforschung sowie der regionalen Geschichts- und Kulturforschung.
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