Ein Abschied ohne Abschied von Rechtsphilosoph Robert Alexy
Rund 200 geladene Gäste waren gekommen, als Professor Dr. Dr. h.c. mult. Robert Alexy heute (Freitag, 17. Juli) seine Abschiedsvorlesung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hielt. Mit der bloßen Aufzählung seiner bisher vierzehn Ehrendoktorwürden, seiner prägenden wissenschaftlichen Errungenschaften und internationalen Preise, seiner mehrsprachigen Fachbücher oder seiner legendären Lehrveranstaltungen werde man diesem herausragenden Rechtsphilosophen noch nicht gerecht. Darin waren sich Professor Florian Becker, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, und Professor Andreas Hoyer, Vorsitzender des Vereins Doctores Iuris, in ihren Grußworten einig.
„Wir erleben hier heute die Abschiedsvorlesung eines Juristen“, so Florian Becker, „der ganz sicher zu den international sichtbarsten und berühmtesten deutschen Rechtswissenschaftlern unserer Zeit gehört.“ Aber Alexy sei nicht nur ein Ausnahmeforscher: „Er beherrscht die Kunst, den Studierenden des ersten Jahres die Fundamente des öffentlichen Rechts – die Staatsorganisation und die Freiheitsrechte – in einer anspruchsvollen und dennoch anschaulichen Weise zu vermitteln. Daran müssen wir jüngeren Kolleginnen und Kollegen des Öffentlichen Rechts uns bis heute messen lassen.“
Hier, an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, habe Robert Alexy zudem sein rechtsphilosophisches Werk seit 1986 entwickelt und entfaltet. Dadurch habe er diesen Ort „jahrzehntelang zu einem Mekka der Rechtsphilosophie geadelt“, würdigte Andreas Hoyer: „Die von Alexy hier in Kiel begründete rechtsphilosophische Schule wird von drei geistigen Säulen getragen und von zahlreichen Schülern fortgeführt.“ Die erste Säule besteht in dem Gedanken, dass positives Recht und Gerechtigkeit bzw. Moral notwendig miteinander verbunden sind. Die zweite Säule besteht in der Zuversicht, dass Annäherungen an das möglich sind, was mit dem großen Wort „Gerechtigkeit“ bezeichnet wird. Die rechtstheoretische Unterscheidung zwischen Prinzipien, die für Abwägungsprozesse offen sind, und Regeln, bei denen eine strikte Relation zwischen Tatbestand und Rechtsfolge besteht, stellt die dritte Säule dar.
Der Ausnahmegelehrte
Professor Robert Alexy, der in wenigen Wochen seinen 70. Geburtstag feiert, wird damit – zumindest formell – ein Ruheständler. Alexys große Leidenschaft galt von Anfang an der Philosophie. Also studierte er in Göttingen dieses Fach fürs Herz und widmete sich mit Blick auf den Broterwerb zusätzlich der Juristerei. Dass er später beides als Rechtsphilosoph geradezu perfekt miteinander verbinden konnte, betrachtet er als größten Glücksfall seines Berufslebens.
„Theorie der juristischen Argumentation“ heißt der Titel der Arbeit, die dem Sohn eines Oberpostdirektors aus Oldenburg in Oldenburg den Doktortitel bescherte. Und noch viel mehr: Das Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und brachte dem jungen Juristen den Preis der Philologisch-Historischen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ein. Weniger wegen des für damalige Verhältnisse enormen Preisgeldes von 8.000 Mark ist ihm diese Auszeichnung trotz vieler weiterer Preise die wichtigste, sondern wegen ihrer richtungsweisenden Bedeutung: „Von da an war klar, dass ich in der Wissenschaft bleiben würde.“
Dankbar dafür dürfte nicht allein die Wissenschaft sein. Alexy, dessen Schriften in 23 Sprachen erschienen sind, hat auf dem ganzen Globus auch die Praxis beeinflusst. Als Experte zur Theorie der Grundrechte prägte er entscheidend die Argumentationsstrukturen der obersten Verfassungsgerichte in Israel, Portugal und vielen weiteren Staaten.
Erhalten hat er sich bei aller Routine die Lust am intellektuellen Disput. „Die Wissenschaft lebt von Kritik“, sagt der Mann, der jüngst bei einer Tagung zu seinen Ehren ausdrücklich seinen größten fachlichen Gegner einladen ließ: „Es war toll.“ Streitbar werden die Rechtsphilosophen gern dann, wenn es ums Grundsätzliche geht. Im Gegensatz zur positivistischen Schule ist Alexy dabei überzeugt, „dass Recht notwendigerweise mit Gerechtigkeit zu tun hat“. Und wenn trotzdem ungerechte Urteile fallen? „Dann sind sie falsch.“
Als Freund der mathematischen Logik hält Robert Alexy ohnehin viel von den Begriffen richtig und falsch. Zu seinen bemerkenswerten Arbeiten zählt eine mathematische Formel zur Kunst der Abwägung. Die ist ausgerechnet in der Praxis sehr gefragt, weil sie als prima Grundlage gilt, wenn es in der Rechtsprechung um Fragen der Verhältnismäßigkeit geht.
Dass der Jurist, der sein erstes Staatsexamen mit der in seiner Zunft sensationellen Note von 1,0 bestand, regelmäßig die größten Hörsäle füllt und als exzellenter Lehrer gilt, fügt sich ins Bild dieses Ausnahmegelehrten. Ungefähr 50 Doktorarbeiten hat er in seiner Laufbahn betreut, seine Schülerinnen und Schüler sind heute in aller Welt als Professoren tätig.
Der Universität Kiel, der er seit 1986 angehört, wird der 14-fache Ehrendoktor weiterhin erhalten bleiben. Er betreut mehrere Promotionen, bereitet für eine zu seinem 70. Geburtstag anberaumte Tagung in Brasilien einen Vortrag zum Thema „Ideales Sollen“ vor und will sich mehr Zeit für den Dialog mit jenen nehmen, die ihn kritisieren. Und ja: Ein Buch über Immanuel Kants Rechtsphilosophie steht auch noch auf dem Programm des notorischen Tag- und Nachtarbeiters.
Weitere Informationen:
http://www.uni-kiel.de/pressemeldungen/index.php?pmid=2015-269-alexy ab 17:30 Uhr
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