Ernährungstrends liegen im Trend
Ob vegan, Paleo oder Clean-Eating, ob Rohkost, laktose- oder zuckerfrei – nie gab es so viele Ernährungstrends wie heute. Und nie waren die Diskussionen um die richtige Ernährung so kontrovers. Wir sind auf der Suche nach der maßgeschneiderten Ernährung, die uns gibt, was wir uns wünschen – Gesundheit, Schönheit, Anerkennung. Doch kann das die Ernährung tatsächlich leisten?
Das diesjährige Heidelberger Ernährungsforum der Dr. Rainer Wild-Stiftung zeigte, dass die Ansprüche an unser Essen immer differenzierter werden; unsere Ernährungsweise gleicht einer Weltanschauung; sie wird zum Statussymbol und zum Ausdruck des persönlichen Lebensstils. Viele der aktuellen Ernährungstrends werden durchaus kritisch gesehen: Oft versprechen sie mehr als sie aus wissenschaftlicher Sicht tatsächlich halten. Denn der Verzicht auf Gluten oder Laktose macht nicht per se gesund, schlank oder schön. Ganz im Gegenteil – vor allem radikale Ernährungsformen können zu Mangelerscheinungen oder auch zu Orthorexie führen. Viele Trends, so hieß es immer wieder, sind vor allem eine Goldgrube für die Lebensmittelindustrie und gerade „frei-von“ wird zur beliebten Marketing-Strategie. Und nicht zuletzt stellen die hohen und differenzierten Anforderungen an unser Essen die Gemeinschaftsverpflegung wie auch jede gemeinsame Mahlzeit vor große Herausforderungen. Die Frage, wie viel Differenzierung möglich ist, ist nur schwer zu beantworten – vielleicht sollte man gar nicht versuchen, immer allem und jedem gerecht zu werden.
Auf der anderen Seite zeigte die Tagung, dass die aktuellen Ernährungstrends durchaus auch positive Seiten haben: Im reichhaltigen Lebensmittelangebot bieten sie dem Verbraucher Orientierung, denn was ein Veganer essen „darf“ und was nicht, ist relativ klar definiert. Ernährungstrends eröffnen zudem neue Perspektiven und haben Potenzial für soziale Innovation. So können sich aus Trends wie Urban Gardening oder Clean Food durch das gemeinsame Pflegen von Gärten auch neue Gemeinschaftsstrukturen entwickeln. Und mancher Trend wird zum Mainstream – mit durchaus positivem Effekt für Gesundheit und Umwelt, wie das Beispiel des Vegetarismus zeigt.
„Das Gros der aktuellen Ernährungstrends lässt vermuten, dass sie eine von vielen Ausdrucksformen dafür sind, dass das Zeitalter der Gesundheit als zentraler Motor wirtschaftlicher Entwicklung tatsächlich angebrochen ist“, resümiert Dr. Gesa Schönberger von der Dr. Rainer Wild-Stiftung. Dabei bleibe spannend, wie das Bedürfnis nach individuellen Ausdrucksformen – vegetarisch ja, Laktose nein? – mit der Mahlzeit als Urform des sozialen Zusammenlebens in Einklang zu bringen ist. Schließlich teilen wir nicht nur den Tisch, sondern auch das Essen. „Wir stehen heute vor der großen Herausforderung, eine eigene Haltung zu entwickeln und zu wissen, warum wir etwas essen – oder eben nicht essen. Und das gilt für Beteiligte in der Gemeinschaftsverpflegung ebenso wie für jeden Essenden selbst.“
Das Heidelberger Ernährungsforum „Individualisierung der Ernährung.
Zwischen Ideologie, Allergie und kulinarischem Lifestyle“ fand am 23. und 24. September 2015 in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Tutzing statt.
Weitere Informationen:
http://www.gesunde-ernaehrung.org ausführlicher Tagungsbericht