Volkskrankheit Schmerz - Versorgung in Deutschland defizitär!
Auf Einladung der Deutschen Schmerzliga e.V. (DSL), der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und des Berufsverbands der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) diskutierten beim „Nationalen Versorgungsforum Schmerz“ Schmerzmediziner, Parlamentarier des Deutschen Bundestags, Vertreter von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie Patienten über Konzepte für eine bessere Schmerzversorgung in Deutschland. Die einhellige Meinung Teilnehmer: Die Versorgung ist aktuell unzureichend. Nicht zuletzt belegt das die seit Jahren kontinuierlich steigende Anzahl von Patienten mit chronischen Schmerzen.
„Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz steigt die Anzahl vergeblich hilfesuchender Schmerzpatienten von Jahr zu Jahr, täglich ist die Deutsche Schmerzliga an ihrem Schmerztelefon mit verzweifelten, hilfesuchenden Patienten konfrontiert, deren Schmerzproblem auch nach mehreren Arzt- und Klinikbesuchen nicht gelöst werden konnte“, so PD Dr. Michael A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga e.V. „So wie sie im Moment gestaltet ist, funktioniert die Schmerzversorgung in Deutschland einfach nicht. Ob ein Patient einen Arzt findet, der sich in der Schmerzmedizin engagiert, ist rei-ner Zufall“, betont der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), Dr. Gerhard Müller-Schwefe. Der Vorsitzende des Berufsverbands der Ärzte und Psycho-logischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD), Prof. Dr. Joachim Nadstawek, erklärt: „Die ambulante schmerzmedizinische Ver-sorgung in Deutschland ist bundesweit insgesamt katastrophal. Wir haben zu wenige nie-dergelassene Schmerzmediziner, die unter unsicheren und ökonomisch nicht tragfähigen Rahmenbedingungen arbeiten. Dringend benötigter Nachwuchs wird so eher abge-schreckt, als gefördert. Zukunftsweisende Reformkonzepte, die auf dem Tisch liegen, müssen endlich politisch umgesetzt werden.“
23 Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Etwa 2,8 Millio-nen dieser schwerst betroffenen Patienten benötigen dringend eine spezielle schmerzme-dizinische Behandlung. „Es gibt aber nur etwa 400 Kollegen, die Schmerzpatienten in Vollzeit versorgen: Nötig wären für eine flächendeckende Versorgung mindestens 10.000“, so Müller-Schwefe. Die meisten Patienten irren derzeit in einer Odyssee durch das Gesundheitswesen, sagt der Vorstandsvorsitzende der Kaufmännischen Krankenkas-se KKH, Ingo Kailuweit: „Versicherte fühlen sich in erheblichem Umfang mit ihren Schmerzen alleingelassen, obwohl es eine Vielzahl von Therapieoptionen gibt.“
Politik sieht erheblichen Optimierungsbedarf
Auch quer durch die im Bundestag vertretenen Parteien wird die schmerzmedizinische Versorgung in Deutschland kritisch gesehen. So konstatiert Maria Klein-Schmeink, MdB und gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, schwere Versorgungs-lücken und ein Versagen der Selbstverwaltung. Die SPD-Abgeordnete Heike Baehrens, MdB, fordert, das Fachgebiet Schmerzmedizin innerhalb der ärztlichen Strukturen zu stärken: „Die Versorgungslandschaft ist einfach zu unterschiedlich, je nachdem, wo die Patienten leben. Insgesamt haben wir noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Die Ärzte-schaft ist gefragt, hier noch einmal Klärungen vorzunehmen.“
Ganz ähnlich argumentiert Maria Michalk, MdB und gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU. Sie weist darauf hin, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Versorgungsstär-kungsgesetzes dem Gemeinsamen Bundesausschuss den Auftrag gegeben hat, die Be-darfsplanung für die ambulante medizinische Versorgung bis Ende 2016 zu überarbeiten. „Wir werden das Problem der schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland aber nicht allein über die Bedarfsplanung lösen können. Auch in der Ausbildung von Jungmedi-zinern und in der Weiterbildung muss die Schmerzmedizin besser repräsentiert sein.“
Auch Harald Weinberg MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE kon-statiert: „Aus meiner Sicht ist Schmerzmedizin immer noch unterbewertet.“ Er sei dafür, Schmerzmedizin als Fachrichtung aufzuwerten und die spezialisierte Schmerzmedizin als Planungskriterium in die kassenärztliche Bedarfsplanung aufzunehmen.
Dutzende Arztkontakte pro Jahr sind die Regel
Was die derzeitigen Versorgungsdefizite in der Schmerzmedizin für die Patienten bedeu-ten, macht PD Dr. Michael Überall deutlich: „Aus dem ersten diagnostischen Schritt wird für viele Patienten eine lebenslange Reise, bei der sie regelmäßig unterstellt bekommen, sich Vorteile erschleichen zu wollen.“ Schwerkranke Schmerzpatienten bräuchten dage-gen dringend eine verlässliche Führung vom Arzt, erklärt Birgitta Gibson, Vizepräsidentin der Deutschen Schmerzliga e.V. Als Betroffene weiß sie, wie sich Patienten fühlen, die diese beschwerliche Odyssee durchleben, weil sie von Arzt zu Arzt geschickt werden.
KKH-Vorstand Ingo Kailuweit kann das mit Zahlen untermauern: „Wir sehen beim Durch-schnitt der langjährigen Schmerzpatienten 44 Arztkontakte pro Jahr.“ Und die Versor-gungsdefizite dürften auch aus demographischen Gründen in den nächsten Jahren weiter zunehmen. „Ich glaube wirklich, es ist fünf vor zwölf. Wir müssen uns intensiv damit auseinandersetzen, wie wir die Zukunft der Schmerzversorgung in den Griff bekommen.“
Konzepte für eine bessere Schmerzversorgung
Im ersten Schritt müsse die schmerzmedizinische Versorgung von Patienten mit akuten und chronischen Schmerzen konsequent weiter ausgebaut werden, in definierten Struk-turen und auf verschiedenen Versorgungsebenen, ausgehend vom Hausarzt als ersten Ansprechpartner für den Patienten, über die fachgebietsspezifische ärztliche und psycho-therapeutische Praxis bis zur interdisziplinären schmerztherapeutischen Einrichtung. Da-bei sollten die bereits jetzt erreichten Standards einer hochqualifizierten Versorgung nicht verwässert werden, so Dr. Rupert Pfandzelter, Kassenärztliche Bundesvereinigung.
DSL, DGS und BVSD fordern vor allem eine ambulante, freiberufliche und wohnortnahe Versorgung durch schmerzmedizinisch qualifizierte Ärzte im Rahmen eines abgestuften Versorgungsmodells vom Hausarzt bis zum ausgewiesenen Schmerzmediziner: Maß-nahmen wie die Berücksichtigung der Schmerzmedizin in der Bedarfsplanung, eine bes-sere schmerzmedizinische Ausbildung, die (flächendeckende) Umsetzung angemessener Vergütungsmodelle sowie die Einführung des Facharztes für Schmerzmedizin müssten dabei Hand in Hand gehen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, haben wir in zehn Jahren sieben Millionen Schmerzpatienten mehr“, so Überall. „Wir brauchen dringend eine individualisierte, den Patientenbedürfnissen gerecht werdende Versorgung.“
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Kontakt:
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)
Dr. Heinz Beitinger, Tel.: 06171 - 2860 81
Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD)
Wolfgang Strassmeir, Tel.: 030 - 288 672 60
Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL)
PD Dr. Michael Überall, Tel.: 06171 - 28 60-53
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DGS / DSL
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nicole.zeuner@selinka-schmitz-pr.de
BVSD
Wolfgang Straßmeir
Tel. 030 / 2 88 67 260
ws@bv-schmerz.de
Quelle:
Nationales Versorgungsforum Schmerz der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), des Berufsverbands der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) und der Deutschen Schmerzliga e.V. (DSL) „Schmerzmedizinische Versorgung ambu-lant und wohnortnah“, 12. November 2015, Berlin
Weitere Informationen:
http://www.dgschmerzmedizin.de
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