Österreichisches Konsortium schafft Einstieg in 920 Mio. Euro schwere Forschungsinitiative
Vier österreichische Marktführer der internationalen Bahn-Branche, der größte Frachtwaggonhersteller Europas sowie acht weitere Top-Player aus Industrie und Wissenschaft haben sich zum „Virtual Vehicle Austria Consortium+“ zusammengeschlossen. Das Ziel der Vereinigung: Der europäische Bahnverkehr und die Bahnindustrie sollen wesentlich vorangetrieben werden. Ende 2015 erhielt das Konsortium den Zuschlag zur Teilnahme an der europaweiten Forschungsinitiative „Shift2Rail“ in der Höhe von knapp 21 Mio. Euro. Österreich profitiert von neuen Arbeitsplätzen, der weltweiten Vermarktung heimischer Technologien und langfristigen Vorteilen für den Forschungs- und Innovationsstandort.
Bis 2030 wird das Streckennetz für Hochgeschwindigkeitszüge verdreifacht. Im Jahr 2050 werden alle zentralen Flughäfen mit einem High-Speed-Bahnnetz verbunden sein. Die Anzahl an konventionellen Autos mit Verbrennungsmotor wird in Städten bis 2030 halbiert, bis 2050 verschwinden sie zur Gänze. Die Bahn wird zum wichtigsten Fracht-Transportmittel in einem ganzheitlich-vernetzten Europa.
Was nach utopischen Visionen für eine ferne Zukunft klingt, ist in Wirklichkeit ein klarer Plan der Europäischen Union - und hat heute schon große Auswirkungen auf das Forschungsland Österreich.
Die Bahn – Das Transportmittel der Zukunft
Die Bestrebungen Europas im Bereich Transport sind klar definiert: Die Entwicklungen sollen in Richtung intelligentes, langfristiges und ganzheitliches Wachstum gehen. Das gesamte europäische Verkehrssystem soll ressourcen-effizient und vor allem wettbewerbsfähig sein - Ziele, zu welchen das Transportmittel Bahn einen wesentlichen Beitrag liefern kann. Laut Experten des Verbands der europäischen Eisenbahnindustrie Unife ist die umweltfreundliche und sichere Bahn sogar das Zukunfts-Transportmittel schlechthin. Dies unterstreicht auch die Europäische Kommission in ihrem Transport White Paper 2011 (siehe Infobox rechts).
Dank der laufenden Entwicklung neuer Bahnlösungen und hoher Investitionen im Bereich der Schnellbahnen erlebt die Eisenbahn in Österreich sowie in Teilen Nord-, West- und Zentraleuropas bereits heute einen großen Aufschwung. Trotzdem hinken die Marktanteile im Vergleich zu anderen Transportmitteln noch hinterher. Im Bereich des Inland-Personenverkehrs werden beispielsweise europaweit mehr als 80 % der Wege über Personenkraftwagen und etwa 10 % über Busse abgewickelt. Der Anteil der Bahn beläuft sich nur auf ca. 7 %, während in süd- und osteuropäischen Ländern die Nutzung der Bahn sogar zurückgeht. Dies ist unter anderem auf die mangelnde Verfügbarkeit von Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverbindungen zurückzuführen. Für Europa bleibt also noch viel zu tun - vor allem im Bereich der Gütertransporte, die derzeit nur zu 10 % über die Schiene abgewickelt werden.
VVAC+ - Top-Player der heimischen Bahnindustrie am Zug
Die großen Visionen Europas im Bereich Bahnverkehr gehen nun in die Umsetzung. Dabei ist eines klar: Um globale Wettbewerbsfähigkeit garantieren zu können, muss es genügend Engagement aus der Industrie geben, die zusammen mit Forschungseinrichtungen innovative und hochwertige Produkte hervorbringt.
So sieht das auch das VVAC+ - das „Virtual Vehicle Austria Consortium+“. Unter der Koordination des Grazer Forschungszentrums VIRTUAL VEHICLE haben sich 13 führende und international-angesehene Player aus Mitteleuropa (zwölf davon aus Österreich, einer aus der Slowakei) zusammengefunden.
Ende 2015 erhielt das Konsortium den Zuschlag zur Teilnahme an Shift2Rail, der ersten gesamt-europäischen Forschungsinitiative, in der alle wesentlichen Stakeholder des europäischen Bahnsektors kooperieren. Organisationen wie die Deutsche Bahn (DB), die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), die staatliche Eisenbahngesellschaft Frankreichs (SNCF) und Weltmarktführer wie Siemens, Bombardier oder Knorr Bremse sind an der Initiative beteiligt.
Das VVAC+ ist in den nächsten sechs Jahren mit einem Budget von 21 Mio. Euro an der Shift2Rail-Initiative beteiligt. Unterstützt wird dieses mit knapp 8 Mio. Euro EU-Förderung.
Vielfalt als Stärke
„Cross-industry“ lautet das ausgesprochene Credo der VVAC+-Partner: Kooperationen sollen gefördert und Know-how aus so vielen Branchen wie möglich genutzt werden. Die Konsortiumspartner verfügen über tiefgehende Expertise in sehr unterschiedlichen Bereichen und sind somit im Stande, nicht nur Teillösungen sondern Innovationen für das „Gesamtsystem Bahn“ zu entwickeln (z.B. wartungsfreie Weichen oder ultraleise Güterwagen).
Das Rückgrat des VVAC+ bilden vier Hersteller aus der Industrie (Kirchdorfer, Plasser&Theurer, TATRAVAGONKA und voestalpine), die über Schlüsseltechnologien in Bereichen wie Schienen, Weichen, Güterwagen, Schwellen oder Wartungsfahrzeuge verfügen. Die beteiligten Zulieferer, KMUs, Ingenieursdienstleister und Forschungseinrichtungen ebnen den Weg für erfolgreiche Innovationen und bringen neue Blickwinkel, zum Teil auch aus anderen Branchen, ein (z.B. Automotive/Großmotoren durch AVL List). Die Wiener Linien sind ebenfalls Teil des VVAC+ und werden Infrastruktur zur Verfügung stellen sowie neue Technologien integrieren und testen.
Neue Lösungen für Infrastruktur und Güterverkehr
Das VVAC+ setzt seine Kompetenzen in drei der fünf Innovationsprogramme der Shift2Rail-Initiative ein. Der Fokus liegt auf der Umsetzung von kosteneffizienter und leistungsfähiger Infrastruktur (IP 3) sowie auf Technologien für einen nachhaltigen und attraktiven europäischen Güterverkehr (IP 5).
„Im VVAC+ forschen wir an vielseitigen Themen, wie zum Beispiel an der Entwicklung einer „wartungsfreien Weiche“. Durch neue Materialen, innovatives Formdesign und die Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Fahrzeug und Weiche, werden Weichen witterungsbeständiger und langlebiger – das spart natürlich Kosten!“, erklärt Dr. Martin Rosenberger, Koordinator des VVAC+ und Leiter des Bereichs „Rail Systems Research“ am Grazer Forschungszentrum VIRTUAL VEHICLE.
Ein konkretes Entwicklungsziel ist z.B. auch das Gewicht von 5-L-Güterwagen zur optimalen Kapazitätsnutzung zu reduzieren. Damit wird eine um 10 % höhere Nutzlast möglich. Das „5-L“ steht hierbei für leise, leicht, langlebig, Logistik-optimiert und Lebenszykluskosten-orientiert. Gleichzeitig soll, unter anderem, an neuen Brems- und Gleitschutzkonzepten geforscht werden, damit Waggons schwerer beladen und somit kostengünstiger eingesetzt werden können.
Natürlich soll auch die Reisequalität für Passagiere erhöht werden – das VVAC+ beschäftigt sich mit besseren Gleisgeometrien, reduzierten Fahrgeräuschen und Vibrationen sowie mit der Reduktion von Betriebsstörungen.
Der Standort Österreich profitiert
Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) sowie die Länder Steiermark und Niederösterreich unterstützen das VVAC+ von Anfang an - denn die vielen Vorteile und „Türöffner“, die sich durch die Beteiligung an Shift2Rail für den Wirtschaftsstandort Österreich ergeben, sind mehr als beachtlich.
Weltmarktreife für Technologien made in Austria
Durch die Teilnahme an Shift2Rail werden Frontrunner-Produkte aus Österreich für den weltweiten Export vorbereitet. Innovative Hochleistungsschienen, mechatronische Weichen und intelligente Fahrwerke aus Österreich werden für riesige europäische Bahnprojekte eingesetzt, in denen auch heimische Technologien, wie zum Beispiel ein autonomer „Waggon Tracker“ zur Güterwagenüberwachung, zum Einsatz kommen. Des Weiteren werden neueste Schienenbearbeitungs- und Messsysteme entwickelt und in Form von marktnahen Demonstratoren getestet.
Exportsteigerung und neue Arbeitsplätze
Von dem EU-Forschungsprogramm „Horizon 2020“, zu dem auch Shift2Rail gehört, erwartet sich die EU eine Exportsteigerung von 1,4 % - ein Wachstum, von dem auch Österreich profitieren wird. Außerdem rechnet die EU mit einem Beschäftigungszuwachs von 0,4 %. Durch Shift2Rail werden neue Forschungsprojekte und damit attraktive Arbeitsplätze für High-Potentials entstehen. Gleichzeitig wird die Standortsicherung für beteiligte Unternehmen gefördert.
Mehr Sichtbarkeit für Österreich
Der große Einsatz des VVAC+ in der Bahnforschung wirkt sich auf den gesamten Forschungs- und Wirtschaftsstandort Österreich aus. Das Konsortium kann im Rahmen von Shift2Rail den Kontakt zu sämtlichen europäischen Playern der Eisenbahnindustrie intensivieren und durch zahlreiche Netzwerk- und Fachveranstaltungen die Positionierung Österreichs als führende Bahnnation festigen.
Österreich ist Weltmeister im Bahnsektor
Österreich investierte in den letzten Jahren bereits stark in den Zukunftsmarkt „Bahn“ – und das mit großem Erfolg. Laut dem Institut für Wirtschaftsforschung Economica ist Österreich der fünftgrößte Exporteur von „Schienenfahrzeugen und zugehöriger Ausrüstung“ weltweit. Pro Einwohner gerechnet liegt Österreich sogar auf Platz eins.
Der österreichische Schienenfahrzeugbau ist zudem der EU-weite Spitzenreiter in Bezug auf die F&E-Leistung: 9 % der Wertschöpfung werden in diesem Sektor in Forschung und Entwicklung investiert. Außerdem kommen weltweit 6,3 % aller Patenteinreichungen im Bereich Bahn und Schiene aus Österreich. Das macht (bevölkerungsgewichtet) das Land zur Bahnpatent-Nation Nummer eins!
Auch bei der Nutzung der Bahn ist Österreich Vorreiter: Mit 1.425 km Bahnkilometern pro Person liegt Österreich EU-weit auf Platz eins. Der Bahnanteil an der gesamten Personenverkehrsleistung liegt bei 11 %, im Güterverkehr bei 32 % - ebenfalls zwei Spitzenwerte in der EU. (Alle drei Werte aus 2013.) Seit 2007 sind in Österreich rund 150 km Neubaustrecke in Betrieb gegangen, bis 2026 werden weitere 300 km fertiggestellt. Darunter die 130 km lange Koralmbahn, der Semmering-Basistunnel und der Brenner-Basistunnel.
VVAC+ - Die nächsten Schritte
Bereits jetzt sind die Partner des VVAC+ in Vorprojekten, sogenannten „Lighthouse Projects“, involviert: Im Projekt „In2Rail“ zielen die Experten darauf ab, die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Bahn-Infrastruktur zu erhöhen, um damit Instandhaltungskosten zu reduzieren. Durch das Projekt „Roll2Rail“ soll es gelingen, die Energieeffizienz von Schienenfahrzeugen zu steigern sowie deren Lebenszykluskosten zu reduzieren.
Derzeit werden erste konkrete Projekte innerhalb des Shift2Rail-Programms definiert, die ab Herbst 2016 starten werden.
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Mag. Gerald Klug, Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie:
„Es freut mich sehr, dass das VVAC+ beim größten europäischen Eisenbahntechnologieprogramm Shift2Rail dabei ist. Das BMVIT hat sich sehr dafür eingesetzt, dass das möglich wird, und durch organisatorische Hilfe und die finanzielle Förderung von zwei Millionen Euro die Kooperation unterstützt. Das ist für den Standort Österreich sehr wichtig. Wir sind ein Bahnland und haben eine starke und innovative Bahnindustrie. Durch neue Technologien stellen wir die Weichen für weiteres Wachstum, Arbeitsplätze und umweltfreundlichen Verkehr.“
Dr. Christian Buchmann, Wirtschaftslandesrat Steiermark:
„Die Bahn- und Schienensystemtechnik ist ein wesentliches Stärkefeld der steirischen Wirtschaft. Unternehmen aus der Steiermark zählen zu den Weltmarktführern. Durch unsere führende Rolle im europäischen Forschungsprojekt Shift2Rail können wir die Position unserer Unternehmen im globalen Wettbewerb langfristig festigen. Dadurch können bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden.
Dr.in Petra Bohuslav, Wirtschaftslandesrätin in Niederösterreich:
„Forschung ist die Grundlage für neue Technologien und die Basis für die Weiterentwicklung von neuen Prozessen und Produkten. Das K2-Excellenzzentrum AC2T und andere Forschungseinrichtungen zeigen wie wichtig es für Niederösterreich ist, bei Zukunftsthemen aktiv mitzuarbeiten und als Wissenschafts-Drehscheibe auch Unternehmen zu involvieren. Gemeinsames Wissen und das Bündeln von Kompetenzen führt zum Erfolg, der die Qualität und Produktivität des Standortes in Niederösterreich weiter steigert und in Folge auch weiterhin neue Märkte erschließt.“
Dr. Klaus Pseiner, Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG:
„Wenn sich Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen gemeinsam so erfolgreich im internationalen Wettbewerb behaupten wie gerade aktuell im Konsortium VVAC+, dann ist das ein klarer Beleg für die Durchsetzungsfähigkeit, Kompetenz und Innovationskraft unserer Wissenschaft und Wirtschaft. Darauf sind wir stolz, und als Forschungsförderer freuen wir uns, dass wir ein stückweit zu diesem Erfolg beitragen können.“
Dr. Jost Bernasch, Geschäftsführer, VIRTUAL VEHICLE Research Center:
„Durch die 13 Partner im VVAC+ werden alle Stufen der Wertschöpfungskette abgebildet. Von Forschern, über Hersteller bis hin zum Bahnbetreiber – alle ziehen an einem inhaltlichen Strang. Mit dieser wertvollen Kombination entsteht eine große Umsetzungsstärke, um die europäische Bahnwelt zukunftsweisend mitzugestalten.“
Dr. Thomas Starzer, Geschäftsführer, voestalpine Forschungsservicegesellschaft Donawitz GmbH:
„Die voestalpine zählt im Bereich der Bahninfrastruktur mit ihren Produkten zu den globalen Markt- und Technologieführern. Um diese Position auch in Zukunft halten und ausbauen zu können, sind Innovationen und die Zusammenarbeit mit externen Forschungspartnern, wie sie im Rahmen der Forschungsinitiative Shift2Rail forciert werden sollen, unerlässlich.“
Weitere Informationen:
http://www.v2c2.at - Website VIRTUAL VEHICLE
http://www.shift2rail.org - Website Shift2Rail
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