Der Ernst-Otto-Czempiel-Preis 2016 geht an die Ethnologin Dr. habil. Birgit Bräuchler
Birgit Bräuchlers Studie "The Cultural Dimension of Peace: Decentralization and Reconciliation in Indonesia" wird als beste postdoktorale Monografie der Friedensforschung 2014/15 mit dem Ernst-Otto-Czempiel-Preis des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung ausgezeichnet.
„Hoch interessant, konzeptuell und theoretisch anspruchsvoll, empirisch von bewundernswertem Detail und großer Stringenz und in den praxeologischen Folgerungen kreativ, plausibel und zugleich angemessen klug und vorsichtig“, befand Harald Müller, ehemaliges Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der HSFK und Mitglied der Jury des Ernst-Otto-Czempiel-Preises. „Birgit Bräuchler zeigt in ihrem Werk in exemplarischer Weise, dass die Ethnologie/Anthropologie ein integraler Bestandteil der Friedensforschung sein sollte.“
In einem Zeitraum von zehn Jahren betrieb Birgit Bräuchler wiederholt Feldforschung in der indonesischen Provinz Maluku und zeichnete ethnografisch den Friedensprozess dieser von religiös motivierter Gewalt zerrissenen Gesellschaft nach. Ihre beeindruckenden Erkenntnisse über Friedensbildungsprozesse in der indonesischen Provinz der Molukken legt sie in dem nun ausgezeichneten Werk dar und bettet sie ein in ein markantes Plädoyer für eine ethnologisch informierte Friedensforschung.
Bräuchlers Monografie nimmt die kulturelle Dimension von Versöhnung in den Blick. Diese sieht sie als entscheidend für die Reintegration von Gesellschaften, die von langjährigen Gewalterfahrungen geprägt sind. Das Werk leistet dabei zweierlei: Einerseits erstellt die Autorin eine empirisch dichte Analyse des molukkischen Versöhnungsprozesses und klärt darüber auf, welche Vorstellungen von Frieden und Versöhnung die Gesellschaft vor Ort entwickelt hat. Sie zeigt, welch zentrale Bedeutung dem Prozess der Wiederbelebung von Tradition dabei zukommt.
Andererseits weist Bräuchler mit ihren Erkenntnissen auf ein Manko der Friedensforschung und der Praxeologie des Peacebuilding hin: Die kulturelle Wende der Friedensforschung habe dafür gesorgt, dass „der Kultur“ und „dem Lokalen“ in Versöhnungs- und Friedensbildungsprozessen wachsende Bedeutung zugesprochen und „lokale Kultur“ als Mittel zum Frieden immer populärer in der Politik- und der Rechtswissenschaft werde. Doch eine genaue Vorstellung davon, was „die Kultur“ oder „das Lokale“ sind, hätten weder die dominanten Disziplinen noch die Praktiker, die diese Begriffe häufig benutzen.
Bräuchler liefert mit ihrer ethnografischen Studie einen essentiellen Beitrag zur kulturellen Wende. Sie demonstriert, wie bedeutsam das grundlegende, ethnografisch informierte Verstehen der jeweiligen lokalen Verhältnisse und Rechtsverständnisse ist, um tatsächlich nachhaltige Friedensprozesse vor Ort fördern zu können."The Cultural Dimension of Peace" ist daher auch eine kritische Auseinandersetzung mit geläufigen Konzepten von Kultur, Tradition und dem Lokalen in Friedensprozessen und ein Plädoyer für die ethnologische Perspektive „von unten“, die die interdisziplinäre Friedensforschung komplementieren kann und sollte.
Dr. habil. Birgit Bräuchler ist Senior Lecturer in Anthropology an der School of Social Sciences, Monash University in Melbourne, Australien. Sie forscht aktuell zu „Indigenous media and conflict transformation in Indonesia“. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, wo sie im Wintersemester 2014/15 eine Vertretungsprofessur innehatte.
Die Preisverleihung wird im Rahmen der HSFK-Jahreskonferenz „Normen in der Transitzone: Globale Skripte, lokale Praktiken" am 22. Juni 2016 in Frankfurt am Main stattfinden.
Ernst-Otto-Czempiel-Preis
Der Ernst-Otto-Czempiel-Preis wird für die beste postdoktorale Buchveröffentlichung im Bereich der Friedensforschung der jeweils letzten beiden Jahre verliehen. Der Preis wird seit 2007 alle zwei Jahre verliehen und ist nach dem Friedensforscher und HSFK-Mitgründer Professor Ernst-Otto Czempiel benannt. Der Ernst-Otto-Czempiel-Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und damit einer der am höchsten dotierten Wissenschaftspreise der Friedensforschung in Deutschland. Die Auswahl der Preisträger/innen erfolgt durch eine Jury, der Prof. Dr. Eva Senghaas-Knobloch, Prof. Dr. Dirk Messner und Prof. Dr. Harald Müller angehören.
Weitere Informationen:
Das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) ist eine vom Bund und dem Land Hessen geförderte Stiftung öffentlichen Rechts und seit 2009 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Mit fast 100 Mitarbeitern ist es das größte Friedensforschungsinstitut Deutschlands. Seit 1970 erforschen Expertinnen und Experten fächerübergreifend sowohl Ursachen von Konflikten als auch Bedingungen des Friedens und überführen ihre Forschungsergebnisse in eine praxisorientierte Beratung von Politik und Gesellschaft.
Weitere Informationen:
http://www.hsfk.de - Website des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
http://bit.ly/1qfHiFw - Bisherige Preisträger/innen
http://bit.ly/1W2KHnw - HSFK-Jahreskonferenz "Normen in der Transitzone"
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