Wer war der erste Motorflieger? Symposium zum Streitthema in der Flugwerft Schleißheim
Weißkopf oder Wright? Es ist eine hochspannende Frage – und eine sehr umstrittene: Wem gelang der erste Motorflug? Diese Frage wurde am 19. Oktober umfassend in der Flugwerft Schleißheim diskutiert beim Symposium zur frühen Geschichte der Luftfahrt. Auf Einladung des Bayerischen Innen- und Verkehrsministeriums und des Deutschen Museums setzten sich Experten mit dem aktuellen Stand der Forschung auseinander. Am Ende des Tages mit Vorträgen und Diskussionen stand die Erkenntnis: Selbst wenn die Beweise für einen Erstflug Weißkopf irgendwann auch wissenschaftlichen Anforderungen genügen sollten, muss man die Geschichte nicht umschreiben, sondern höchstens ergänzen.
Kaum ein Thema in der Geschichte der Luftfahrt wurde in den letzten Jahren so intensiv diskutiert wie der Beginn des Motorflugs. Internationale Luftfahrt-Historiker sind sich weitestgehend darin einig, dass den Gebrüdern Orville und Wilbur Wright im Dezember 1903 in Kitty Hawk, North Carolina, die ersten kontrollierten Motorflüge gelangen. Es gibt aber auch Stimmen, die behaupten, die Ehre des ersten Motorflugs gebühre in Wirklichkeit dem fränkischen Flugpionier Gustav Weißkopf, der bereits im Jahr 1901 mit seinem Flugapparat Nr. 21 Motorflüge absolviert haben soll.
Das riesige öffentliche Interesse an diesem Thema war schon zu Beginn der Veranstaltung deutlich sichtbar: Der Lilienthalsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als der Generaldirektor des Deutschen Museums, Wolfgang M. Heckl, und Bayerns Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann die Teilnehmer begrüßten. „Kann man sich einen besseren Ort für so ein Symposium vorstellen als die Flugwerft Schleißheim“, fragte Heckl. „Das Deutsche Museum ist international führend in der Verzahnung von Ausstellung und Wissenschaft“, sagte der Generaldirektor. „Wobei die Forschung ein kontinuierliches Feld ist. Und so ist diese Veranstaltung nicht gedacht als endgültige Beweisinkraftsetzung, sondern als Plattform für den Austausch und die Standortbestimmung.“ Minister Herrmann ergänzte: „Gerade als Verkehrsminister und noch dazu als Mittelfranke interessiert mich das Thema natürlich sehr und ich freue mich, dass wir heute eine so außerordentlich spannende Diskussion erleben dürfen. Und ich hoffe, dass wir am Ende des Tages klüger sein werden.“
Im Anschluss führte Prof. Helmuth Trischler, Bereichsleiter Forschung des Deutschen Museums, in die Thematik ein. Er legte großen Wert auf die Feststellung, dass das Deutsche Museum im Sinne seines Gründers Oskar von Miller „dem Leitgedanken verpflichtet ist, die gesamte internationale Fülle von Wissenschaft und Technik zu zeigen.“ Das Museum bediene sich dafür des rigorosen wissenschaftlichen Instrumentariums, „internationale Standards, an denen wir uns orientieren müssen.“ Und er stellte fest: „Wir sind keine Forschungsbürokraten, wir überprüfen Positionen immer wieder im Lichte der neuen Erkenntnisse, um sie in den politischen, gesellschaftlichen und auch musealen Kontext einzuordnen.“
Rebecca Wolf, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Museums, übernahm es dann, die Ausführungen von Dr. Tom Crouch zu den internationalen Ursprüngen des Flugzeugs vorzutragen. Der US-Experte vom „National Air and Space Museum - Smithsonian Institution“, hatte seine persönliche Teilnahme kurzfristig wegen dringender beruflicher Verpflichtungen absagen müssen. In seinem historischen Abriss zur Entwicklung des Flugzeuges kam er zu der Einschätzung, dass „Weißkopfs Behauptungen bei der großen Mehrheit von Forschern nach wie vor als unbewiesen“ gelten. Dagegen seien „die Beweise für die Leistung der Brüder Wright klar und eindeutig“ zu erkennen. Crouch: „Die Brüder dokumentierten ihre Forschungen in Notizbüchern, Briefen, Tagebüchern und Fotografien. Kein anderer, der für sich den Anspruch erhebt, als Erster geflogen zu sein, kann auf eine so gründliche und umfangreiche Dokumentation verweisen.“
Der zweite Vortragende, der Weißkopf-Anhänger John Brown, sah das naturgemäß ganz anders: Er zog die Beweiskraft der Wright-Dokumentation in Zweifel und berief sich auf Indizien und Beweise pro Weißkopf, vornehmlich 17 Zeugen, die „einen Motorflug vor 1903 gesehen haben“. Zudem warf er den Wrights vor, die Öffentlichkeit mit falsch datierten Fotos in die Irre geführt zu haben. Brown wünschte sich eine Annäherung der wechselseitigen Positionen in Sachen Ethik, Physik und Methodik. Sein erklärtes Ziel: „Die Weißkopf-Forschung begehrt die Anerkennung Gustav Weißkopfs als ersten Motorflieger!“
Am Nachmittag übernahmen die Technikexperten das Wort. Peter Hanickel aus der Werkstatt der Flugwerft hatte sich im Vorfeld dafür ausgiebig mit Weißkopfs Flugapparat Nr. 21 befasst und dabei erhebliche Probleme mit Festigkeit, Antrieb, Startmethode und Steuerung festgestellt. Sein Fazit lautete: „Die technischen Informationen aus den zur Verfügung stehenden Quellen sind mit einer Flugfähigkeit des Flugapparates Nr. 21 nicht in Einklang zu bringen.“
Mit „Fakten kontra Wunschdenken“ ging es weiter: Testpilot Horst Philipp berichtete von seinen Erfahrungen mit dem Nachbau von Weißkopfs Flugapparat Nr. 21 B zwischen 1993 und 1998. Philipps Erprobungsaufgabe lautete: Ermittlung der Flugfähigkeit und Wiederholung des angeblichen Motorfluges vom 14.8.1901. Während seiner Erprobungs-Entwicklung stieß der Testpilot auf vielfältige Probleme technischer Natur und so bilanzierte er: „Aus meiner Sicht ist der Flieger flugfähig. Allerdings sind einige wesentliche Nachbesserungen notwendig."
Avionik-Experte Prof. Harald Hanke von der Hochschule Karlsruhe informierte abschließend über den Stand seines aktuellen Weißkopf-Apparat-Projekts: „Wir versuchen losgelöst von Politik und Emotion und nur zurückgezogen auf die Technik das Ding nachzubauen.“ Hanke berichtete von der Entwicklung der Konstruktionspläne für das Flugwerk. Motor und Propeller sollen als nächstes per CAD entworfen werden. Dann würde der Nachbau der Komponenten folgen und am Ende stünden die Testflüge. Er rief Smithsonian und Deutsches Museum dazu auf, „gemeinsam mit uns ein Team zu bilden“.
Die Podiumsdiskussion zur „Frühen Geschichte der Luftfahrt im Kontext“ sollte die Ergebnisse des Symposiums zum Schluss noch einmal aufbereiten. Dr. Wolfgang Send von aniprop Göttingen, erklärter Weißkopf-Anhänger, beschied: „Es waren die Wrights, die den wirtschaftlichen Erfolg schafften. Weißkopf hat die Wirkung in die Gesellschaft hinein nie geschafft.“ Ein ähnliches Fazit zog der Präsident des Luftfahrt-Presse-Clubs Peter Pletschacher: „Heute sind meine Zweifel an Weißkopf eher gewachsen, große Fragen sind offen. Aber selbst wenn die Beweise irgendwann ausreichen sollten, muss man die Luftfahrtgeschichte nicht ändern, sondern höchstens ergänzen. Die Entwicklung der Luftfahrt ging von den Wrights aus.“ Und Dr. Astrid Pellengahr, Leiterin der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, schlug vor, das Deutsche Museum könne das geplante Museum in Leutershausen unterstützen.
Weitere Informationen:
http://www.deutsches-museum.de/presse/pressemitteilungen-2016/symposium-luftfahrt/#c121586
http://www.stmi.bayern.de/med/aktuell/archiv/2016/161019luftfahrt/