Von Kette und Schuss zu Nullen und Einsen: Der Beitrag der antiken Weberei zur digitalen Welt
Kette und Schuss, Null und Eins: Was hat eine der ältesten Textil-Techniken mit binären Codes zu tun? Ein internationales Forscherteam will jetzt im Deutschen Museum und im Museum für Abgüsse in München den Beitrag der antiken Weberei zur Geschichte der Wissenschaft und Technik, insbesondere der digitalen Technologie, ergründen. Für die Arbeit der Gruppe stehen mit dem ERC Consolidator Grant, einem der am höchsten dotierten Forschungsförderpreise der Europäischen Union, rund zwei Millionen Euro zur Verfügung. Die Künstlerin, Philosophin und Mathematikerin Dr. Ellen Harlizius-Klück leitet das Projekt, das den Titel „PENELOPE – A Study of Weaving as Technical Mode of Existence“ trägt.
„Der Name PENELOPE steht für die berühmteste Weberin der Antike, die Frau des Odysseus, und soll den weiblichen Anteil an der Geschichte der Technologie in Erinnerung rufen – sozusagen als Gegenstück zu LEONARDO, der das Aushängeschild der Kunst- und Technologieszene ist“, sagt Dr. Ellen Harlizius-Klück. Die Künstlerin, Philosophin und Mathematikerin befasst sich bereits seit vielen Jahren intensiv mit der antiken Textil-Technik. Aktuell untersucht Harlizius-Klück gemeinsam mit dem britischen Programmierer Alex McLean, der italienischen Ethnologin Flavia Carraro und dem italienischen Philologen Giovanni Fanfani den Einfluss der Weberei auf die Wissenschaft während der griechischen Revolution. Das Forschungsprojekt mit dem Titel „PENELOPE – A Study of Weaving as Technical Mode of Existence” ist auf fünf Jahre angelegt und wird im Rahmen des EU-Programms HORIZON 2020 durch den European Research Council (ERC) Consolidator Grant mit zwei Millionen Euro finanziert.
Die vier Wissenschaftler arbeiten an zwei Standorten in München: „Als Basis für die Forschung dient das technikhistorische Institut im Deutschen Museum“, sagt Projektleiterin Harlizius-Klück. „Das Labor, in dem wir Maschinen zur Simulation und Erprobung der antiken Weberei am Gewichtswebstuhl bauen wollen, wird im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke am Königsplatz eingerichtet - also im passenden antiken Kontext in der Nähe zu den Staatlichen Antikensammlungen und der Glyptothek.“
Hier sollen antike und moderne Topologien des Webens entschlüsselt und für diese Strukturen dann digitale Codes entwickelt werden, um sie virtuell erforschbar zu machen. Kette und Schuss, Null und Eins: „Gewebte Stoffe bestehen ja grundsätzlich aus Fäden, die sich über- und untereinander kreuzen“, sagt Ellen Harlizius-Klück, „das macht das Weben zu einer digitalen, ja binären Technologie.“ Die Forscherin findet, dass es an der Zeit ist, diese Kulturtechnik neu zu betrachten „als Teil der intellektuellen Entwicklungsgeschichte, speziell der Geschichte der digitalen Technologie“.
So lautet die Hypothese des PENELOPE-Projekts, dass die textile Technologie einen signifikanten Beitrag zum Aufkeimen der Naturwissenschaften im antiken Griechenland leistete. „Wir betrachten das Labyrinth aus Fäden als Paradigma für diese Entwicklung.“ Die Logik der Muster in den Stoffen dient als Muster für das Denken, die Struktur des Gewobenen wird auf die Ordnung des Kosmos übertragen und setzt die Wissenschaften in Gang.
Dazu wird Alex McLean Maschinen und Codes entwickeln und die Algorithmen des antiken Webens untersuchen. Flavia Carraro beleuchtet die anthropologische Perspektive und erstellt ethnologische Vergleichsstudien. Und Giovanni Fanfani ist für die Untersuchung antiker literarischer, philosophier und kosmologischer Texte zuständig. Die drei Forscher sind für ihre PENELOPE-Arbeiten zum ersten Mal längerfristig an der Isar beschäftigt.
Für Untersuchungsleiterin Ellen Harlizius-Klück bedeutet das Projekt dagegen die Rückkehr an eine alte Wirkungsstätte: „Vor zehn Jahren war ich als Scholar-in-Residence am Forschungsinstitut und habe über ein sehr seltenes Weberbuch aus dem 18. Jahrhundert gearbeitet, das sich im Besitz der Bibliothek befindet. Nach zwei Jahren als Marie-Curie Research Fellow an einem geisteswissenschaftlichen Institut in Kopenhagen zog es mich nun in den technikhistorischen Kontext des Deutschen Museums zurück.“
Weitere Informationen:
http://www.deutsches-museum.de/index.php
http://www.deutsches-museum.de/de/forschung/forschungsbereich-wtg/schwerpunkt-i/cluster-2/penelope/?sword_list[]=penelope&no_cache=1
http://penelope.hypotheses.org
https://erc.europa.eu/
https://ec.europa.eu/programmes/horizon2020/