Der Stoff, aus dem der Klang wird
Eine Forschergruppe im Deutschen Museum beleuchtet aus verschiedenen Perspektiven „Die Materialität der Musikinstrumente“. Das Projekt, das bis April 2019 neue Ansätze einer Kulturgeschichte der Organologie ermitteln soll, wird von der Leibniz-Gemeinschaft im Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs gefördert.
„Das Material macht die Musik“ – so lautet stark vereinfacht die These hinter einem aktuellen Forschungsprojekt am Deutschen Museum in München. „Wir untersuchen dabei Musikinstrumente im Kontext der ästhetischen und wissenschaftlichen Entwicklungen von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart“, fasst Projektleiterin Dr. Rebecca Wolf zusammen. Die Idee zu diesem Projekt hatte die Musikwissenschaftlerin bereits vor fünf Jahren, als sie zum ersten Mal - damals als Scholar in Residence – an dem Münchner Institut beschäftigt war. Finanziert durch Mittel aus dem Leibniz-Wettbewerb, die Rebecca Wolf einwerben konnte, arbeitet inzwischen ein vierköpfiges Team zur „Materialität der Musikinstrumente“ und entwickelt dabei zugleich neue Ansätze einer Kulturgeschichte der Organologie.
Der kanadische Postdoktorand Leon Chisholm untersucht „Organic Material. Holz, Orgeln und die industrielle Revolution“. Katharina Preller betreibt „Material- und Klangforschung am Beispiel von Hermann von Helmholtz‘ Steinway Flügel“ im Rahmen ihrer Dissertation. Und die Doktorandin Stephanie Probst von der Harvard University ergründet als Visiting Fellow „Lineare Konzepte von Musik im frühen 20. Jahrhundert“. „Da geht es nicht direkt um Instrumente, sondern um Notation als Medium und Speichermaterial für Musik. Gerade der flüchtige Klang kann hierüber mit Materialität in Beziehung gesetzt werden“, sagt Projektleiterin Wolf. Weitere Fellows werden folgen und die Bandbreite des Themas ausloten. Schließlich soll mit dem Begriff der Materialität der weitere Kontext von sinnlicher Erfahrung und Objektforschung für die Musikwissenschaft und Wissenschafts- und Technikgeschichte erschlossen werden.
Rebecca Wolf selbst widmet sich im Rahmen des Projekts dem „Musikinstrumentenbau als materielle Kultur (1830-1950)“. An einzelnen Fallbeispielen zeichnet sie dafür die Begrifflichkeit der Materialität im Zusammenhang mit der Musikrezeption nach: „Ich untersuche die Erwartungen und das Wissen von Instrumentenbauern und Musikern. Welchen Einfluss nahmen ihre Erfindungen auf die Musikkultur der Zeit? Wie kam es zu Experimenten mit Metall statt Holz? Warum wurden sogenannte Ersatzmaterialien wie Horn, Knochen, Plexiglas verwendet? Welche Hörerwartungen an den Klang wurden formuliert? Welche Rolle spielten frühe Kunststoffe?“ Für Letzteres steht beispielweise das Kontrabassophon aus Papiermaché, das zur Sammlung des Museums gehört. Genauso wie die Musical Glasses, die Glasharmonika und das Glasplattenklavier, die sie ebenfalls unter die Lupe nimmt. „Dabei möchte ich herausfinden, wie sich neue oder veränderte Instrumente auf Kompositionen ausgewirkt haben“, sagt Wolf. „Glas ist ja auf der einen Seite transparent, sein Klang wird vielfach verbunden mit ätherischen, himmlischen Sphären. Auf der anderen Seite ist es ein kaltes, zerbrechliches Material – da trifft man dann auch auf Musikstücke, die aus dem Rahmen fallen.“
So wird in Rebecca Wolfs Arbeit, ebenso wie bei den betreffenden anderen Teilprojekten, die klassische Instrumentenkunde um gezielte Recherchen zur historischen Rezeption ergänzt. Ganz entsprechend der neuen Methodik, Nachbardisziplinen wie Wissenschafts- und Akustikgeschichte einzubinden. Die Sammlung, das Archiv und die Bibliothek des Deutschen Museums bieten den Wissenschaftlern dazu einen nahezu idealen Rahmen: „Wir haben hier natürlich sehr gute Bedingungen“, so Wolf, „durch die großartige Infrastruktur und die bereits bestehende Forschung in der Musikinstrumentenabteilung oder bei der hauseigenen Materialanalyse, aber auch durch vielfältige Kooperationen mit internationalen Partnern.“
Unter anderem arbeitet das Team mit der Technischen Universität München, der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), dem DFG-Forschernetzwerk „Hör-Wissen im Wandel“, der Universität Wien und dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte zusammen. Ganz aktuell findet beispielsweise am 31. Januar der letzte Teil eines Lektürekurses zum Thema „Materialität und Musik“ als interdisziplinäres Theorieseminar statt. „Außerdem organisieren wir gerade mit der LMU eine Vorlesungsreihe, bei der neben Wissenschaftlern auch Musiker und Instrumentenbauer Vorträge halten werden“, sagt Rebecca Wolf. Des Weiteren sind in den kommenden drei Jahren verschiedene Workshops geplant.
Wenn 2019 die Leibniz-Förderung ausläuft, soll am Ende des Projekt eine Vielzahl von Ergebnissen stehen: „Neben Publikationen und Präsentationen können unsere Resultate auch in die neue Dauerausstellung Musikinstrumente einfließen“, sagt Projektleiterin Wolf. Zudem wird ein Online-Portal entwickelt, das die zentralen Instrumente der Forschergruppe, Hörbeispiele und Texte als virtuelle Ausstellung präsentiert. Klingt nach einer nachhaltigen Nutzung für die Materialsammlung über den Stoff, aus dem der Klang wird.
Weitere Informationen:
http://www.deutsches-museum.de/forschung/
http://www.deutsches-museum.de/forschung/projekte/bereich-wtug/schwerpunkt-i/cluster-3/materialitaet-musikinstrumente/
http://www.leibniz-gemeinschaft.de/start/
http://www.musikwissenschaft.uni-muenchen.de/index.html
http://www.cbm.bgu.tum.de/index.php?id=5&L=1
https://musikwissenschaft.univie.ac.at/institut/
https://www.mpiwg-berlin.mpg.de/de/research/projects/rgtkaczyk
http://www.hoer-wissen-im-wandel.de/