Künstliche Intelligenz: Besser als der Experte
Mit einer kontinuierlichen Feinjustierung der Brennstoffventile optimiert eine Künstliche Intelligenz der globalen Siemens-Forschung Corporate Technology die Verbrennung in Gasturbinen in Hinblick auf niedrige Emissionen und Verschleiß. Die Division Power Generation Services setzt das System nun erstmals in der Praxis für die modernste und größte stationäre Siemens-Gasturbine bei einem Kunden ein. Das Potenzial ist riesig, denn bei Siemens-Kunden gibt es viele solcher komplexen Systeme, deren Betrieb verbessert werden kann.
„Haushoch“ glaubte er zu gewinnen – und dann verlor der südkoreanische Go-Großmeister vier von fünf Partien gegen AlphaGo, die Software von Google. Das war im März 2016. Siemens-Forscher machten ähnliche Erfahrungen: Altgediente Experten glaubten nicht so recht, dass die Künstliche Intelligenz von Corporate Technology (CT) eine Anlage optimieren kann. „Aber es hat sich herausgestellt, dass wir mit unseren Methoden interessantere Alternativen finden“, sagt Volkmar Sterzing, Experte für Maschinelles Lernen im Technologiefeld Business Analytics & Monitoring. „Jedes System, dessen Leistung aus der Erfahrung von Experten heraus betrieben wird, kann auch mit Künstlicher Intelligenz optimiert werden.“
Je vielschichtiger ein System aufgebaut ist und auf verschiedenste, variierende Einflüsse reagiert, desto eher muss ein Mensch – auch als ausgewiesener Experte – Kompromisse beim Einstellen der Anlage eingehen, da er nur kurze Zeit vor Ort ist und nicht kontinuierlich nachsteuern kann. Hier bringt die Künstliche Intelligenz, die ein System kontinuierlich beobachtet, deutliche Vorteile.
Rund 50 Patente für Lernverfahren
Seit etwa 30 Jahren forscht Siemens zu Neuronalen Netzen. In den vergangenen Jahren haben Technologien bedeutende Fortschritte gemacht, die entscheidend für Künstliche Intelligenz sind (kurz KI, oder oft auch AI abgekürzt für den englischen Begriff Artificial Intelligence). Beispielsweise können heute Neuronale Netze viel komplexere Strukturen haben und sind so wesentlich leistungsfähiger (Link zum Interview mit Michael May). Basis der Modelle ist die Software SENN, die kontinuierlich weiterentwickelt und an verschiedene Anwendungen angepasst wurde – unter anderem für die Optimierung von Gas- und Windturbinen. „Wir haben rund 50 Patente für Lernverfahren“, sagt Sterzing.
Siemens Power Generation Services hat gemeinsam mit CT für die komplexe Verbrennungsregelung von Gasturbinen GT-ACO entwickelt, das steht für Gas Turbine Autonomous Control Optimizer. Derzeit wird das System für Langzeittests an der H-Klasse, dem derzeitigen Flaggschiff der Siemens Gasturbinenflotte, bei einem Top-Kunden in Asien installiert und soll noch im Februar 2017 aktiviert werden. Die bisherige Problemstellung bei einer Gasturbine: Beim Betrieb hängen Lebensdauer und Emissionen zusammen. Sollen die Emissionen sinken, leidet die Lebensdauer, weil sich verstärkt energiereiche und materialermüdende Verbrennungsschwingungen aufschaukeln können, die den Verschleiß erhöhen.
Dass GT-ACO dagegen funktioniert, wurde an verschiedenen Gasturbinentypen nachgewiesen: Ein Experte hatte beispielsweise eine Turbine für einen Test manuell auf minimalen Ausstoß an Stickoxiden eingestellt. Dann übernahm die Künstliche Intelligenz die Brennersteuerung. „Zwei Minuten nach dem Anschalten war der Wert um 20 Prozent gesunken“, berichtet Hans-Gerd Brummel. Er ist bei Power Generation Services verantwortlich für die GT-ACO-Entwicklung und einer der Väter der Ferndiagnose und -wartung von Turbinen bei Siemens. Im Dezember wurde er für sein Lebenswerk als Erfinder des Jahres ausgezeichnet.
Bloß nicht die Turbine gefährden
In erster Linie zielt die KI darauf ab, dass der Ausstoß an umweltschädlichen Stickoxiden möglichst gering ist. Zur Senkung der Emissionen ändert das System die Verteilung des Brennstoffs. Das neuronale Modell beeinflusst, wie der Brennstoff in den Brennern verteilt wird. Aber: Für jede Turbine, jeden Standort, jede Gaszusammensetzung, jede Wettersituation sind das individuelle Einstellungen, die von dem Modell aus den vorhandenen Betriebsdaten erlernt werden. Daher benötigt GT-ACO einige Wochen Lernzeit auf jeder Turbine, bevor es die Steuerungen selbstständig vorteilhaft verändern kann.
Ein wichtiger Kunde steht vor dem Problem, dass der Gaslieferant eine schwankende Zusammensetzung des Gases angekündigt hat. Das bedeutet, dass das System instabiler wird. GT-ACO soll helfen, bei vorgegebener Leistung die Verbrennung optimal zu führen. „Daran sind Kunden sehr interessiert“, sagt Brummel. Er sieht noch weitere Einsatzgebiete: „Bei hohem Anteil an erneuerbaren Energien im Netz müssen Gasturbinen oft zur Stützung der Netzfrequenz herhalten.“ In diesem ständig wechselnden Betrieb ist die Gefahr größer, dass höhere Schwingungsamplituden auftreten, was den Verschleiß erhöht. Brummel ist zuversichtlich: „Ich bin sicher, auch da kann GT-ACO helfen, indem man die Optimierung auf die Schwingungsdämpfung konzentriert.“
Ein weiterer Aspekt von GT-ACO: Damit kann auch die Alterung einer Gasturbine teilweise kompensiert werden. Das ist möglich, weil die Technologie das gesammelte Wissen der Thermodynamik einer Gasturbine in Form von physikalischen Modellen mit Methoden des Maschinellen Lernens kombiniert.
„Es gibt bei Siemens viel weiteres Potenzial: Energieverteilung, Fertigungsautomatisierung, Prozessindustrie“, sagt Volkmar Sterzing mit Blick in die Zukunft. Hans-Gerd Brummel muss er da nicht überzeugen. Der verhandelt bereits mit weiteren Kunden aus der Kraftwerksbranche über GT-ACO und entwickelt weitere Optimierungsanwendungen.
Kontakt:
Herr Dr Norbert Aschenbrenner
Redaktion
Siemens AG
norbert.aschenbrenner@siemens.com
Originalartikel im Internet:
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Pictures of the Future
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