Spielende Kinder - kein Kinderspiel
Beim aktuellen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Wie sie spielten: Kinder und Konstruktionsspielzeug (1840 bis 1940)“ stehen die Nutzer im Mittelpunkt des Interesses. Die Design-Expertin und Ingenieurin Dr. Artemis Yagou untersucht am Deutschen Museum die Reaktionen und Haltungen von Kindern gegenüber technischem Spielzeug.
Das wird kein Kinderspiel: „Die größte Herausforderung ist die Quellensuche“, sagt Artemis Yagou. Die Forscherin hat sich ein „leichtes“ und zugleich extrem schwieriges Thema für ihr aktuelles Projekt ausgesucht. Seit vergangenen Oktober versucht sie herauszufinden „Wie sie spielten“, es geht um „Kinder und Konstruktionsspielzeug (ca. 1840 bis 1940)“. Das Kniffligste an dieser Untersuchung ist, dass Yagou vor allem die Perspektive der Kinder im Blick hat: „Die kann ich natürlich heute nicht mehr direkt befragen.“
Darum greift sie auf Veröffentlichungen wie Zeitungen, Biografien, Korrespondenzen, Leserbriefe an Magazine und Fotografien zurück. „Ein paar Quellen habe ich auch schon gefunden“, sagt Yagou, „wie die Biografie des Architekten Frank Lloyd Wright, in der er explizit erklärt, wie sehr ihn das Spiel mit Bauklötzen für seine spätere Arbeit inspiriert hat“. Allerdings liegt Yagous Augenmerk nicht so sehr auf Berühmtheiten oder Adligen wie der bayerischen Prinzen, über deren Spiel die Forscherin ebenfalls schon fündig wurde.
Sie zielt mehr auf Beobachtungen der Mittelklasse „wie den Brief eines etwa zehnjährigen englischen Buben an seine Eltern vom Anfang des vorigen Jahrhunderts, in dem er über seinen Baukasten berichtet.“ Das Schreiben stammt aus dem Archiv des Londoner Victoria & Albert Museum und zeigt, wie weitreichend die Recherche angelegt ist. So finanziert die DFG nicht nur die Arbeit von Artemis Yagou, sondern hat darüber hinaus für das Projekt auch eine Assistenzstelle genehmigt. Im Forschungsinstitut des Deutschen Museums haben die beiden die „ideale Umgebung“ für ihre Arbeit mit Bibliothek, Archiv und der Kompetenz der ansässigen Kollegen.
Für Artemis Yagou bedeutet diese Untersuchung auch eine Rückkehr nach ins Deutsche Museum: Die Industriedesign-Expertin war bereits 2011 als Scholar in Residence im Haus tätig. Auch damals galt ihr Interesse dem technischen Spielzeug, im Speziellen den gläsernen Dandanah-Bausteinen aus der Sammlung des Hauses. Die Ergebnisse ihrer Studien wurden in der Preprint-Reihe des Museums unter dem Titel „Modernist complexity on a small scale: The Dandanah glass building blocks of 1920 from an object-based research perspective“ veröffentlicht. Seither ist sie dem Haus eng verbunden, hat stets den Kontakt gepflegt und „nach Wegen gesucht, um zurückzukehren und weiterzumachen“.
So hat sie auch schon seit 2011 das Projekt „Wie sie spielten“ entwickelt. Den Ansatz, die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, erklärt die Forscherin so: „Was die Erwachsenen, die Eltern, die Designer und Produzenten mit den Baukästen wollten, ist schon zu einem großen Teil erforscht worden. Denen ging es in erster Linie darum, die Kinder durch gezielte Spielaktivitäten auf die Zukunft vorzubereiten.“ Indem Yagou nun den Fokus auf die Nutzer von Baukästen richtet, schließt sie an den Nutzer-orientierten Perspektivenwechsel der Technikgeschichte.
Zugleich soll das Projekt zu einem vertieften Verständnis für die Rolle von technikinspiriertem Spiel in modernen Gesellschaften beitragen - ein maßgebliches Thema für unsere Gesellschaft und ihre Zukunft, da technisches Spielzeug zu einem vorherrschenden Element von kindlicher Freizeit, Unterhaltung und Bildung geworden ist. „Man denke nur an die Spielkonsolen oder die digitalen Spiele auf den Handys heute - in gewisser Weise üben die Kinder damit ja auch Fertigkeiten, die sie vielleicht einmal für die Karriere am Computer brauchen können“, sagt Artemis Yagou.
Ihre Forschungsfragen an die Vergangenheit sind, inwieweit die Spielpraxis der Kinder den Ambitionen und Erwartungen der Erwachsenen entsprach oder widersprach, in welcher Weise dies erkannt wurde und welche Folgen daraus resultierten. „Daraus lassen sich möglicherweise auch Schlüsse für das gegenwärtige Spielen ziehen.“ Konzeptionell setzt ihr Vorhaben an der Schnittlinie einer kulturwissenschaftlich orientierten Technikgeschichte mit Design-Geschichte und Geschichte des Spiels an: „Wie sie spielten“ – das wird kein Kinderspiel.
Weitere Informationen:
http://www.deutsches-museum.de/de/forschung/
http://www.deutsches-museum.de/forschung/forschungsbereiche/wissenschaftsgesch/wechselwirkungen/kinder-und-konstruktionsspielzeug-1890-1940/
http://www.deutsches-museum.de/fileadmin/Content/010_DM/050_Forschung/040_Preprints/YagouPreprintFINALbearb.2015_10.pdf
http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/322037191