Als ein Gernegroß über Hessen herrschte
„Ein lebendes Abbild Karls des Großen“: Mit derlei anspruchsvollen Vergleichen feierten Zeitgenossen den hessischen Landgrafen Carl von Hessen-Kassel, dem sich von Frühjahr bis Sommer 2018 eine hessische Landesausstellung in Kassel widmet. Rechtzeitig zur Ankündigung des Ausstellungskonzepts legen Historiker und Kunsthistoriker aus Marburg und Kassel nun einen Sammelband zu Leben und Werk des Barockfürsten vor, dessen Taten nachwirken bis zum heutigen Tage: Holger Th. Gräf, Christoph Kampmann, Bernd Küster (Hg.): Landgraf Carl (1654 – 1730). Fürstliches Planen und Handeln zwischen Innovation und Tradition, Marburg 2017, ISBN 978-3-942225-39-7, XIII + 415 Seiten, 29 Euro.
Der Dreißigjährige Krieg war noch nicht lange vorüber, Europa und das Reich sortierten sich neu – da wollte Carl, der schon als 16-Jähriger den Thron bestiegen hatte, die sich bietenden Chancen bestmöglich nutzen. Er wurde in sage und schreibe 60 Regierungsjahren „eine der markantesten fürstlichen Persönlichkeiten des hessischen Herrscherhauses“, wie die Herausgeber Professor Dr. Holger Gräf, Professor Dr. Christoph Kampmann und Professor Dr. Bernd Küster schreiben.
Grund genug, das Wirken des Fürsten mit der Ausstellung „groß gedacht! groß gemacht? – Landgraf Carl in Hessen und Europa“ zu würdigen, die vom 16. März bis zum 1. Juli 2018 im Museum Fridericianum in Kassel zu sehen sein wird, veranstaltet von der Landeseinrichtung „Museumslandschaft Hessen Kassel“ (MHK). Zur Vorbereitung der Schau kamen im Jahr 2016 zahlreiche Historikerinnen und Historiker unterschiedlicher Fachdisziplinen in Kassel zu einer Konferenz zusammen, deren Beiträge den Grundstock des Sammelbandes bilden.
Das Werk nimmt die strukturellen Bedingtheiten und Voraussetzungen von Carls Politik in den Blick; die Herausgeber ließen sich dabei von der Überzeugung leiten, „dass das herrscherliche Wirken Carls bei allem Facettenreichtum durchaus als Einheit gesehen und dargestellt werden kann“. Im ersten Kapitel wird das historische Umfeld beschrieben, in dem sich Landgraf Carl bewegte; die zwei folgenden Kapitel thematisieren das politische Handeln des Landgrafen in Hessen sowie seine höfische Kulturpolitik. Im abschließenden vierten Kapitel geht es um die historische Rezeption Carls.
Als Carl im Jahr 1670 auf den Thron gelangte, war Hessen „von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges tief gezeichnet“, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung eindrucksvoll darlegen: „Rund die Hälfte der Bevölkerung war Hunger, Seuchen und Verheerungen zum Opfer gefallen. Handwerk, Handel und Gewerbe waren zusammengebrochen; Bildung, Wissenschaft und kulturelles Leben lagen darnieder.“
Der Landgraf zog zahlreiche Berater, Gelehrte und Künstler in seine aufblühende Residenzstadt. Auffällig war sein Bestreben, sich im Kreise der Reichsfürsten hervorzutun und diese zu übertreffen; wie Mitherausgeber Christoph Kampmann von der Philipps-Universität deutlich macht, neigte Carl hierbei dazu, übers Ziel hinauszuschießen. Nur die bedeutendsten und stärksten Länder vermochten eine vom Reich unabhängige Außenpolitik zu betreiben, und zu diesen wollte Landgraf Carl mit Hessen-Kassel unbedingt gehören.
Carls stehendes Heer war größer, als sich sein Fürstentum leisten konnte, so dass er seine Truppen vermieten musste, vorzugsweise an Großbritannien. „Anfang des 18. Jahrhunderts erreichte die Truppenstärke 12.000 Mann: Damit unterhielt die kleine Landgrafschaft mit ihren ca. 175.000 Einwohnern eine der größten Armeen im Reich“, führt Kampmann aus.
Den königlichen Rang für seinen Sohn Friedrich erlangte Carl nur gegen Zugeständnisse an Schweden. Hessen-Kassel geriet finanziell in Abhängigkeit von Großbritannien und drohte zu einem bloßen Nebenland Schwedens herabzusinken.
Bleibenden Ruhm erlangte der hessische Herrscher indes mit den Kunst- und Bauprojekten in seiner Residenzstadt Kassel, allen voran dem Bergpark Wilhelmshöhe mit dem Herkules. Mit diesen und weiteren Werken prägte Carl sein Land weit über seine Herrschaftszeit hinaus – bis heute. Die Landesausstellung macht die Persönlichkeit des Fürsten und die bewegte Zeit seiner Herrschaft durch spektakuläre Exponate und ein umfangreiches Beiprogramm erfahrbar.
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Holger Th. Gräf,
Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde
Tel.: 06421 28-24579
E-Mail: graef@staff.uni-marburg.de
Homepage: http://www.hlgl.de
Informationen zur Landesausstellung: http://museum-kassel.de/de/ausstellungen/gross-gedacht-gross-gemacht-
Homepage des Marburger Geschichtsvereins: http://www.vhghessen.de/marburg/index.html
Homepage der Historischen Kommission für Hessen: http://www.hiko-hessen.de/aktuelles/veranstaltungen-termine.html