Maschinelles Lernen in der Pathologie: Komplexe Daten sichtbar machen und interpretieren
In der Pathologie bedeutet maschinelles Lernen vor allem komplexe morphologische und molekulare Daten elektronisch sichtbar zu machen, zusammenzubringen und zu interpretieren. Neueste Erkenntnisse in dieser Woche auf der 102. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie vom 24.-26.5.2018.
Die mikroskopische Untersuchung von Geweben ist die Grundlage der modernen Pathologie. Hierbei liefern feinste sichtbare Veränderungen an Zellen und der Gewebearchitektur entscheidende Hinweise auf das Vorliegen z. B. eines bösartigen Tumors. Die Histomorphologie wird zunehmend durch molekulare Verfahren ergänzt, die es erlauben, pathologisch veränderte Gene oder Proteine zu identifizieren. Insbesondere Mutationsanalysen (Next-Generation-Sequencing/NGS) spielen eine immer wichtigere Rolle, da sie Zielmoleküle für sogenannte Präzisionstherapien identifizieren können. Allerdings liefern diese Hochdurchsatzverfahren ("Omics") kaum Informationen über die räumliche Verteilung der molekularen Merkmale im Tumor und angrenzenden gesunden Gewebe. Die Aufgabe der Pathologie wird es daher sein, die Vorteile der histomorphologischen und molekularen Verfahren zu verbinden. Für diese integrative "morphomolekulare" Pathologie bedarf es neuartiger experimenteller und computergestützter Ansätze.
Innovative experimentelle und computergestützte Methoden
Während die Darstellung einzelner molekularer Marker durch immunhistochemische oder in-situ Hybridisierungsmethoden im histologischen Schnittpräparat ein fester Bestandteil der pathologischen Routinediagnostik ist, ermöglichen neuere Verfahren wie bildgebende MALDI- oder CyTOF-Massenspektrometrie die parallele räumliche Analyse multipler molekularer Eigenschaften. „Diese bildgebenden massenspektrometrischen Verfahren helfen dabei, die Histomorphologie und Molekularpathologie zu verbinden, ersetzen bisher aber weder konventionelle histologische noch aktuelle ‚Omics‘-Verfahren. Computergestützte Verfahren aus dem Bereich des maschinellen Lernens können einen weiteren Beitrag zur morphomolekularen Integration leisten, indem sie es ermöglichen, morphologische Merkmale in histologischen Schnittpräparaten quantitativ zu erfassen und aus ihnen teilweise sogar molekulare Tumoreigenschaften vorherzusagen“, erklärt Prof. Dr. med. Dipl.-Phys. Frederick Klauschen, Geschäftsführender Oberarzt am Institut für Pathologie der Charité in Berlin und Leiter des Forschungsbereiches Systempathologie.
Die neuen Technologien unterstützen die immer komplexer werdende Arbeit des Pathologen. „Weil wir immer mehr über die biologischen Grundlagen von Tumorerkrankungen wissen und sie außerdem therapeutisch nutzbar machen können, kommen bei der Beurteilung von Gewebeproben immer mehr Faktoren ins Spiel. Neben der klassischen Diagnosefindung umfasst die Aufgabe des Pathologen heutzutage daher auch die Identifikation und Quantifizierung unmittelbar therapeutisch relevanter Tumoreigenschaften, wie beispielsweise Genmutationen in Wachstumsfaktorrezeptoren oder den Tumor infiltrierende Immunzellen“, so der Pathologe. „Maschinelles Lernen kann den Pathologen hierbei unterstützen.“
Black Box-Charakter von maschinellem Lernen überwinden
Bislang wird maschinelles Lernen häufig wegen seines Black-Box-Charakters kritisiert. “Man gibt etwas hinein“, erklärt Prof. Klauschen, „also zum Beispiel ein Bild und daraus entsteht eine Vorhersage, ohne dass man den Entscheidungsprozess des Computers nachvollziehen kann. Unser Ansatz ändert das und macht maschinelles Lernen interpretierbar, so dass wir die Gewebsstrukturen identifizieren können, die zur Vorhersage geführt haben, und das Ergebnis auf Plausibilität prüfen können.“
Die Vision für die Zukunft sieht laut Aussage des Experten so aus: „Wir wollen mit den computerbasierten Verfahren die morphologischen Gewebeeigenschaften standardisiert quantitativ analysieren. Also beispielsweise wie heterogen ist die Morphologie der Tumorzellen und wie dicht ist das Infiltrat der Immunzellen. Gleichzeitig wollen wir die Ergebnisse der molekularen Analysen (NGS, Massenspektrometrie-basierte Proteomik) in die Berechnungen integrieren und so klinisch relevante Voraussagen treffen.“
Herausforderungen – Algorithmen und unterschiedliche Daten
Noch stecken klinisch-diagnostische Anwendungen des maschinellen Lernens in den Kinderschuhen. Die enormen Datenmengen sowohl auf Seite der sehr großen histologischen Bilder als auch der "Omics"-Analysen bergen laut Ansicht des Spezialisten noch zahlreiche Tücken: „Hier geht es um Big Data und die Entwicklung effizienter Algorithmen. Wir arbeiten an diesen Themen eng mit Prof. Klaus-Robert Müller von der Technischen Universität Berlin zusammen. Aktuelle Fragen sind unter anderem, wie wir die Geschwindigkeit der Analysen an die Anforderungen der Routinediagnostik anpassen können und wie die ganz unterschiedlichen Typen von Daten integriert werden.“
Expertise des Pathologen bleibt ausschlaggebend
Für die nahe Zukunft ist der Einsatz der Verfahren in ersten klinischen Studien geplant. Noch wird es einige Jahre dauern, bis Systeme des maschinellen Lernens breite Anwendung in der pathologischen Routinediagnostik finden. „Aber schon kurzfristig werden Spezialanwendungen, wie beispielsweise die Quantifizierung tumorinfiltrierender Lymphozyten, den Alltag des Pathologen erleichtern. Dann werden Zelltypen automatisch identifiziert und ihre Anzahl ermittelt, statt manuell ausgezählt oder geschätzt werden zu müssen“, so Prof. Klauschen.
Verändern die neuen Methoden die Bedeutung der Pathologen bei der Diagnose von Krebserkrankungen? „Die zentrale Bedeutung der Morphologie und die Expertise der Pathologen bleibt unverändert“, sagt der Mediziner. „Rund 90 Prozent der Diagnosen erfolgen bei uns nach wie vor durch das Aufspüren mikroanatomischer Veränderungen. Molekulare Verfahren wie das NGS liefern uns aber heute zusätzlich eine Menge wichtiger Informationen und Ansätze für neue Therapien. Die Verbindung von morphologischer und molekularer Sichtweise wird in Zukunft einen enormen Mehrwert für die Diagnostik bieten, der im Zusammenhang mit den Möglichkeiten des maschinellen Lernens faszinierende Chancen für optimierte und individuelle Therapien eröffnet.“
Neueste Forschungsergebnisse und innovative Ansätze zum Thema maschinelles Lernen ist eine der Themen der 102. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie vom 24. bis 26. Mai 2018 in Berlin. Im Fokus des Kongresses stehen drei Themenschwerpunkte: Tumorevolution und -heterogenität, seltene Erkrankungen sowie digitale Medizin. Weitere Informationen unter www.pathologie-kongress.com.
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