Molekulare Diagnostik – ein wertvolles Instrument, aber isoliert mit nur eingeschränktem Wert
Die Molekulardiagnostik spielt mit ihren komplexen Analysen eine immer stärkere Rolle bei der Untersuchung und Behandlung von malignen Erkrankungen. Multigen-panel Tests können heute bereits eine Vielzahl von Genen parallel analysieren. Auf wenigen Gebieten der Biomedizin wurden in den letzten zehn Jahren derart spektakuläre Fortschritte gemacht. Die modernen Verfahren zur Erkennung krankheitsrelevanter Veränderungen des Erbgutes sind heute dazu fähig, das gesamte menschliche Genom zu entschlüsseln. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen.
Wie ein effizienter Umgang mit der leistungsfähigen Methode aussieht, erläutert Prof. Dr. Wilko Weichert, Direktor des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Technischen Universität München, im Gespräch mit der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP).
DGP: Prof. Weichert, Ihre Aussage auf der von der DGHO organisierten gemeinsamen Pressekonferenz zum Thema Molekulardiagnostik am 15. Januar 2019 in Berlin – „Molekulare Diagnostik an sich hat isoliert nur einen sehr eingeschränkten Wert zur Behandlung von Krebspatienten“ – hörte sich sehr nüchtern an, angesichts der hohen Erwartungen an die leistungsfähige Methode. Was steckt hinter dieser Aussage?
Wilko Weichert: Eine Methode in der Routinediagnostik, egal wie leistungsfähig sie ist, ist immer nur so gut, wie sie Informationen liefert bezüglich einer sinnvollen Therapie für einen einzelnen Patienten. Zwar bieten sich heute enorme Möglichkeiten in der molekulargenetischen Charakterisierung von Tumoren, leider haben wir aber für viele genetische Veränderungen noch keine passenden zielgerichteten Medikamente. Zudem ist die Molekularanalytik allein ohne die Einbeziehung des morphologischen Befundes und der klinischen Gesamtkonstellation von sehr eingeschränkter Wertigkeit hinsichtlich der Therapiesteuerung.
In der Wahrnehmung der Patienten – auch gelenkt durch teilweise überoptimistische Berichterstattung in den Medien – herrscht heute leider oft die Meinung vor: ‚Kenne ich das molekulare Profil meines Tumors, dann kann er in jedem Fall erfolgreich therapiert werden‘. Diese Annahme ist häufig zu zuversichtlich und führt auch immer wieder zu Enttäuschungen. Viele Genveränderungen können wir noch nicht einordnen oder als therapeutisches Ziel nutzen. Und es zählt – wie gesagt – für die Behandlung das Gesamtbild und nicht ein isoliertes Molekularprofil.
DGP: Können Sie die sinnvolle Nutzung der Molekulardiagnostik an einem Beispiel verdeutlichen?
Bei Lungenkarzinomen, bei vielen hämatologischen Neoplasien oder – etwas experimenteller - bei Krebserkrankungen mit unbekanntem Primärtumor, dem sogenannten CUP-Syndrom, sind molekulare Verfahren eine wichtige Option. Auch generell bei Patienten, die mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen nach Durchlaufen aller etablierten Therapielinien keine weiteren Optionen mehr haben, kann eine breite molekulare Charakterisierung zur Therapiefindung eingesetzt werden. In diesen Beispielen und vielen weiteren Konstellationen sollten Patienten das Recht auf eine breite molekulare Diagnostik besitzen.
Bei einem neu diagnostizierten Karzinom dagegen – zum Beispiel Brustkrebs – mit sehr gut etablierten häufig zur Heilung führenden ersten Behandlungslinien von Operation und adjuvanter/neoadjuvanter Chemotherapie/Strahlentherapie bzw. etablierter medikamentös-therapeutischer Behandlung macht molekulargenetische Diagnostik zur Therapieplanung zunächst keinen Sinn, unabhängig vom Vorliegen etwaiger Mutationen. Die Methodik kann aber z. B. dann bei der gleichen Brustkrebspatientin sinnvoll werden, wenn später ein Rezidiv auftritt und die etablierten Therapien ausgeschöpft sind. Das Ergebnis muss dann aber immer in den Gesamtzusammenhang eingebettet werden.
DGP: Was heißt das genau?
Die Informationen der Molekulardiagnostik müssen zwingend in Verbindung mit den Informationen, die aus den klassischen Verfahren der Histologie und Immunhistochemie gewonnen wurden, interpretiert werden. So kann z. B. die gleiche Mutation in einer Tumorerkrankung auf die Wirksamkeit eines Medikamentes hinweisen, in einer anderen Tumorerkrankung ist dieser Zusammenhang aber ggf. nicht gegeben. Ein typisches Beispiel ist die BRAF Mutation, die im schwarzen Hautkrebs auf das Ansprechen auf BRAF-Inhibitoren hinweist, während dieser Zusammenhang im Dickdarmkarzinom in der Regel nicht gegeben ist. Zudem spielt die Einbettung der morphomolekularen Befunde in die klinische Gesamtkonstellation eine herausragende Rolle.
Um diese integrale Beurteilung zu sichern, sollte die Gesamtheit aller diagnostischen Ergebnisse in Tumorboards immer im interdisziplinären Austausch besprochen werden. Ziel ist dabei immer, gemeinsam über die individuell beste Therapie zu entscheiden. Der Pathologe ist hier wichtig zur Darstellung der diagnostischen Situation, der Chirurg steuert beispielsweise Einschätzungen über den Erfolg einer Operation bei, der Radioonkologe berichtet über mögliche Strahlentherapieoptionen und der Onkologe äußert seine Meinung zur medikamentösen Therapie.
DGP: Welche Bedeutung haben Netzwerke beim Thema Molekulardiagnostik?
Sie spielen eine sehr große und zukünftig noch wachsende Rolle. Die Molekulardiagnostik liefert eine Unmenge an wertvollen Daten. Wir brauchen flächendeckende und vielfältige Netzwerke, die diese sammeln und zum Wohle der Patientinnen und Patienten auswerten. Welche molekularen Veränderungen liegen bei welchem Tumor vor? Welche Wirkstoffe schlagen bei welchen Tumorvarianten an? In dem Zusammenhang warten viele Fragen auf Antworten.
Erste Anfänge gibt es mit dem auf Lungenkarzinome spezialisierten Nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM), dem Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) und dem Arbeitskreis molekulare Tumorboards der Krebshilfespitzenzentren. Aber das ist bei Weitem nicht ausreichend. Wir brauchen in dem Feld neue Strukturen und auch entsprechende Finanzierungskonzepte. Molekulare Diagnostik ist nicht umsonst zu haben und die auf der Diagnostik fußenden modernen Therapien sind noch sehr viel teurer. Erst durch sichere Erkenntnisse auf Basis großer Datenmengen und analysierter Patientinnen und Patienten können wir diese teilweise extrem teuren Behandlungen auf sichere Füße stellen. Derartige Daten sollten in öffentlicher Hand bleiben und dürfen nicht einzelnen Unternehmen gehören, die möglicherweise dann selektieren, welche Informationen sie weitergeben und welche nicht.
DGP: Wie sieht die Zukunft in der Molekulardiagnostik aus?
Die Molekulardiagnostik ist ein hochdynamisches Feld. Zukünftig werden nicht nur Gene, sondern mehr und mehr auch Proteine im Fokus stehen, die uns Aufschluss über die exakte Zuordnung und Unterart einer Erkrankung geben. Das immer komplexer werdende Spektrum von Biomarkern, die uns zur Verfügung stehen werden, muss aber auch in Zukunft – hier knüpfe ich an den Anfang des Gespräches an – immer auf Basis der morphologischen Ergebnisse und des gesamtklinischen Bildes interpretiert werden.
Weitere Informationen:
http://www.pathologie-dgp.de/die-dgp/aktuelles/meldung/pressekonferenz-zum-positionspapier-qualitaets-gesicherte-molekulardiagnostik-in-der-onkologie-zie/
http://www.dgho.de/aktuelles/presse/pressemeldungen/qualitaetsgesicherte-molekulardiagnostik-in-der-onkologie-zielgerichtet-integriert