Leopold Lucas-Preis 2019 geht an Diarmaid MacCulloch
Evangelische Fakultät der Universität Tübingen zeichnet britischen Historiker aus ‒ Nachwuchswissenschaftlerpreis für Alexa von Winning
Der Historiker Sir Diarmaid MacCulloch hat am Dienstag den Dr. Leopold Lucas-Preis der Universität Tübingen erhalten. Der anglikanische Theologe und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford gilt als führend im Bereich der Reformationsforschung. Die Evangelisch-Theologische Fakultät zeichnete ihn für seine wissenschaftlichen Verdienste um ein umfassendes Verständnis von Religion und europäischer Geschichte aus. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis würdigt hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung sowie der Philosophie. Er ehrt besonders Persönlichkeiten, die sich um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht und so die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern fördern.
Den Dr. Leopold Lucas-Preis für Nachwuchswissen¬schaftlerinnen und - wissenschaftler erhielt auf Vorschlag der Philosophischen Fakultät Alexa von Winning vom Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen. In ihrer Promotion „Leaving Home. The Noble Family, Imperial Russia, and Global Orthodoxy, 1855-1936” setzt sie sich mit dem Zusammenspiel von Politik und Privatleben im Russischen Reich auseinander. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert.
Rev. Professor Diarmaid MacCulloch (geb. 1951) war nach seinem Theologiestudium als Diakon der anglikanischen Kirche tätig. 1997 wurde er als Professor für Kirchengeschichte an die Universität Oxford berufen und erforscht dort vor allem die Reformation und das England zur Tudor-Zeit. Er war für zwei Jahrzehnte Mitherausgeber des Journal of Ecclesiastical History und hat für die BBC Historienfilme begleitet. 2012 wurde er in den Ritterstand erhoben. Foto: Barry Jones
Seine mehrfach ausgezeichneten Arbeiten zur englischen Reformationsgeschichte zeigen diese als Prozess, der zwischen 1490 und 1700 die kirchliche, politische und gesellschaftliche Landkarte Europas umpflügte. Er habe damit die Perspektive auf die Frühe Neuzeit nachhaltig verändert, sagte die Jury in ihrer Begründung. „Reformation geht hier nicht nur vom Universitätsstädtchen Wittenberg aus, sondern ist ein konfessionsübergreifender Vorgang mit vielschichtigen Dynamiken, dessen Anfänge ausgerechnet in Spanien und der Inquisition liegen: Die europäischen Staaten organisierten sich straffer als im Mittelalter und formten ihre Gesellschaften nach religiösen Leitlinien um. Diarmaid MacCulloch zeichnet ein polyzentrisches Europa der Frühen Neuzeit, in dem unterschiedliche Kräfte eine Modernisierung vorantrieben, die die europäische Gesellschaft bis heute prägt. In großer Gelehrsamkeit und doch mit leichter erzählerischer Hand verabschiedet er sich so von gängigen Mustern nationaler Geschichtsschreibung und dient als Historiker eben jenem Toleranzgedanken, dem der Leopold-Lucas-Preis gewidmet ist.“
Alexa von Winning (geb. 1984) studierte Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in Tübingen und Kazan (Russische Föderation). In ihrer Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen erforschte sie das historische Zusammenspiel von Politik und Privatleben. Im russischen Reich wirkten hochmobile Elitefamilien als Bindeglieder zwischen der Russisch Orthodoxen Kirche und der globalisierten Welt des 19. Jahrhunderts. Dies brachte Chancen und Risiken mit sich: Mobile Familien trieben die internationale Präsenz des Reichs und der Kirche voran und waren zugleich Einfallstore für Ideen, die staatliche und kirchliche Autoritäten nur schwer kontrollieren konnten. Die Dissertation zeigt, dass Familien nicht immer häuslich und Politik auch im
19. Jahrhundert nicht immer männlich war. Foto: Friedhelm Albrecht
Der Dr. Leopold Lucas-Preis wird von der Dr. Leopold Lucas-Stiftung finanziert (Trägerverein: Universitätsbund Tübingen) und wurde 1972 von Generalkonsul Franz D. Lucas, Ehrensenator der Universität Tübingen, gestiftet. Anlass war der 100. Geburtstag seines Vaters, des jüdischen Gelehrten Dr. Leopold Lucas. Dieser wirkte als Rabbiner in Glogau und zuletzt an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin und kam 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt ums Leben. Der zu seinem Gedächtnis ins Leben gerufene Preis wird jährlich von der Evangelisch-Theologischen Fakultät im Namen der Universität Tübingen verliehen.
Zu den bisherigen Preisträgern gehören Gelehrte wie Schalom Ben-Chorin (1974), Karl Raimund Popper (1981), Karl Rahner (1982), Fritz Stern und Hans Jonas (1984), Paul Ricoeur (1989), Moshe Zimmermann (2002), Dieter Henrich (2008) und Seyla Benhabib (2012) aber auch Repräsentanten religiösen Lebens wie der 14. Dalai Lama (1988), der polnische Erzbischof Hendrik Muszynski (1997) und der evangelische Bischof Eduard Lohse (2007). Geehrt wurden auch Vertreter aus Kultur und Politik wie der senegalesische Dichter und Staatspräsident Léopold Sédor Senghor (1983), der polnische Lyriker und Essayist Adam Zagajewski und die Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker (2000) und Joachim Gauck (2017).
Hochaufgelöste Versionen der Fotos erhalten Sie unter http://www.pressefotos.uni-tuebingen.de/20190507_Lucas-Preis.zip
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