Armutsrisiko von Rentnern in Ländern der EU wächst
Infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 mussten viele Rentner in Europa zum Teil jahrelang auf die Anpassung ihrer Renten verzichten. In Kombination mit grundlegenden Reformen der Rentensysteme ist das Armutsrisiko von Rentnern in vielen Ländern der Europäischen Union (EU) gewachsen. Betroffen sind vor allem ältere Rentner ab 75 Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, in der die Änderungen der Anpassungsmodalitäten für Bestandsrenten im Zeitraum von 2008 – 2017 in den EU-Staaten untersucht wurden. Angesichts der Armutsgefahr für viele Rentner haben einige Länder nun damit begonnen, die größten Härten abzufedern.
Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 hat die Staatsfinanzen vieler Länder unter Druck gesetzt. Um die öffentlichen Haushalte zu entlasten, hat eine Reihe von Staaten in Europa die Art und Weise, in der die Renten an ökonomische Entwicklungen wie Preis- und Lohnsteigerungen angepasst werden, verändert. So entschieden sich insgesamt 15 EU-Staaten, den Realwert der Renten durch Änderungen im Anpassungsmechanismus zu mindern, darunter Bulgarien, die Tschechische Republik, Griechenland, Finnland, Frankreich, Ungarn, Italien, Lettland, Portugal, Rumänien und Schweden. In einigen Ländern führte dies zu drastischen Kürzungen der Bestandsrenten. Hinzu kommen Reformen, die auf eine Absenkung des Rentenniveaus im Rentenzugang allgemein abzielen und damit die Rentenhöhe von vornherein niedriger ansetzen, wie dies auch in Deutschland geschehen ist.
Eine jüngst erschienene Analyse des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik kommt zu dem Schluss, dass gerade Renten mit einem niedrigen Einstiegsniveau regelmäßig angepasst werden müssen. Denn eine restriktive Rentenanpassung berücksichtigt zwei Punkte nicht: 1. Renten werden zunehmend länger bezogen, da die Lebenserwartung in den meisten Ländern kontinuierlich steigt. 2. Werden die Renten über die Jahre nicht angemessen an das Wohlstandsniveau eines Landes angepasst, lassen Preissteigerungen ihre Kaufkraft sinken. Mit anderen Worten: Dieselbe Rente ist nach 10 Jahren weniger wert.
"Bei unzureichender Anpassung der Renten ohne Anbindung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten einer Gesellschaft wächst das Risiko von Altersarmut, und dies gefährdet wiederum den sozialen Zusammenhalt", warnt Dr. Eva Maria Hohnerlein, die die Untersuchung durchgeführt hat. Die Missachtung dieser Faktoren durch die Politik stellt aber nicht nur die Einkommenssicherheit im Ruhestand als Hauptziel der Altersversorgung in Frage; unter Umständen unterschreiten manche Länder künftig auch die von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und dem Europarat festgelegten internationalen Standards der sozialen Sicherheit.
Um die Rentenausgaben im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise zu senken, haben die Staaten im Wesentlichen zwei Wege gewählt:
1. Eine zeitlich begrenzte Einschränkung von Rentenanpassungen: Vielfach wurden die Anpassungsregeln einfach für zwei Jahre oder länger ausgesetzt, so geschehen in Griechenland (2010-2015), Zypern (2013-2016), Lettland (2009-2012), Rumänien (2011-2013), Kroatien (2010-2011) und Frankreich (2014-2016).
2. Dauerhafte Einschnitte im Rentenniveau über die Änderung der Regeln für die Anpassung: So beschlossen die Slowakei und Rumänien, die Rente künftig anhand des Verbraucherpreisindexes anzupassen. Dadurch wird zwar die Inflation ausgeglichen, von einem wachsenden Lebensstandard im Land werden die Rentner aber langfristig ausgeschlossen. In Griechenland wurde die jährliche Rentenanpassung nun dauerhaft abgesenkt. Die drastischste, inzwischen etwas modifizierte Änderung nahm Spanien 2013 vor. Die Regierung führte eine neue Formel ein, nach der die jährliche Rentenaufwertung maximal 0,5% des Verbraucherpreisindexes beträgt und höhere Anpassungen nur dann gestattet sind, wenn Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung im Gleichgewicht sind.
Modellrechnungen der EU für das Jahr 2066 zeigen, dass infolge der Reformen nach zehn Jahren die ausgezahlten Renten deutlich niedriger liegen werden als die Zugangsrenten. Die größte Rentenerosion mit 10 Prozentpunkten oder mehr wurde für Portugal, Ungarn, Belgien und Österreich prognostiziert.
Angesichts dessen haben vor allem Länder in Osteuropa, wo die Renten schon vor der Krise niedrig waren, nun begonnen, der drohenden Altersarmut von insbesondere älteren Rentnern entgegen zu wirken, darunter die Tschechische Republik, Kroatien und die Slowakei. Eine interessante Neuerung in diesem Zusammenhang ist das "Günstigkeitsprinzip", eine Variante, die in Großbritannien schon seit 2011 praktiziert wird. So wird in Polen und der Tschechischen Republik zum Beispiel der Preisindex zur Berechnung herangezogen, der sich auf die Rentenanpassung am positivsten auswirkt.
In den kommenden Jahrzehnten wird eine angemessene Anpassung der Renten wegen grundlegender Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt noch wichtiger werden. Die Zahl von kürzeren, unterbrochenen und atypischen Erwerbsbiografien, die niedrigere Sozialversicherungsbeiträge und geringere Rentenansprüche mit sich bringen, wird weiter wachsen. Rentenreformen sollten deshalb die Bestandsrenten nicht vom Wohlstandsniveau eines Landes abkoppeln.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Eva Maria Hohnerlein
E-Mail: hohnerlein@mpisoc.mpg.de
Originalpublikation:
Eva Maria Hohnerlein: Pension indexation for retirees revisited – Normative patterns and legal standards, in: Global Social Policy, 2019
https://doi.org/10.1177/1468018119842028