„Poetische Perlen“: Goethes West-Östlicher Divan erschien vor 200 Jahren
Mit der Erstausgabe seines West-östlichen Divan hat Johann Wolfgang von Goethe 1819 die umfang- und facettenreichste Gedichtsammlung seines Gesamtwerks veröffentlicht. 200 Jahre später sind die Gedichte für Anke Bosse noch immer von eindrucksvoller Faszination und Aktualität. Aus Anlass des Jubiläums wurde sie vom Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar und vom Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum eingeladen, eine Divan-Ausstellung zu kuratieren. Sie ist nun in Weimar und ab August in Frankfurt zu sehen. Mit uns hat sie darüber gesprochen, warum es sich lohnt, sich auf den West-östlichen Divan auch heute noch einzulassen.
Wie wirkt der West-östliche Divan bis heute nach?
Nehmen wir als Beispiel das 1999 von Daniel Barenboim, Edward Said und Bernd Kauffmann gegründete Jugendorchester West-Eastern Divan Orchestra. Es wurde aus arabischen, palästinensischen und israelischen jungen Menschen zusammengestellt, um den Dialog und Austausch zwischen den Kulturen zu fördern und ein Zeichen zu setzen gegen den andauernden Krieg. Der Titel West-östlicher Divan hat sich – so zeigt dieses Beispiel – ist inzwischen ein eigenständiges Label für das Programm geworden, das hinter Goethes Divan steht: kulturübergreifender Austausch. Die Brücken, die Goethe poetisch geschlagen hat, die brauchen wir noch heute. Dringender denn je.
Inwiefern ist Kunst ein adäquates Mittel dafür?
Die Menschen sind – unseres Wissens – die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, die ein Selbst-Bewusstsein haben. Wir können mental aus uns heraustreten und uns selbst beobachten, beurteilen. Wichtige Voraussetzung für jede Ethik, für jedes Zusammenleben! Zum Selbst-Bewusstsein gehört auch Selbst-Vergewisserung, und diese haben die Menschen über Jahrtausende hinweg aus der Kunst bezogen. Kreative Techniken wie Schreiben, Malen, Musizieren hatten und haben eben diesen psychosozialen Zweck der Selbstvergewisserung für jede, für jeden von uns. Das ist bis heute die Aufgabe der Kunst – und zwar in allen Kulturen, weltweit. Daher ist Samuel Huntingtons unseliges und einseitiges Konzept der Clash of Cultures aus vielerlei Gründen irreführend: Dass es eine Kultur oder mehrere Kulturen nebeneinander gibt, die kriegerisch gegeneinanderknallen, ist eine grobe Vereinfachung. Die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine Migrationsgeschichte, Kulturen sind also immer gemischt und gar nicht genau abgrenzbar. Erinnern Sie sich, was ich eben zur Erfindung der Schrift, den Religionen, dem Transfer von Ost nach West, nach Europa erläuterte. Wichtig ist: Erst, wenn wir uns mit uns selbst und miteinander auseinandersetzen, können wir als Gesellschaft weiterwachsen – und zwar transkulturell. Im Zeitalter der Globalisierung müsste das selbstverständlich sein. Goethe hat es – poetisch – im Divan vorgemacht und sich für einen „freyen geistigen Handelsverkehr“ eingesetzt. Das ist sein Konzept einer ‚Weltliteratur‘.
Das gesamte Interview lesen Sie unter https://www.aau.at/blog/poetische-perlen-goethes-west-oestlicher-divan-erschien-vor-200-jahren/
Zur Ausstellung
Die Ausstellung „Poetische Perlen“ aus dem „ungeheuren Stoff“ des Orients. 200 Jahre Goethes West-östlicher Divan ist in Weimar von 19. April bis zum 21. Juli 2019, in Frankfurt von 21. August bis zum 23. Oktober 2019 zu sehen. Das gleichnamige, von Anke Bosse (Robert-Musil-Institut für Literatruforschung/Kärntner Literaturarchiv) verfasste Begleitbuch ist im Wallstein Verlag erschienen (ISBN: 978-3-8353-3423-6, 15,00 €).