Die Rechentricks der Künstlichen Intelligenz
Der Körber-Preis 2019 geht an Bernhard Schölkopf
Den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2019 erhält der deutsche Physiker, Mathematiker und Informatiker Bernhard Schölkopf. Er hat mathematische Verfahren entwickelt, die maßgeblich dazu beitrugen, der Künstlichen Intelligenz (KI) zu ihren jüngsten Höhenflügen zu verhelfen. Weltweites Renommee erlangte Schölkopf mit sogenannten Support-Vektor-Maschinen (SVM). Dies sind keine Maschinen im klassischen Sinne, sondern raffinierte Algorithmen (Programmanweisungen), mit denen Computer hochkomplizierte KI-Berechnungen schnell und präzise erledigen können.
Bernhard Schölkopf, 51, ist ein Pionier dieser neuen industriellen Revolution, die auf Information basiert. Nach dem Studium der Physik, Mathematik und Philosophie in Tübingen und London ging der gebürtige Stuttgarter mit einem Stipendium an die amerikanischen Bell Labs, wo sein späterer Doktorvater Vladimir Vapnik gerade anfing, an SVMs zu forschen. 1997 promovierte Schölkopf an der TU Berlin in Informatik. Bereits im Vapnik-Team trug er entscheidend dazu bei, die SVM-Technologie zur Anwendungsreife zu entwickeln. Nach Tätigkeiten in Cambridge, England, und einem New Yorker Biotech-Startup wurde Schölkopf 2001 Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik in Tübingen. 2011 war er einer der Gründungsdirektoren des MPI für intelligente Systeme in Tübingen.
Obwohl fast alle tagtäglich damit in Kontakt kommen, weiß rund die Hälfte der Deutschen nicht, was unter dem Begriff »Künstliche Intelligenz« zu verstehen ist. »Kl ist im Spiel, wenn das Smartphone abgespeicherte Fotos automatisch nach Gesichtern und Themen wie Urlaub gruppiert«, erklärt Schölkopf, »oder Texte von einer Sprache in eine andere übersetzt.«
KI erlebt zurzeit einen weltweiten Boom, nicht zuletzt wegen ihrer wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung. USA und China investieren Milliarden in diese Technologie, die weltweit das Arbeitsleben grundlegend verändern dürfte. Bereits vor der Jahrtausendwende sind intelligente Roboter in großem Stil in die Fabriken eingezogen, etwa in der Autoindustrie. Künftig werden intelligente Systeme auch zunehmend Routinearbeiten in Büros übernehmen.
Die von Bernhard Schölkopf mitentwickelten Support-Vektor-Maschinen ähneln dem Gehirn nachempfundenen neuronalen Netzen, liefern jedoch bei manchen Aufgaben präzisere Ergebnisse. Darüber hinaus basieren sie auf soliden mathematischen Grundlagen, was ihre Arbeitsweise transparenter macht. SVM müssen anfangs trainiert werden, wie das menschliche Gehirn beim Lernen. Ihre Besonderheit liegt darin, dass ihre Algorithmen saubere Klassifizierungen in mathematischen Räumen höherer Dimension vornehmen, der Computer dies jedoch mit vergleichsweise einfachen und schnellen Berechnungen erledigen kann.
Erste SVM-Systeme aus den 1990er Jahren konnten handgeschriebene Ziffern auf Briefen fast so gut erkennen wie Menschen und waren besser als alle konkurrierenden Systeme. Sie gaben der Informatik auch wegen ihres systematischen mathematischen Ansatzes einen deutlichen Schub. Schölkopf ist heute der am häufigsten zitierte deutsche Informatiker und zählt gemäß dem Forschungsmagazin »Science« zu den zehn einflussreichsten Computerwissenschaftlern der Welt.
Aktuell erforscht das Schölkopf-Team am MPI Tübingen Algorithmen, die aus Daten auch kausale Zusammenhänge erkennen können. Kausale Inferenz nennt sich diese vielversprechende neue Forschungsrichtung. Ziel ist unter anderem, KI-Systeme robuster gegen Störeinflüsse zu machen. »Wenn in einer geschlossenen Ortschaft ein Tempo-30-Schild so überklebt wurde, dass es wie ein Tempo-120-Schild aussieht, dann muss das KI-System eines selbstfahrenden Autos aus dem Kontext erschließen können, dass dieses Schild zu ignorieren ist«, so Bernhard Schölkopf.
Ein weiteres Anliegen Schölkopfs ist es, Deutschland in der harten internationalen KI-Konkurrenz zu einer Spitzenstellung zu verhelfen. Er ist Mitgründer des weltweit renommierten »Cyber Valley« in der Region Stuttgart-Tübingen – eines vom Land Baden-Württemberg geförderten Kompetenzzentrums, das auch führende amerikanische Firmen einbinden konnte. Im Rahmen des geplanten ELLIS-Programms (European Laboratory for Learning and Intelligent Systems) will Schölkopf »führende europäische Standorte besser miteinander vernetzen, gemeinsame Programme aufsetzen und Doktoranden ausbilden. Junge Spitzenforscher sollten nicht in die USA gehen müssen, um auf dem höchsten Niveau zu arbeiten.« Wichtig sei weiterhin eine noch umfangreichere staatliche KI-Förderung. Die Mittel des Körber-Preises will Schölkopf unter anderem in seinem Fachgebiet Kausale Inferenz und für Workshops zur Förderung des ELLIS-Projekts verwenden.
Der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2019 wird Bernhard Schölkopf am 13. September im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses überreicht. Aus Anlass ihres 60-jährigen Bestehens erhöht die Körber-Stiftung die Dotierung des Preises ab diesem Jahr auf eine Million Euro. Damit zählt der Körber-Preis zu den weltweit höchstdotierten Forschungspreisen. »Wir wollen ein Zeichen für die Anerkennung von Spitzenforschung in Europa setzen«, so Dr. Lothar Dittmer, Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung, »und mit unserer ebenfalls neuen Regelung, dass fünf Prozent der Preissumme für die Wissenschaftskommunikation zu verwenden sind, dazu beitragen, dass diese Anerkennung auch in der Öffentlichkeit wächst.« Die Körber-Stiftung zeichnet mit dem Körber-Preis seit 1985 jedes Jahr einen wichtigen Durchbruch in den Physical oder den Life Sciences in Europa aus. Prämiert werden exzellente und innovative Forschungsansätze mit hohem Anwendungspotenzial. Nach Verleihung des Körber-Preises erhielten bislang sechs Preisträgerinnen und Preisträger den Nobelpreis.
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- CV Bernhard Schölkopf
- Fotos: Portraits Bernhard Schölkopf, Tischtennisroboter, Muskelroboter
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