Roland Lambrette, Rektor der HfK Bremen, würdigt Jürgen Wallers Pionierrolle für HfK und Bremer Kulturlandschaft
Anlässlich der Ausstellungseröffnung „80 Jahre Jürgen Waller // 60 Jahre Kunst“ in der Galerie der Hochschule für Künste Bremen beschrieb HfK-Rektor Lambrette die Rolle des Jubilars für die Entwicklung der Hochschule. Die Eröffnung war die Auftaktveranstaltung von gleich vier Ausstellungen in der Galerie der HfK Bremen, der Kunsthalle Bremen, der Weserburg Museum für moderne Kunst sowie der Galerie Birgit Waller in Lesum. Neben Lambrette sprachen Janneke de Vries, Direktorin der Weserburg Museum für moderne Kunst, und Prof. Dr. Grunenberg, Direktor der Kunsthalle Bremen.
Hier die Laudatio im Wortlaut:
Lieber Jürgen Waller, liebe Birgit Waller, liebe Förderer, Freunde und Freundinnen der HFK, liebe Weggefährt*innen, Kollegen und Kolleginnen des Ehepaars Waller, liebe Kolleg*innen, liebe Studierende, liebe Gäste.
„Ein richtiger Künstler muss auch schon mal in Paris unter den Brücken genächtigt haben!“ Mit diesem Spruch wurde der frischgebackene Rektor Jürgen Waller 1989 zwar legendär, aber großen Zuspruch fand er damit bei seinen Studentinnen und Studenten nicht grade. Für die Studentengeneration um 1990 hatten die Brücken von Paris nur wenig Reiz und romantisch fanden sie es dort schon gar nicht.Außerdem waren ja eher New York und London die angesagten Bezugspunkte.Aber unpopuläre Meinungen zu vertreten hat Jürgen Waller noch nie etwas ausgemacht – im Gegenteil! Wenn es jemanden gab, der keine Scheu hatte,sich für seine Überzeugungen, mit wem auch immer, anzulegen, dann war es Jürgen Waller. Daher kann es es auch nicht verwundern – um in Paris zu bleiben – dass man Waller im Mai ’68 in vorderster Front auf den Barrikaden am Boulevard St. Michel findet. Die Narben, die er damals von den Polizeiknüppeln davongetragen hat, sind noch heute auf seinem Schädel zu sehen. Als „unerwünschter Ausländer“ aus Frankreich ausgewiesen, arbeitete er lange in West-Berlin. Und landete schließlich in Bremen an der Kunsthochschule als „Professor für Malerei“. Die Hochschule hat zwar unter wechselnden Namen eine Tradition, die bis ins 19. Jhd.reicht, aber erst 1988 war sie zu einer richtigen Kunsthochschule im Range einer Universität geworden. 1989 wurde Jürgen Waller ihr erster Rektor und blieb es für elf Jahre. In diesen elf Jahren ist viel passiert ... eine neue Ära ... mit Höhepunkten und Wendepunkten.Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Hochschule für Künste, wie sie sich heute präsentiert, in ihrer Grundstruktur in der Ära Waller entstanden ist. Die Hochschule wurde in dieser Zeit personell undmateriell gewaltig ausgebaut, das frühere Konservatorium und die Akademie für Alte Musik verschmolzen zum Fachbereich Musik. Und vor allem: Erst in diesen Jahren wurden die beiden markanten Gebäude Speicher XI und Dechanatstraße der Hochschule zugeschlagen. Das war Wallers großer Coup: Er hat in der entstehenden Überseestadt den Speicher XI für die Hochschule gesichert.Und er hat den Komplettumzug der HfK in der Politik und im Haus durchgesetzt – alles andere als eine leichte Aufgabe.
Erst durch diesen Umzug wurde die Dechanatstr. zum endgültigen Domizil der Musik, und der Fachbereich Kunst und Design konnte diesen seltsam toten Winkel ,Am Wandrahm‘ verlassen. Die HfK entwickelte sich in der Überseestadt zu einem öffentlich wahrnehmbaren Motor der Stadtentwicklung. Und für die Kunstzu einen ausbaufähigen und gutmütigen Ankerplatz, der heute und in Zukunft Horizonte offen hält. Horizonte für das Eigenleben, Horizonte für den Eigensinn, die Eigenart und die Eigenständigkeit von Kunst und Kultur. Nur so ist sie auch der Gesellschaft ‚dienlich’, kann ihr Perspektiven eröffnen, die sie überraschen, herausfordern, amüsieren und empören können.Und was macht Jürgen Waller? In einer unerwarteten Wende verzichtete er damals darauf, die Früchte seiner Initiative selbst zu ernten. Nachdem der Umzug in den Speicher XI beschlossene Sache war, trat er 2001 in seiner dritten Amtsperiode völlig überraschend zurück und verfolgteden Umzug und den Neustart seiner Hochschule nur noch von außen. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass der Wechsel in den Speicher XI der wichtigste Entwicklungsschritt der Hochschule für Künste gewesen ist, der sie erst in die heutige Position gebracht hat. Ohne Jürgen Wallers Initiative und ohne seine Durchsetzungskraft wäre das niemals geschehen. Dabei blieb sein Aktionsradius keineswegs auf die HfK beschränkt.Es ging ihm immer darum, ganz generell die Position von Kunst und Kultur in dieser calvinistisch geprägten Stadt zu heben, ihr einen Stellenwert vielleicht ähnlich wie in Düsseldorf oder Berlin zu erkämpfen.
Konkret hieß das: Er schuf Freiräume und Ausstellungsmöglichkeiten, vernetzte die Kunstszene und die Hochschule in der Stadt und auch überregional – eben ‚buten und binnen’ – und sorgte dafür, dass sie mit großen Projekten sichtbar wurde.Dieser Haltung und diesem Erbe von Jürgen Waller fühle ich mich persönlich verpflichtet. Mit Kunst, die allein im Eigenbrötlerischen hängen bleibt, ist es schwer, eine herausragende Hochschule zu machen. Eine attraktive Hochschule bietet Bühne und Resonanzräume.Sie muss anziehend sein für Studierende – so erhalten wir im übrigen auch den Stellenschlüssel.Und die Stadtgesellschaft erlebt ihre Hochschule als eine Bereicherung ihrer vielfältigen Kulturszene. Die HfK ist da auf einem sehr guten Weg, den Jürgen Waller als Erster beschritten hat.So geht aufsein Betreiben die Gründung der GAK zurück – die im kommenden Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. Und die Weserburg. Im südfranzösischen Vallauris entstand eine Dependance der Hochschule, aus der später die „International Academy of Arts“ wurde. Als Rektor baute er bedeutsame Kontakte in die Wirtschaft auf. So wurde Philipp Rosenthal als Honorarprofessor ein regelmäßiger Gast, und mit der Telekom entstand eine jahrelange fruchtbare Kooperation. Dazu war er von 1993 bis ’98 Sprecher der Konferenz der Präsidenten und Rektoren der Kunsthochschulen Deutschlands.Zugleich betreute er selbstverständlich auch noch als Professor seine Malereiklasse.Wir dürfen heute nicht nachlassen, so wie Jürgen Waller, die Welt in die Hochschule zu holen und selbst die Hochschule überregional ins Spiel zu bringen. Denn wir können uns nicht nur an den eigenen Maßstäben messen, wenn wir mithalten wollen, wenn wir Neues entdecken und Perspektiven mitbestimmen wollen. Dass all das nicht ohne ständige Kämpfe und Reibereien, ja teilweise sogar mit regelrechten Feindschaften vonstatten ging, war vorhersehbar. Aber Jürgen Waller verfügte über unglaubliche Energiereserven und so stürzte er sich mit Hingabe in immer neue konfliktreiche Projekte. Es ist eben ein Irrglaube, dass Ruhe und reibungsloser Betrieb, eine Qualität an sich darstellen. Zoff und Krach gehören dazu, wenn Leidenschaften aufeinandertreffen. Die reibungslos laufende Maschine ist eine Metapher des zu Ende gehenden Industriezeitalters. Heute geht es um Virulenz, Konnektivität, Konvergenz, um kreative Unruhe und vor allem um Anregung und Aufregung. Es geht Bewegung, weil sich wieder einmal alles ändern muss, damit es bleibt wie es ist.
Aber es gab auch einen Ausgleich. Unter Wallers Ägide blühte an der HfK eine nie wieder erreichte Feierkultur. Legendär die Feste des Freundeskreises und der Absolvent*innen. Wenn das Motto „Toulouse-Lautrec“lautete, dann ging es nicht ohne echten Champagner, und natürlich wurde die komplette Balletttruppe des Theaters für eine Can-Can-Einlage engagiert. Da bei dieser Gelegenheit das Budget leider gnadenlos überzogen wurde, gab es im folgenden Jahr mit Bier und Erbsensuppe dann das totale Kontrastprogramm. Das Motto dieses Festes: „Unter den Brücken von Paris“ – womit wir wieder beider Paris-Sehnsucht angelangt wären, die in Bremen seit Paula Modersohns Aufbruch in die Moderne flackert und brennt. Was die legendären Feste anbelangt, muss ich leider feststellen, dass wir als HfK da nicht mehr auf dem Waller-Niveau sind. Auch das aktuelle Bauhaus-Jubiläum hat es wieder bestätigt: die Feste bildeten den ‚Melting-Pot’ der Bauhaus-Idee. Das waren Feste, zu denen alle Disziplinen etwas beitragen konnten und die zu der Amalganisierung, der Verschmelzung, Verschwisterung und Vernetzung führten. Das förderte die Freundschaften bei allen Konflikten, Neid und Unversöhnlichkeiten. Ohne Kommunikation ist alles nichts. Denn auch wir stehen vor der großen Aufgabe, die Dechanatstraße und den Speicher zusammenzudenken und zusammenzuführen. Wir haben da ein einzigartiges Potenzial, das eigentlich keine andere Hochschule in Deutschland hat – und nutzen sie viel zu halbherzig. Ich wünsche mir mehr Waller-Temperament.
Mit den Jahren hat die Energie und das Draufgängertum ein wenig nachgelassen, und die Brücken von Paris müssen es auch nicht mehr unbedingt sein, aber bei den weichen Polstern ist Jürgen Waller auch mit 80 noch lange nicht angelangt. Im Kern ist er immer nochdas, was er immer war: Ein Radikaler und unbedingter Nonkonformist im besten Sinne! Einer, der die Dinge bei den Wurzeln packt, sich die Hände dabei schmutzig macht, und nicht zuerst auf den Beifall schielt.In diesem Sinne lassen wir SIE hochleben: Jürgen Waller. Bleiben Sie, wie Sie sind ...
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