Hochschulen für Angewandte Wissenschaften – ein Erfolgsmodell in Baden-Württemberg
Jahrespressegespräch der Hochschule Reutlingen
In diesem Jahr feiert der Hochschultyp der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) sein 50-jähriges Jubiläum. Mit dem Slogan „Unglaublich wichtig“ machen die HAWs in einer deutschlandweiten Kampagne darauf aufmerksam, was sie auszeichnet: Als Innovations-motoren sind sie die treibende Kraft in der jeweiligen Region und schaffen in Forschung, Lehre und vor allem in der Praxis nachhaltigen Fortschritt. Vor diesem Hintergrund lud die Hochschule Reutlingen am 29. Juli zum Jahrespressegespräch ein, das die Rolle und die Erfolgsgeschichte der HAWs, aber auch die aktuellen Herausforderungen in den Mittelpunkt stellte.
„Die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sind aus der Hochschullandschaft nicht mehr wegzudenken“, so Hochschulpräsident Prof. Dr. Hendrik Brumme. Seit der Gründung der ersten Fachhochschulen im Jahr 1969 haben sich die einstigen „Ingenieursschulen“ zu modernen HAWs entwickelt, die mit ihrem starken Anwendungs- und Praxisbezug in Lehre und Forschung überzeugen. Sie sind Vorreiter beim Wissenstransfer und zeichnen sich durch eine starke Gründungskultur aus. „Wir sind Vollanbieter im Bereich Wissen“, resümierte Brumme die Relevanz des Hochschultyps HAW.
In Baden-Württemberg studieren 110.000 der insgesamt 365.000 Studierenden an den HAWs, ergänzte Prof. Dr. Dr. h.c. Bastian Kaiser, Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg (HAW BW e.V.) und Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg. Der Verband HAW BW vertritt die Interessen von 24 Mitgliedshochschulen in Baden-Württemberg.
Prof. Dr. Kaiser ging auf die Situation der HAWs und ihre Positionen in den beginnenden Finanzierungsverhandlungen über den Hochschulfinanzierungsvertrag ein. In den vergangenen Jahren habe es „einen unglaublichen Zuwachs an Aufgaben der HAWs“ gegeben, während zeitgleich die Studierendenzahlen anstiegen. Diese Entwicklung spiegle sich allerdings nicht in der finanziellen Ausstattung wider: „Die Mehrinvestitionen des Landes kamen nicht bei den HAWs in Baden-Württemberg an“, so Kaiser. Konkret bedeute das, die Finanzierung pro Studierendem habe im Durchschnitt seit dem Jahr 2007 um 14 Prozent abgenommen – „das ist nicht verantwortbar“, so Kaiser. Die HAWs in Baden-Württemberg richten daher folgende Forderungen an die Finanzierungsverhandlungen: 1. Die Grundfinanzierung soll dauerhaft um 1.000 Euro pro Studierendem angehoben werden. 2. Die HAWs fordern eine weitgehende Autonomie bei der Verwendung der Finanzmittel. 3. Die Programmmittel sollen verstetigt werden, um etwa Stellen zu entfristen. 4. Die HAWs fordern außerdem eine Dynamisierung der Grundfinanzierung um drei Prozent im Jahr.
Auch die Hochschule Reutlingen bekomme die finanziellen Mängel zu spüren, die sich problematisch auf die Ausstattung ausgewirkt hätten, pflichtete Prof. Dr. Brumme bei. So seien an den HAWs 40 Prozent der Stellen befristet. Wenn sich die Situation der HAWs nicht verbessere, könnten sie angesichts der Veränderungen und künftigen Entwicklungen auf Dauer nicht wettbewerbsfähig bleiben, so Brumme. Trotzdem glänze die Hochschule Reutlingen mit hervorragenden Rankingergebnissen und Auszeichnungen. Erst gestern war offiziell bekannt geworden, dass die Fakultät ESB Business School die begehrte internationale AACSB-Akkreditierung erhalten habe.
Im Rahmen des Jahrespressegesprächs stellten sich außerdem Prof. Dr. Petra Kluger und Alexander Leisner als neue Präsidiumsmitglieder vor.
Prof. Dr. Petra Kluger, Vizepräsidentin für Hochschulentwicklung, erläuterte, dass es in diesem Bereich besonders um den Austausch zwischen Hochschule und Gesellschaft gehe. Die „Verzahnung optimieren“ - das sei eine zentrale Aufgabe, so Kluger. Ihre praxisorientierte Forschungsarbeit steht beispielhaft dafür. So geht es etwa im Forschungsgebiet „Tissue Engineering“ um das Züchten menschlichen Gewebes - wie etwa der Haut - im Labor. Damit könnten Alternativen für Tierversuche im medizinischen Bereich geschaffen werden. Im Frühjahr 2019 war Prof. Dr. Kluger die erste HAW-Professorin in Baden-Württemberg, die von einer Universität assoziiert wurde. Damit können Nachwuchswissenschaftler der Hochschule Reutlingen nun über Kluger an der Universität Hohenheim promovieren. Im Unterschied zu den Universitäten besitzen die HAWs jedoch weiterhin kein Promotionsrecht.
Seit 29 Tagen ist Alexander Leisner als neuer Kanzler der Hochschule Reutlingen im Amt. Zuvor war er sechs Jahre Kanzler an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Er ist Mitglied im Vorstand der Kanzlerinnen und Kanzler der HAWs in Baden-Württemberg und Vorsitzender des Verwaltungsrats des Hochschulservicezentrums (der zentrale IT Dienstleister für alle nichtuniversitären Hochschulen). Als hauptamtliches Mitglied im Präsidium sieht er seine zentrale Aufgabe zusammen mit dem Präsidiumsteam darin, die weitere Entwicklung der Hochschule Reutlingen zu gestalten. Als Kanzler leitet er die zentrale Hochschulverwaltung und ist zuständig für die Themen Finanzen und Personal. In diesem Zusammenhang hält er die Forderungen der HAWs für den Hochschulfinanzierungsvertrag hinsichtlich der finanziellen Planungssicherheit für unabdingbar: „Die HAWs müssen nicht mehr wie eine Fachhochschule aus den 70er Jahren, sondern wie eine HAW im Jahr 2019 finanziert werden“, so Leisner. Als weitere Aufgabenfelder sieht Alexander Leisner die bauliche Campusentwicklung und die Digitalisierung der Verwaltung, aber auch die digitale Öffnung der Hochschule. Leisner sieht die Hochschule Reutlingen als eine Hochschule mit vielfältigen Angeboten in allen relevanten Zukunftsfeldern, die von sehr engagierten Menschen mit großer Leidenschaft gestaltet werden.