Wege zu einer kosteneffizienten Dekarbonisierung des Energiesystems: FfE und TU München veröffentlichen Studie
Im Rahmen einer Studie zeigen die FfE und die TU München Wege zu einer kosteneffizienten Dekarbonisierung des Energiesystems auf. Mithilfe der entwickelten mehrstufigen Bewertungsmethodik und Modelllandschaft werden das Einsparpotenzial und die Kosteneffizienz von Klimaschutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit dem Energiesystem bewertet. Das abgeleitete 95 %-Szenario „fuEL“ beschreibt einen sektorenübergreifenden Transformationspfad. Die Studie ist im Rahmen des durch das BMWi geförderten Projekts „Dynamis“ entstanden (FKZ: 03ET4037A) und wurde von 14 Unternehmenspartnern unterstützt. Die Studie steht auf www.ffe.de/dynamis kostenlos zum Download zur Verfügung.
Hintergrund:
Die Reduktion von energiebedingten Treibhausgasemissionen erfolgt bisher vor allem im Bereitstellungssektor durch den Ausbau Erneuerbarer Energien. Vor dem Hintergrund langfristiger Klimaschutzziele rückt die Umsetzung von CO₂-Verminderungsmaßnahmen (kurz: „Maßnahmen“) in den Anwendungen der Endenergiesektoren (Verkehr, Industrie, Private Haushalte sowie Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) zunehmend in den Fokus.
Um geeignete Optionen zur CO₂-Verminderung durch z. B. Elektrifizierung, Energieeffizienz, CO₂-Abscheidung oder den Einsatz von Green Fuels zu identifizieren und Handlungsschwerpunkte abzuleiten, ist eine Bewertung der verschiedenen Maßnahmen hinsichtlich ihres Einsparpotenzials und ihrer Kosteneffizienz notwendig. Bei dieser Bewertung gilt es, die vielfältigen Wechselwirkungen der Maßnahmen in einem zunehmend gekoppelten Energiesystem zu berücksichtigen.
Zielsetzung und Methodik:
Im Projekt Dynamis wurde daher eine mehrstufige Bewertungsmethodik und eine Modelllandschaft entwickelt, die es ermöglichen, das Einsparpotenzial und die Kosteneffizienz einzelner Maßnahmen und Maßnahmenkombinationen unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit dem Energiesystem zu vergleichen. Diese Bewertungsmethodik geht über den klassischen statischen Ansatz der CO₂-Verminderungskostenkurven hinaus und berücksichtigt Effekte in den Endenergiesektoren sowie Wechselwirkungen mit dem Bereitstellungssektor. Durch den stufenweisen, dynamischen Ansatz wird ein tieferes Verständnis der Rückwirkungen einer Maßnahmenumsetzung im Energiesystem geschaffen.
Ausgehend von einer statischen Bewertung (Stufe 1) der CO₂-Verminderungskosten einzelner Maßnahmen, die als Indikator für deren Kosteneffizienz dienen, werden im Zuge der sektordynamischen Bewertung (Stufe 2) die entwickelten Sektormodelle hinzugezogen. Diese erlauben eine Erweiterung des Konzepts der statischen, technologiespezifischen Verminderungskosten um sektorspezifische Besonderheiten und Wirkzusammenhänge.
Hierzu gehören Transformationsgeschwindigkeiten, Verdrängungsmechanismen und Pfadabhängigkeiten. Während sich die Transformationsgeschwindigkeiten aus dem Alter und der Nutzungsdauer der Gebäude und Technologien ergeben, findet bei den sektorspezifischen Verdrängungsmechanismen die tatsächliche Struktur von beispielsweise Fahrzeugklassen, Gebäudetypen und Industriebranchen Berücksichtigung. Neben den Auswirkungen auf die Verdrängung von Referenztechnologien beeinflusst die Umsetzung einer Maßnahme zudem das Potenzial anderer Maßnahmen. Den Pfadabhängigkeiten wird durch die Betrachtung von kumulierten Emissionen und Kosten Rechnung getragen.
Zudem wird davon ausgegangen, dass eine Maßnahme nach Nutzungsdauerende durch die gleiche Technologie ersetzt wird, wodurch sich das System langfristig verändert.
Ergebnisse der dynamischen Bewertung von Klimaschutzmaßnahmen:
Im Rahmen der systemdynamischen Bewertung werden die Rückwirkungen einzelner Maßnahmen auf den Ausbau und den Einsatz von Anlagen im Bereitstellungssektor modelliert und in die Berechnung der CO₂-Verminderungskosten einbezogen. Gegenüber der sektordynamischen Bewertung führen Effizienzmaßnahmen in der systemdynamischen Bewertung zu steigenden und Elektrifizierungsmaßnahmen zu sinkenden Emissionsreduktionen. Somit müssen Letztere immer durch Strategien zur Umsetzung von CO₂ Verminderungsmaßnahmen im Bereitstellungssektor flankiert werden, damit diese ihr Dekarbonisierungspotenzial voll ausschöpfen.
Die absolute Höhe und die Anteile von Photovoltaik-, Windenergieanlagen und weiteren Technologien an der Mehr- oder Minderstromerzeugung sind stark maßnahmenabhängig. So sind die Anteile von Photovoltaik- und Windenergieanlagen an der Mehrstromerzeugung für die Maßnahme batterieelektrische Leichte Nutzfahrzeuge mit 35 % am geringsten und für den Verfahrensroutenwechsel Stahl mit 91 % am höchsten. Die unterschiedlichen Anteile der Erneuerbaren Erzeugungstechnologien an der Mehr- oder Minderstromerzeugung lassen sich durch die jeweilige Last- und Erzeugungscharakteristik erklären.
Die Ergebnisse der dynamischen Bewertung verdeutlichen, dass die Maßnahmenumsetzung in Wohngebäuden sehr träge ist. Das heißt, dass Maßnahmen, die im Jahr 2050 wirken sollen, bereits heute geplant und umgesetzt werden müssen. Dabei sollte der Fokus des Handelns auf den Gebäudebestand gerichtet werden. Im Verkehr ist die Elektrifizierung in großen Teilen der Pkw-Flotte die kostengünstigste Maßnahme, während Brennstoffzellen-Pkw oder Gasfahrzeuge komplementär eingesetzt werden sollten.
Green Fuels hingegen müssen in erster Linie in den Anwendungen zum Einsatz kommen, für die keine wirtschaftlichen Alternativen existieren. Um das Ziel einer Treibhausgasreduktion im Gesamtsystem bis 2050 um 95 % (gegenüber 1990) zu erreichen, ist im Industriesektor ein Maßnahmenmix aus Energieeffizienz, Elektrifizierung, Green Fuels und CO₂-Abscheidung erforderlich. Auf der Bereitstellungsseite hingegen stellt der Ausbau der Erneuerbaren Energien die entscheidende CO₂-Verminderungsmaßnahme dar, denn ohne eine massive Beschleunigung der Zubauraten innerhalb der nächsten Jahre sind erhebliche Mehrkosten zu erwarten.
Das 95 %-Szenario „fuEL“:
Aufbauend auf der mehrstufigen, explorativen Bewertung von Maßnahmen und Maßnahmenbündeln erfolgt schließlich die Erstellung des 95 %-Szenarios „fuEL“. Dieses zeichnet sich auf der Bereitstellungsseite durch eine kostenoptimale Energieträgerbereitstellung aus und berücksichtigt auf der Anwendungsseite die technologie- bzw. sektorspezifischen Randbedingungen und Restriktionen. Der Ausbau Erneuerbarer Energien stellt die wichtigste Maßnahme im Szenario fuEL dar. Zur Erreichung des Klimaziels muss die heute installierte, erneuerbare Anlagenleistung bis 2050 mehr als vervierfacht werden. Auf Seiten der Endenergiesektoren führen elektrische Nachfragetechnologien in den meisten Fällen zu den günstigsten CO₂-Verminderungskosten.
Green Fuels kommen ab 2040 verstärkt in Anwendungen zum Einsatz, die nur mit erheblichem Aufwand zu elektrifizieren sind. Inländische Power to X-Technologien erhöhen durch die gute Speicherbarkeit von Green Fuels die verfügbare Flexibilität im Stromsystem. Der Import ist jedoch insbesondere im Bereich der flüssigen Kohlenwasserstoffe kostengünstiger. Die tatsächliche Kostenentwicklung und der damit verbundene wirtschaftliche Einsatz dieser Bereitstellungstechnologien ist aufgrund des frühen Entwicklungsstands zum aktuellen Zeitpunkt jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet und nur bedingt abzuschätzen.
Um die für die Erreichung der Klimaziele notwendige, großflächige Umsetzung von CO₂-Verminderungsmaßnahmen in den Endenergiesektoren rechtzeitig anzureizen, ist eine zeitnahe CO₂-Bepreisung mit schnell steigenden Preissignalen notwendig. Zudem werden ergänzende Instrumente zur Beratung, Förderung und Finanzierung benötigt, um weitere Umsetzungshemmnisse wie hohe Anfangsinvestitionen zu adressieren und den zum Teil geringen Transformationsgeschwindigkeiten der Endenergiesektoren Rechnung zu tragen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Steffen Fattler, Anika Regett, Jochen Conrad (dynamis@ffe.de)
Originalpublikation:
www.ffe.de/dynamis