Klimafaktor Wolken — die Feldkampagne „EUREC4A" will eines der großen Rätsel der Klimawissenschaften entschlüsseln
Am 20. Januar 2020 startet die knapp sechswöchige Feldstudie EUREC4A (Elucidating the role of clouds-circulation coupling in climate). Ziel ist die Überprüfung von Theorien über die Rolle von Wolken und Konvektion für den Klimawandel durch umfangreiche Messungen in der Atmosphäre und im Ozean. Darüber hinaus wird EUREC4A untersuchen, wie feinskalige Merkmale im Ozean – Wirbel und Fronten – mit der Atmosphäre interagieren. Der Umfang und die Reichweite der Messungen bietet die Möglichkeit, eine neue Generation von Klimamodellen und Satellitendatenprodukten zu evaluieren.
Im Rahmen der deutsch-französischen Initiative mit mehr als 40 Partnerinstitutionen kommen östlich und südlich der Karibikinsel Barbados fünf Forschungsflugzeuge und vier Forschungsschiffe zum Einsatz, kombiniert mit Bodenmessstationen und Satellitenfernerkundung. EUREC4A wird von Prof. Bjorn Stevens, Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M), Hamburg, und Dr. Sandrine Bony, Laboratoire de Météorologie Dynamique, Paris, geleitet. Ihre Initiative baut auf einer jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Barbados am Caribbean Institute for Meteorology and Hydrology (CIMH) unter der Leitung von Dr. David Farrell auf und erweitert diese.
Wolken sind ein wesentlicher Klimafaktor. Wie die tiefen Wolken in den Passatregionen auf die globale Erwärmung reagieren, bestimmt maßgeblich, wie schnell und intensiv zukünftige Entwicklungen verlaufen werden. Die Wissenschaft untersuchte die Rolle von Wolken und Konvektion im Klimasystem bisher mit Theorien und Klimamodellen. Um diese zu überprüfen, brauchen die Forschenden insbesondere Beobachtungsdaten über die Dynamik der atmosphärischen und ozeanischen Bedingungen, in denen die Wolken entstehen und vergehen. Mit den umfangreichen Messungen während der Feldstudie EUREC4A werden sie sehr detailliert den Lebenszyklus der konvektiven Wolken in der Passatregion im Detail studieren, um ein möglichst vollständiges Bild davon zu erhalten.
Analysen der Klimamodell-Vergleichsstudien (CMIP – Climate Model Intercomparison Project) über die letzten Jahrzehnte zeigten, dass eine durch die Klimaerwärmung bedingte Abnahme der Wolken in der Passatregion zu einer weiter zunehmenden globalen Erwärmung führt, eine sogenannte positive Rückkopplung. Projektleiter Bjorn Stevens: "Wir werden überprüfen, ob das Verhalten von Modellen korrekt ist, die eine starke Abnahme der Bewölkung mit der Erwärmung zeigen. Falls ja, würde es bedeuten, dass höhere Schätzungen der zu erwartenden Erwärmung durch ansteigendes CO2 plausibler sind. Bei der Frage nach der Reaktion der Wolken auf den Klimawandel gibt es noch viel Unsicherheit. Wir wollen dies mit EUREC4A ändern.“
In numerischen Modellen reagieren die Passatwolken unterschiedlich auf Störungen des Klimas. So sagen komplexe Klimamodelle vorher, dass das mit niedrigen Wolken bedeckte Gebiet sehr empfindlich auf die Umgebungsbedingungen reagiert, während einfachere Prozessmodelle das Gegenteil zeigen. Diese Widersprüche zu verstehen und aufzulösen, ist der Ausgangspunkt für die Feldstudie EUREC4A. Die wichtigsten Forschungsfragen sind: Wie widerstandsfähig oder empfindlich sind flache Kumuluswolken, wenn sich beispielsweise die vertikale Durchmischung der Luft, die Turbulenz der Oberfläche und die großräumige Zirkulation verändern? Wie beeinflussen die Strahlungseffekte von Wasserdampf und Wolken die flache Zirkulation und die Konvektion? Welche Konsequenzen ergeben sich für die räumliche Anordnung von Wolken und die Konvektion in den Tropen und letztendlich für die Klimasensitivität, also die Empfindlichkeit des Klimasystems auf eine gegebene Störung, zum Beispiel durch zusätzliche Treibhausgase?
Projektleiterin Sandrine Bony: "Die Abschätzungen der Klimasensitivität sind nach wie vor sehr unsicher, und die meisten dieser Unsicherheiten sind auf die Reaktion der niedrigen Wolken in den Tropen, insbesondere in den Passatwindregionen, zurückzuführen. Die niedrigen Wolken bei Barbados sind repräsentativ für die Wolken, die in den Passatwindregionen in den gesamten Tropen zu finden sind. Daher wird das, was wir aus EUREC4A lernen werden, nicht nur unserem Verständnis der Wolken vor Barbados, sondern auch der tropischen Wolken im Allgemeinen dienen".
Neben einem besseren Verständnis der Kopplungsprozesse von Wolken und Zirkulation wird die Kampagne mit den umfangreichen Messdaten einen Referenzdatensatz bereitstellen, der als Maßstab zur Verbesserung der Modellierung und der Satellitenfernerkundung von Wolken und Zirkulation dienen soll. Felix Ament, Universität Hamburg: „Das Bild, das wir von Wolken und ihrem Wechselspiel mit der Atmosphäre während EUREC4A erfassen werden, wird detailreicher, facettenreicher und vollständiger denn je sein. Wir wollen damit eine Referenz setzen, die die Wissenschaft in den kommenden Jahrzehnten anspornen und inspirieren wird.“
Ablauf der Kampagne und die Messplattformen
Kern der Kampagne ist der Einsatz von fünf Forschungsflugzeugen, vier hochseetauglichen Forschungsschiffen, fortschrittlicher bodengestützter Fernerkundung am Barbados-Wolkenobservatorium (BCO – Barbados Cloud Observatory) des MPI-M, einer neuen Generation hochentwickelter Satellitenfernerkundungsmethoden und modernster Klimamodelle, die auch Turbulenz auflösen können (100 m Gitterweite über Tausende von Kilometern). "Erst durch diese Kombination aus vielfältigen Messungen und hochauflösenden Simulationen wird es möglich, die entscheidenden Prozesse im Detail zu analysieren und dadurch unser Verständnis zu erweitern", erklärt Susanne Crewell, Universität zu Köln, die Besonderheiten des Kampagnenaufbaus.
Im Zentrum der EUREC4A-Kampagne steht die Stationierung von fünf Forschungsflugzeugen auf Barbados. Das sind die französische ATR-42, welche in der unteren Troposphäre In-situ- und Fernerkundungssensoren zum Einsatz bringen wird, sowie das deutsche Forschungsflugzeug HALO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit einer Reichweite über 8000 km und einer oberen Einsatzhöhe von bis zu 15 km. HALO verfügt über ein umfangreiches Instrumentarium von modernen Fernerkundungssensoren und eine Vorrichtung zum Abwerfen von Dropsonden. Weiterhin wird als Beitrag des in England angesiedelten Projekts EUREC4A-UK eine Twin-Otter des British Antarctic Survey (BAS) vornehmlich Messungen von Aerosolen und der turbulenten und mikrophysikalischen Wolkenstruktur durchführen. Zusätzlich werden das US-amerikanische Forschungsflugzeug WP-3D der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) sowie das dauerhaft auf Barbados stationierte Flugzeug des Regional Security Service (RSS) die Messungen unterstützen. Die Flüge der WP-3D ergänzen die Flüge von HALO unter anderem durch die Bestimmung der großskaligen Bedingungen und deren Verbindung zu den in Küstennähe operierenden Schiffen.
Die Flugzeugmessungen werden flankiert durch Messungen am BCO und mittels des flexibel steuerbaren Wetterradars POLDIRAD (Polarization Diversity Doppler Radar), das während der Kampagne auf dem südöstlichen Hochplateau in 8 Kilometer Entfernung vom BCO stationiert wird. Martin Hagen, DLR: „Mit POLDIRAD ist die Erfassung der Niederschlagsentwicklung mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung im Bereich bis 250 km östlich von Barbados möglich. Die Messungen am BCO, von den Schiffen und entlang der Flugwege können damit in den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang der großräumigen Niederschlagsverteilung und Entwicklung gebracht werden.“
Zusätzlich zu den Flugzeugmessungen und den Messungen durch das BCO wird es intensive schiffsbasierte Beobachtungen mit vier Schiffen geben. Teilnehmen werden die deutschen Forschungsschiffe METEOR und MARIA S. MERIAN, das NOAA-Schiff RONALD H. BROWN sowie das französische Forschungsschiff L'ATALANTE. Die Forschungsschiffe dienen dabei als Fernerkundungs- und In-situ-Plattformen für Atmosphären- und Ozeanbeobachtungen. Diese beinhalten z.B. Radiosonden, Lidar- und Radar-Techniken sowie Ballon-Drachen („Max Planck CloudKites“) und autonome Flugkörper. „Die räumlichen Veränderlichkeiten an der Meeresoberfläche sind wichtige Randbedingungen für die Entwicklung der darüber liegenden Atmosphäre und damit auch für die Wolkenbildung“, sagt Johannes Karstensen, GEOMAR, Fahrtleiter auf der MARIA S. MERIAN. „Insbesondere in großen Wirbeln und an Frontalzonen wollen wir die Kopplung von ozeanischen und atmosphärischen Prozessen verstehen und so für die Modellsimulation besser darstellbar machen“. Auch biologische Faktoren, die beispielsweise die Ozeanographie, den Ozean-Atmosphären-Austausch von Treibhausgasen und den Kohlenstoffexport beeinflussen, werden erhoben.
Von deutscher Seite sind an der EUREC4A-Kampagne vier Max-Planck-Institute (MPI-M, MPI für Dynamik und Selbstorganisation, MPI für Chemie und MPI für Marine Mikrobiologie) sowie fünf Universitäten (Hamburg, Hohenheim, Köln, Leipzig und München), drei Helmholtz-Einrichtungen (Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR), GEOMAR und Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material- und Küstenforschung), das Leibniz-Institut TROPOS und der Deutsche Wetterdienst beteiligt.
Gefördert und unterstützt wird die EUREC4A-Kampagne durch das European Research Council (ERC), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), das Centre National de Recherche Scientific (CNRS), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Carribean Institute for Meteorology and Hydrology (CIMH), das Natural Environment Research Council (NERC) und das Weltklimaforschungsprogramm (WCRP).
Über HALO: Das Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range) ist eine Gemeinschaftsinitiative deutscher Umwelt- und Klimaforschungseinrichtungen. Gefördert wird HALO durch Zuwendungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Leibniz-Gemeinschaft, des Freistaates Bayern, des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Über die deutschen Forschungsschiffe: Die Einsätze der Forschungsschiffe METEOR und MARIA S. MERIAN werden von der Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe an der Universität Hamburg koordiniert. Beide Schiffe dienen der weltweiten, grundlagenbezogenen Hochsee-Forschung Deutschlands und der Zusammenarbeit mit anderen Staaten auf diesem Gebiet. Der Schiffsbetrieb wird zu 70% von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und zu 30% vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Annette Kirk
Max-Planck-Institut für Meteorologie
Kommunikation MPI-M (für EUREC4A-Partner Deutschland)
Tel.: 040 41173 374
E-Mail: annette.kirk@mpimet.mpg.de
Falk Dambowsky
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Tel.: 02203 601 3959
E-Mail: falk.dambowsky@dlr.de
Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe
Tel.: 040 42838-3974
E-Mail: leitstelle.ldf@uni-hamburg.de
Ludovic Touzé-Peiffer
Laboratoire de Météorologie Dynamique (für EUREC4A-Partner Frankeich)
E-Mail: ludovic.touze-peiffer@lmd.jussieu.fr
Dr. Leif Denby
Faculty of Environment, University of Leeds, England (für das Projekt EUREC4A-UK)
E-Mail: l.c.denby@leeds.ac.uk
Weitere Informationen:
http://www.eurec4a.eu EUREC4A Projektwebseite
http://www.wcrp-climate.org/gc-clouds Grand Challenge WCRP
http://www.ldf.uni-hamburg.de/ Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe (mit Wochenberichten von METEOR und MARIA S. MERIAN)
https://research.noaa.gov/article/ArtMID/587/ArticleID/2577/NOAA-launches-major-field-campaign-to-improve-weather-and-climate-prediction U.S. ATOMIC-Mission schließt sich mit EUREC4A zusammen: