Die langfristige Dimension: Kognitive Defizite nach Intensivbehandlung
Wer selbst schon einmal intensivmedizinisch behandelt wurde oder wessen Angehörige auf der Intensivstation behandelt wurden, weiß, wie schwer dies ist, aber im besten Falle auch lebensrettend. Doch was kommt danach? Laut medizinischen Studien leiden bis zu 78% aller Patienten nach der Entlassung von einer Intensivstation an Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit – häufig über viele Jahre. Das hat Einfluss auf die Alltagskompetenz und die Lebensqualität der Betroffenen. Was sind die Gründe dafür und lässt sich dem entgegenwirken? Dies ist ein Thema, zu dem Experten auf der ANIM - Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin vom 30. Januar bis 1. Februar 2020 in Karlsruhe diskutieren werden.
In einer wissenschaftlichen Sitzung stellt u.a. Dr. med. Julius Emmrich von der Abteilung für Neurologie und Experimentelle Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin eine Übersichtsarbeit vor, in der Patienten auf Intensivstation (ITS) eingeschlossen waren, deren kognitive Leistungsfähigkeit nach dem Krankenhausaufenthalt mithilfe standardisierter Testverfahren gemessen wurde. Diagnosen, die zur Aufnahme auf die ITS führten, waren akutes Lungenversagen (ARDS), Sepsis, chronisch obstruktive Lungenerkrankung und kardiogener Schock. „Was uns interessierte, waren die Auswirkungen einer Intensivbehandlung auf das ´gesunde Gehirn`“, erklärt Dr. Emmrich den Ausschluss von Patienten mit einer primär neurologischen Erkrankung. Der Grund dafür ist, dass kognitive Defizite nach einer direkten Hirnschädigung wie z.B. Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma sehr häufig sind.
Ihre Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass 17-78% der Patienten nach einer intensivstationären Behandlung von Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit betroffen sind, welche überwiegend neu auftraten, unmittelbar nach Entlassung am stärksten ausgeprägt waren und mindestens 0,5 bis 9 Jahre anhielten. Kognitive Domänen, die nach ITS-Aufenthalt besonders betroffen sind, sind Konzentration und Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen wie Entscheidungen treffen, Verwerten von Feedback, (Selbst-)Reflexion. Das Delir (akute Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörung, die von einer Denkstörung begleitet sein kann) ist der am besten untersuchte Risikofaktor für langfristige kognitive Defizite nach einer Intensivbehandlung. Bei Intensivpatienten tritt in 30-80 % der Fälle ein Delir auf.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Prävention und Behandlung von Delir zur Vermeidung kognitiver Schädigungen nach ITS-Behandlung führt. „Im besten Fall lässt sich ein Delir durch das Erkennen und Vermeiden von Risikofaktoren verhindern. Kleine wie große Kliniken sind dazu gleichermaßen in der Lage. Leitlinien sind vorhanden und es gibt einige exzellente Beispiele wie durch gezieltes Delir-Screening und Delir-Prävention in der klinischen Routine Patienten geholfen wird. Das Delir-Screening wird in der klinischen Praxis häufig von qualifiziertem Pflegepersonal durchgeführt. Wir als NeuroIntensivmediziner sollten daran arbeiten, ärztliche und pflegerische Kollegen auch aus der anästhesiologischen, internistischen und chirurgischen Intensivmedizin für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren, um möglichst viele Patienten vor den möglichen kognitiven Schäden einer ITS-Behandlung zu schützen“, erklärt Julius Emmrich. Und weiter: „Es mangelt aus unserer Sicht leider immer noch an dem Bewusstsein für dieses hoch relevante Thema, was die Umsetzung von Empfehlungen in der klinischen Praxis erschwert.“
Für eine konkrete Aussage, ob sich den kognitiven Schädigungen nach Intensivbehandlung entgegenwirken lässt, ist die Studienlage leider noch zu dünn. Es werden zurzeit mehrere Kohortenstudien durchgeführt, die einen Zusammenhang zum Delir beleuchten. „Auf die Ergebnisse dürfen wir gespannt sein“, so Dr. Emmrich.
Terminhinweis
Symposium „Neurokognitive Folgen nach Intensivbehandlung“
31.01.2020, 17.30–19.00 Uhr
Raum 3, Gartenhalle Karlsruhe
Zum 37. Mal findet vom 30. Januar bis 1. Februar 2020 die ANIM – Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin als gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) statt. Drei Tage lang treffen sich dazu in der Gartenhalle in Karlsruhe über 1300 Ärzte und Pflegefachkräfte zu einem umfassenden Update im Bereich der neurologischen und neurochirurgischen Intensivmedizin und Notfallmedizin. Folgende Schwerpunktthemen sind geplant: Intrakranielle Blutungen (ICB), zerebrale Ischämie und Intensivmedizin (u.a. mechanische Thrombektomie), klinische Studien, Neuro-Notfallmedizin in der Zentralen Notaufnahme, Aus- und Weiterbildung sowie Strukturen in der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin. Das komplette Programm der ANIM finden Sie auf der Homepage www.anim.de. Journalisten sind herzlich zur Teilnahme am Kongress eingeladen! Die Akkreditierung ist auf der Kongress-Homepage möglich. Wenden Sie sich bei Fragen, zur Unterstützung bei Ihrer Themenrecherche oder bei der Suche nach einem Gesprächspartner gern an den Pressekontakt.
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