Die Gruppe. Zur Geschichte und Theorie eines folgenreichen Konzepts.
Mittelweg 36, Doppelheft 6-1 | Dezember/Januar 2019
Im vergangenen Jahrhundert entdeckten die mit der komplizierten Psyche und dem nicht minder schwierigen Verhalten des Menschen befassten Wissenschaften einen Gegenstand, der ihnen zahlreiche neue Forschungsfelder eröffnete: Die Gruppe. Mindestens ebenso interessiert wie an der Beantwortung theoretischer Fragen waren die Forscherinnen und Forscher dabei an der Lösung praktischer Probleme, die sie sich von der Konzeption und dem Einsatz unterschiedlichster, vom Stuhlkreis bis zur Gesprächstherapie reichender Formate versprachen. Die gleichermaßen vielfältigen wie folgenreichen Ausprägungen des Gruppenkonzepts nachzuzeichnen und die Komplexität der Disziplinen, Diskurse und Kulturen überschreitenden Bezüge zu erhellen, ist das Ziel der hier versammelten Beiträge Zur Geschichte und Theorie eines folgenreichen Konzepts.
Zu Beginn des Heftes führen Hanna Engelmeier, David Kuchenbuch und Timo Luks in die Epistemologie der Gruppe ein und geben einen Überblick über Themen und Forschungsperspektiven. Anschließend skizziert Thomas Etzemüller anhand ausgewählter Beispiele aus dem deutschen und dem US-amerikanischen Kontext die Bedeutung des Gruppenkonzepts als Weltbewältigungsinstrument. Ihm folgt Timo Luks, der den Zusammenhang von Gruppe und Betrieb in den Blick nimmt und in einem länder- wie epochenübergreifenden Abriss unterschiedliche Sozialwissenschaftliche Zugriffe auf industrielle Produktionsweisen präsentiert. Sodann zeigt Nora Binder unter dem Titel Künstliche Fälle, welche konstitutive Bedeutung Gruppenarbeiten und Inszenierungen in der Sozialpsychologie Kurt Lewins zukam. Die Geschichte des Tavistock Institute of Human Relations und seine Rolle bei der Implementierung von Werten wie Flexibilität, Anpassung und Selbstorganisation in der neuen Arbeitswelt sind das Thema des Beitrags von Daniel Monninger. Anschließend erörtert Johannes Platz den methodischen Stellenwert, den Das Gruppenexperiment für Die empirischen Studien des Frankfurter Instituts für Sozialforschung besaß, und schildert die (wissenschafts-)politischen Kontroversen, die aus seiner Anwendung resultierten. Die Überzeugung, dass Das Ich und das Wir zusammengehören und einander stärken können, war die Grundlage für das überaus erfolgreiche Format der Gruppentherapie, deren Geschichte der Beitrag von Jens Elberfeld erzählt. Unter Anspielung auf das berühmte Zitat, mit dem Großbritanniens frühere Premierministerin Margaret Thatcher seinerzeit die Existenz der Gesellschaft in Abrede stellte, nimmt Heike Delitz in There Is No Such Thing … Stellung Zur Kritik an Kollektivbegriffen in der Soziologie. Abschließend beschreibt Gregor Harbusch Entwürfe des Berliner Architekten Ludwig Leo und zeigt, wie dieser durch Verdichtete Räume das soziale Miteinander von deren Bewohnern zu steuern suchte.
Zu guter Letzt gilt es einen Abschied zu verkünden: Nach annähernd 28 Jahren legt Wolfgang Kraushaar das Amt und die Feder des Chronisten nieder. In seiner letzten Protest-Chronik erinnert er an die junge Iranerin Sahar Khodayari, die sich am 2. September 2019 selbst in Brand setzte, als sie erfuhr, dass sie wegen des unerlaubten Besuchs eines Männerfußballspiels zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt werden sollte.
Erscheinungstermin 3. Februar 2020
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