Kolloquium zur Fankultur
Fan-Proteste in den Stadien, Spielunterbrechungen, zornige Reaktionen von Verantwortlichen in Vereinen und beim Deutschen Fußballbund: Das heikle Verhältnis von Profifußball und seinen Fans sorgt aktuell wieder für jede Menge Schlagzeilen. Mit diesem Thema beschäftigt sich auch ein wissenschaftliches Kolloquium an der Universität Würzburg. Ausrichter ist der Lehrstuhl für Sportwissenschaft.
Am Lehrstuhl für Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) findet am Donnerstag, 18. Juni 2020, ein wissenschaftliches Kolloquium zur Fanforschung statt. Das Thema ist höchst aktuell, denn die bestehenden Konflikte innerhalb der Fußball- beziehungsweise Fankultur deuten auf Machtfragen und das Ringen um Deutungshoheit hin.
„Die Problemlagen in den Fußballstadien tragen durchaus den Charakter von Spiegelbildern aktueller gesellschaftlicher Konfliktfelder, was die interdisziplinäre Beschäftigung mit der Fanforschung für uns so spannend macht“, sagt Professor Harald Lange, Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der JMU und Gründer des Instituts für Fankultur e.V.
Gegensätzliche Interessen von Fans und Vereinen
Die Interessen zwischen aktiven Fans und den Verbänden laufen nach Langes Worten seit vielen Jahren schon in entgegengesetzte Richtungen: Während Fans gegen den Ausverkauf des Fußballs opponieren, fällt auf Seiten der Verbände die Orientierung am Kommerz auf. Folglich vergrößert sich die ohnehin schon bestehende Kluft, und die seit langem etablierten Kommunikationsprobleme werden durch jede neue Protestwelle und die dadurch provozierten Gegenreaktionen und Sanktionen stetig vergrößert.
Die hier bestehenden Strukturprobleme haben inzwischen Tradition und bieten Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen Ansatzpunkte für ihre Frage- und Problemstellungen. „Deshalb möchten wir mit unserem Kolloquium vor allem Nachwuchswissenschaftler und fortgeschrittene Studierende unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen deutschlandweit ansprechen und ihnen die Gelegenheit bieten, ihre Positionen und Arbeiten im Kolloquium zur Diskussion zu stellen“, betont Lange.
Zukunftsmodelle der Fan- und Zuschauerorganisation
In den Würzburger Kolloquien zur Fanforschung tauschen sich Wissenschaftler mit Fans, Funktionären und Journalisten aus, um bestehende Problemlagen zu analysieren und Lösungsvorschläge zur Diskussion zu stellen. „Da die Traditionen und Wertorientierungen der aktiven Fanszenen nicht mehr zu den Zielen und Strukturen der verantwortlichen Lenker in der DFL und dem DFB passen, interessieren wir uns für Zukunftsmodelle der Fan- und Zuschauerorganisation“, sagt Lange. In den Businessplänen von DFL und DFB werde seiner Meinung nach der Wert einer kritischen, selbstbewussten Fankultur für das Produkt Bundesligafußball nicht erkannt. Folglich werde immer erst dann miteinander gesprochen, wenn die Lage eskaliert ist. „Das ist ebenso bedauerlich wie vermeidbar“, so der Sportwissenschaftler.
Fanclub Nationalmannschaft
Dazu kommt: Während alle Traditionsvereine über eine gewachsene und engagierte Fankultur verfügen, hat der DFB mit dem so genannten „Fanclub Nationalmannschaft“ ein Konstrukt für die Organisation von Fan- bzw. Zuschauerinteressen geschaffen, das ihm neben der Profitmaximierung vor allem die reibungslose Kontrolle der dort aufgenommenen Personen erlaubt. In diesem Modell lassen sich diejenigen „Fans“ beziehungsweise zahlenden Zuschauer sammeln, die man als Kulisse für die deutschen Länderspiele haben will. Alle anderen bleiben draußen.
„Möglicherweise haben wir es hier mit einem Zukunftsmodell für die Organisation von Zuschauern im Profifußball zu tun, weshalb wir im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft die Verlockungen, Gefahren und Fallstricke für unsere Fankultur diskutieren möchten“, sagt Lange. Neben der wirtschaftlichen Dimension dieses Fanprojekts wollen die Sportwissenschaftler in ihrem Kolloquium den Blick aber auf unabhängige Fans richten und deren Engagement, Leidenschaft und Emotionalität in Hinblick auf die Strukturen der Fußball- Fankultur untersuchen und diskutieren. „Es spricht schließlich vieles dafür, dass sich der besondere Wert des Produkts Profifußball durch die ebenso kritischen wie selbstbewussten und leidenschaftlichen Fans konstituiert“, betont Lange.
Die Teilnahme am Kolloquium ist kostenlos.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Harald Lange, Lehrstuhl für Sportwissenschaft der Universität Würzburg
T: 0151 10 38 81 04, E-Mail: harald.lange@uni-wuerzburg.de
Weitere Informationen:
https://www.hw.uni-wuerzburg.de/fanforschung/startseite/ Mehr Informationen zur Würzburger Fanforschung