Der schnelle Weg digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) in die Praxis
Zur Erstattungsfähigkeit von DiGA sind positive Versorgungseffekte nachzuweisen. Neue Kategorien der Gesundheitsversorgung erfordern u. U. neue Methoden des „Wirksamkeitsnachweises“, da DiGA oft fortlaufend weiterentwickelt werden. Zum Nachweis positiver Versorgungseffekte haben die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Akzeptanz der Patient*innen zentrale Bedeutung. DiGA konkurrieren mit Angeboten großer Internetkonzerne. Der Nachweis der Effekte muss mit an den digitalen Charakter der Anwendung angepassten Methoden erbracht werden und die Lebenswirklichkeit der Verordner und Nutzenden widerspiegeln.
Gemäß dem digitalen Versorgungsgesetz (DVG) ist eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) ein Medizinprodukt, dessen Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und das dazu bestimmt ist, bei den Patient*innen oder in der Versorgung durch Leistungserbringende die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen.
DiGA werden nach der Europäischen Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation (MDR) Medizinprodukte der Klassen I oder IIa sein (Abb. 1).
Bisher gibt es keinen spezifischen Weg, DiGA in die Regelversorgung zu überführen. Die Regelungen für Heil- und Hilfsmittel sind nicht ohne Weiteres übertragbar. Das Tempo, mit dem es gelingen soll, DiGA in die Patientenversorgung einzubinden, ist rasant. Der Markt der DiGA wächst schnell und verändert sich kontinuierlich. Deutschland hat darüber hinaus digitalen Entwicklungsbedarf. Deshalb ist das schnelle Tempo zu begrüßen. Nach dem Referentenentwurf des digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) im Mai 2019 erfolgte bereits im November 2019 die 2. und 3. Lesung im Bundestag. Der Bundesrat stimmte am 29. November zu, am 19. Dezember 2019 trat das DVG in Kraft. Die Rechtsverordnung zur Umsetzung des DVG soll am 31. März 2020 in Kraft treten. Ab Mai 2020 ist das Verfahren zur Aufnahme in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen von DiGA beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) möglich.
Herstellende können ab Mai 2020 beim BfArM kostenpflichtig den Antrag auf Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis beantragen. Bei Antragsstellung muss zum einen die Erfüllung der allgemeinen Anforderungen zur Sicherheit, Qualität, Funktionstauglichkeit, Datensicherheit und zum Datenschutz nachgewiesen werden. Zum anderen sind erste Daten zum Nachweis positiver Versorgungseffekte vorzulegen. Das BfArM prüft das jeweilige Produkt und entscheidet innerhalb von 3 Monaten über die Aufnahme in das Verzeichnis. Ist der Nachweis positiver Versorgungseffekte ausreichend, kann die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis erfolgen. Sind die Nachweise unzureichend, z.B. weil nur Daten aus einer Pilotstudie vorliegen, kann die vorläufige Aufnahme erfolgen. Dann haben die Antragstellenden 12 Monate Zeit, Daten zu erheben und einzureichen.
Die ersten 12 Monaten in der Regelversorgung gelten als Erprobung, eine einmalige Verlängerung der Erprobung um weitere 12 Monate ist bei entsprechender Begründung möglich. Die DiGA kann bei vorliegender Indikation auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden. In der Erprobungsphase legt der Hersteller den Preis fest. Nach Ablauf der Erprobungsphase muss der Preis mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) verhandelt werden. Kommt es zu keiner Einigung kann eine Schiedsstelle angerufen werden.
Positive Versorgungeffekte
Es werden zwei Kategorien positiver Versorgungeffekte definiert: Der medizinische Nutzen sowie patientenrelevante Verfahrens- und Strukturverbesserungen in der Versorgung. Beispiele für den medizinischen Nutzen sind Verbesserung des Gesundheitszustandes, Verbesserung der Lebensqualität, Verkürzung der Krankheitsdauer oder Verlängerung des Überlebens. Verfahrens- und Strukturverbesserungen sind z.B. Reduktion krankheitsbedingter Belastungen, verbesserte Koordination der Behandlungsabläufe, verbesserte Adhärenz, verbesserter Zugang zur Versorgung, gesteigerte Gesundheitskompetenz.
Wie kann der Nachweis positiver Versorgungseffekte gelingen?
Der Nachweis positiver Versorgungseffekte soll mittels vergleichender Studien erbracht werden, welche belegen sollen, dass die Intervention gegenüber der Nichtanwendung der Digitalen Gesundheitsanwendung überlegen ist. Welche Studienkonzepte dies sind, wird im Leitfaden des BfArM konkretisiert werden.
Neue Kategorien der Gesundheitsversorgung erfordern u.U. neue Methoden des „Wirksamkeitsnachweises“. Es erscheint fraglich, dass die aus der evidenzbasierten Medizin bekannten Methoden in gleicher Weise auf DiGA übertragen werden können. Während ein Arzneimittel über einen langen Zeitraum entwickelt, getestet und schließlich zugelassen wird, erfolgt im Falle der DiGA die Entwicklung und Weiterentwicklung während der laufenden Anwendung. DiGA sind schnelllebig. Technische Weiterentwicklungen erfordern u.U. schnelle Anpassungen der DiGA an die verwendeten Geräte, um die Funktionsfähigkeit sicher zu stellen. Neue Versionen einer Software beinhalten oft Veränderungen oder Ergänzungen, die Einfluss auf Art und Umfang der Funktion einer DiGA haben können. D.h. wir brauchen Studienansätze, die über RCTs, welche zeitaufwendig und im laufenden Prozess unflexibel sind, hinausgehen. Dies könnten Real-World-Evidence-Daten, z.B. in Cluster-randomisierten Populationen, pragmatische Studien u.a. sein, die neben der klinischen Expertise, die (Lebens-)Umstände und die Präferenzen der Patient*innen mit einbeziehen.
Komplex ist auch der Nachweis der Verfahrens- und Strukturverbesserung. Der Nutzennachweis einer DiGA, die die Behandlungsabläufe zwischen Arzt/Ärztin und Patient*innen koordiniert, ist anders zu erbringen als der Nutzennachweis eines Tagebuches mit Spracheingabe und Erinnerung an die Medikation. Hier kann z.B. auf Methoden der Versorgungsforschung, der Epidemiologie, u.a. zurückgegriffen werden. Zu berücksichtigen ist bei alledem, dass Patient*innen die DiGA anwenden und von dieser profitieren sollen. D.h. die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Akzeptanz der Patient*innen haben zentrale Bedeutung. Erfolg oder Misserfolg einer DiGA sind an die Mitarbeit der Patient*innen gekoppelt. DiGA machen nur Sinn, wenn Patient*innen diese nutzen.
Erstattungsfähige, geprüfte DiGA stehen in Konkurrenz zum unüberschaubaren Angebot der großen Internetkonzerne. Wenn online erhältliche DiGA die Wünsche und Bedürfnisse der Patient*innen erfüllen, werden sie diese kaufen und anwenden. Die Gefahr besteht, dass „Dr. Google“ Teile der Behandlung übernimmt, wenn der Zugang zu DiGA über unsere Sozialversicherungssysteme zu hohe Hürden hat. Von den Internetkonzernen wurden und werden auch in der Zukunft kostenlose DiGA angeboten, die von gezielter Werbung finanziert werden. Hier besteht eine erhebliche Gefahr, dass die medizinische Diagnostik und Therapie in eine Schieflage geraten. Deshalb müssen Patient*innen über den Wert der in das Verzeichnis eingetragenen DiGA auch im Vergleich zu ungeprüften Internetangeboten informiert werden.
Der Nachweis der positiven Versorgungseffekte sowie fehlende negative Effekte für DiGA, die Teil der Regelversorgung sind, muss erbracht werden, um zu vermeiden, dass Geld der Sozialversicherungssysteme ohne Nutzen ausgegeben wird. Andererseits ist zu fordern, dass der Nachweis mit an den digitalen Charakter der Anwendung angepassten Methoden erbracht wird, die die Lebenswirklichkeit der Verordner und Nutzenden widerspiegeln.