Die Bewältigung der Pandemie braucht die aktive Mitarbeit der Versorgungsforschung
Berlin, 16.04.2020. Die COVID-19 Pandemie hat zu einer mittlerweile weltweiten Krise in vielen gesellschaftlichen Bereichen geführt. Die politischen Entscheidungsträger müssen darüber befinden, wie Grundrechte, Gesundheitsschutz, wirtschaftliches Risiko etc. gegeneinander abzuwägen sind und in dieser akuten Krise auch zeitnah Entscheidungen auf der Grundlage von fehlender und oder geringer Evidenz treffen. Es ist wichtig, diese Entscheidungsprozesse transparent darzustellen und den Bürger*innen alle grundlegenden Informationen zur Verfügung zu stellen, auch um sie offen und sachlich in der Gesellschaft zu diskutieren.
Zurzeit gibt es oftmals keine evidenzbasierte Antwort auf die Frage wie in der COVID-19 Krise „richtig“ gehandelt und entschieden werden kann Viele der aktuellen Fragestellungen sind daher noch „unentscheidbare Fragen“ (Heinz von Foerster in „Fragen, Ethik, Philosophie, Politik“, 2015)..
Die Aufgabe der Politiker*innen ist es gemeinsam mit den Expert*innen unterschiedlichster
Fachgebiete Lösungen für diese Frage zu finden, dann zu entscheiden und dafür die Verantwortung zu übernehmen.
Das Deutsche Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) sieht in dieser Situation zwei zentrale Aufgaben für die Versorgung und Versorgungsforschung.
Zum ersten müssen wir den Verantwortlichen in vielen Bereichen (Politik, Medizin,
Gesundheitsämter etc.) aktuelle Unterstützung und Lösungen anbieten, die helfen, Entscheidungen so fundiert wie möglich treffen zu können. Das DNVF verfügt über besonderes methodisches Wissen zur Nutzung versorgungsnaher Daten, um die Auswirkungen von medizinischen Interventionen zu evaluieren und Empfehlungen abzuleiten. Wir möchten hier als Beispiel das Projekt „COVID-19 - Frühwarnsystem für die Sicherstellung einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung in Sachsen“ des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) der TU Dresden nennen. Das DNVF weist in diesem Zusammenhang auf Projekte der Versorgungsforscher*innen zu COVID-19 auf seiner Webseite https://www.netzwerk-versorgungsforschung.de hin.
Wenn sich die Lage entspannt, ist die Versorgungsforschung außerdem gefragt, an Konzepten mitzuarbeiten, wie die Gesundheitsversorgung organisiert und strukturiert sein muss, um zukünftig besser auf Krisen vorbereitet zu sein. Eine zentrale Aufgabe ist dabei die prospektive oder retrospektive Analyse der COVID-Versorgung in aller Vielfalt ihrer Fragestellungen. Dies betrifft die direkte Versorgungssituation, die Gesundheitsökonomie, die Patientensicherheit, die Gesundheitskompetenz, die Patientenbeteiligung, Fragen der psychischen und seelischen Gesundheit, den Informationsfluss, die Bedarfsplanung, und natürlich die Versorgungsstrukturen und deren Organisation. Ganz speziell werden wir uns mit der Frage beschäftigen, wie in Krisenzeiten, also in Zeiten der Ungewissheit, evidenzbasiertes Handeln gefördert werden kann.
Zentrale Fragen aus der Sicht der Versorgungsforschung, die vereinfacht danach fragt, wer was, wann, wie, warum, mit welchen Effekten macht, sind vor allem:
- Welche Institutionen, welche Ausstattung und welches Personal stehen wo zur Verfügung, um alle Erkrankten mit allen Schutzmaßnahmen angemessen zu behandeln?
- Wie beeinflussen Kontextfaktoren (gesundheitspolitischer und organisationaler Natur sowie auf der Ebene von Patient*innen/Behandler*innen) die Anpassungsfähigkeit an die
Versorgungslage sowie die Qualität der Versorgung?
- Welche Folgen hat die Umsteuerung auf die Versorgung von COVID-19-Patient*innen für die Kliniken und für Patient*innen mit anderen Erkrankungen z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs und vorgesehenen elektiven Eingriffen kurz- und mittelfristig? Kommt es zu „Unter- und Fehlversorgung“ von Patient*innen, die der Versorgung fernbleiben müssen?
- Welche Vorkehrungen müssen getroffen werden, um den Präventions- und
Versorgungsbedarf der Nicht-Corona-Patient*innen adäquat zu decken?
- Welche prospektive Vorbereitung müssen Gesundheitsanbieter für Katastrophen
(Epidemien, Naturereignisse, Krieg) vorhalten?
Das DNVF wird aktiv daran mitarbeiten, einen Weg durch die Corona-Krise zu finden und bietet Entscheider*innen seine Unterstützung an, auch in der Frage,wie die Versorgung anderer Krankheitsbilder (z.B. elektive OPs, Herzinfarkte, Diabetes) mit der Versorgung der COVID-19 Patient*innen zusammen betrachtet und in ein gutes Gleichgewicht gebracht werden kann. Das DNVF wird mit seinen Mitgliedern sowie seinen Arbeits- und Fachgruppen Konzepte entwickeln, damit das Gesundheitswesen und die Gesellschaft besser auf ähnliche Krisen vorbereitet ist und gleichzeitig die Qualität der Gesundheitsversorgung gewährleistet wird und bezahlbar bleibt.
Das Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e.V. (DNVF)
Der gemeinnützige Verein Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e.V. (DNVF) wurde am 02. Mai 2006 von 26 medizinischen, pflegerischen als auch gesundheitswissen-schaftlichen Fachgesellschaften gegründet. Das DNVF ist ein interdisziplinäres Netzwerk, das allen Institutionen und Arbeitsgruppen offensteht, die mit der Sicherung der Gesundheits- und Krankenversorgung unter wissenschaftlichen, praktischen oder gesundheitspolitischen Gesichtspunkten befasst sind. Das DNVF hat es sich zum Ziel
gesetzt, die an der Versorgungsforschung im Gesundheitswesen beteiligten Wissenschaftler*innen zu vernetzen, Wissenschaft und Versorgungspraxis zusammenzuführen sowie die Versorgungsforschung insgesamt zu fördern.
https://www.netzwerk-versorgungsforschung.de
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Vorsitzende DNVF
Dr. Thomas Bierbaum, Geschäftsführer DNVF