Warum trifft die Corona-Krise Beitragszahler stärker als Rentner?
Warum trifft die Corona-Krise die Beitragszahler stärker als die Rentner - profitieren Rentner gar finanziell von der Krise? Auf Grund mehrerer Faktoren sind Rentner finanziell weniger stark von der Corona-Krise betroffen als die Erwerbstätigen. Paradoxerweise werden Rentner sogar durch die Effekte der Krise langfristig bessergestellt. Dies hat unterschiedliche Gründe, die erläutert werden.
Rentenanpassungen treten immer ein bis zwei Jahre zeitversetzt ein. Deshalb werden Rentner im Corona-Jahr 2020 eine Rentenerhöhung erhalten, die durch die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre bedingt ist. Die Renten steigen also zum 1. Juli 2020 um 3,45 Prozent (Westdeutschland) bzw. um 4,20 Prozent (neue Bundesländer) (1). Krisenbedingte Lohnverluste der Beitragszahler treten hingegen unmittelbar ein: So stieg die Zahl der Arbeitslosen, sowie die der Kurzarbeiter im März/April 2020 historisch stark an. In diesen Monaten wurde laut der Bundesagentur für Arbeit für 10,1 Millionen Menschen in Deutschland Kurzarbeit angezeigt – ein Rekordwert. Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich im April 2020 um 308.000 Menschen im Vergleich zum Vormonat; dies sind 415.000 Menschen mehr im Vergleich zum April 2019 (2). Die Bundesagentur für Arbeit kommt zu der Einschätzung, die “(…) Corona-Pandemie dürfte in Deutschland zur schwersten Rezession in der Nachkriegsgeschichte führen.“ (3)
Durch das Sinken der Lohneinkünfte aufgrund der unmittelbaren Effekte der Krise auf den Arbeitsmarkt wird das Sicherungsniveau der Renten deutlich ansteigen, je stärker die Rezession ausfallen wird. Das bedeutet, dass sich das prozentuale Verhältnis von Lohn (Durchschnittsentgelt) zu (Standard)Rente in Richtung 50 Prozent oder sogar darüber bewegen wird (Vgl.: MEA Discussion Paper 11-2020, Abb. 6, S.12). Grundsätzlich ist dieser Effekt in der Rentenversicherung bekannt und nur insofern problematisch, als steigende Renten bei stagnierenden oder gar fallenden Löhnen und Gehältern in der Gesellschaft zu Unverständnis führen können. Nichtsdestotrotz sind diese Rentensteigerungen fair in dem Sinne, dass es den Rentnern zusteht, an der positiven Entwicklung der Vorjahre teilzuhaben, wenn auch mit Verspätung und zu einem unglücklichen Augenblick.
Hinzu kommt, dass das Sicherungsniveau sich im weiteren Verlauf der Krise und insbesondere in den Jahren nach der hoffentlich bald überstandenen Krise normalerweise wieder an das Lohnniveau anpassen würde. Die zukünftigen Anpassungen der Renten an die nun krisenbedingt stagnierenden oder gar negativen Lohnentwicklungen würden die Renten eigentlich mit der gleichen Verzögerung stagnieren oder gar fallen lassen. Allerdings gibt es eine 2005 eingeführte Regelung im deutschen Rentenrecht, die ein Absinken des Rentenwertes verhindert: die Rentengarantie. Das bedeutet, dass die Renten zwar stagnieren können und nicht mehr steigen, aber Rentner keine Verluste, wie die Beitragszahler durch gesunkene Lohneinkünfte in den Jahren zuvor, verschmerzen müssen. Die Renten können also nicht sinken, eine oder zwei Nullrunden für die Rentner sind aber durchaus denkbar.
Diese Rentengarantie kam bereits nach der Finanzkrise 2008 zum Tragen und schützte damals die Rentner. Damit aber alle Generationen denselben Beitrag zur Abfederung der Krise leisten, wurde diese Absicherung der Rentner mit dem sogenannten Nachholfaktor in den Folgejahren wieder ausgeglichen. Das heißt, die Rentensteigerungen, gekoppelt an die Lohnentwicklung, fielen durch den Nachholfaktor geringer aus, um das Gleichgewicht zwischen Alt und Jung wiederherzustellen. So leisteten die Rentner einen auf mehrere Jahre verteilten Beitrag zur Bewältigung der Krise und der durch die Krise zunächst positive Effekt auf das Sicherungsniveau wurde langfristig wieder abgebaut.
Zwischenfazit: Rentner werden also im Corona-Jahr eine Rentenerhöhung erhalten und auch in den Folgejahren keine Kürzungen wegen der Krise befürchten müssen. Hohe Rentensteigerungen sind in der absehbaren Zukunft aber unwahrscheinlich.
Hier kommen wir nun zu der Frage, ob die Rentner sogar finanziell von der Krise profitieren:
Nach der Krise ist zu erwarten, dass die Löhne wieder ansteigen werden. Davon werden die Rentner – ebenfalls wieder zeitversetzt um ein bis zwei Jahre – profitieren. Neu ist nun, dass die Bundesregierung mit dem Rentenpakt 2018 und der Einführung der „doppelten Haltelinie“ den Nachholfaktor bis 2025 ausgesetzt hat. Damit werden die Rentner also voll am „Aufschwung“ beteiligt, obwohl sie beim „Abschwung“ keine negativen Einbußen hatten. Der Nachholfaktor wird zwar gemäß geltendem Gesetz nach 2025 wieder eingeführt. Dies ist jedoch zu spät, um die nachzuholende Abmilderung der Rentensteigerungen vor 2025 zu berücksichtigen. Das in diesem Sinne „zu hohe“ Sicherungsniveau bleibt nach überwundener Krise also permanent bestehen.
Daher ist zu erwarten, dass die Rentner weniger an Kaufkraft verlieren als die Beitragszahler. Absolut werden die Rentner also nicht von der Krise profitieren, relativ zu den Arbeitnehmern aber schon.
Durch die bis 2025 gültige doppelte Haltelinie wird übrigens auch der Anstieg des Beitragssatzes (aktuell 18,6%) bei 20% gedeckelt. Infolgedessen muss aber ab 2021 mit höheren Bundesmitteln für die gesetzliche Rentenversicherung gerechnet werden. Außer bei einer relativ milden bzw. kurzen Rezession wird schon 2021 die Haltelinie von 20% erreicht, was ohne die Corona-Krise erst 2025 eingetreten wäre. In der Konsequenz müssen die Bundeszuschüsse um bis zu 5 Milliarden Euro bereits im nächsten Jahr (2021) und bis zu 19 Milliarden Euro im Jahr 2025 erhöht werden.
Diese Steuermittel müssten von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, also sowohl von den Rentnern als auch der jüngeren Generation. Wie genau die Gewichte verteilt werden, hängt von der Finanzierung des Bundeshaushalts ab. Der erhöhte Finanzbedarf könnte durch eine Erhöhung der Einkommensteuer, der Verbrauchssteuern oder einer Mischung verschiedener Steuerarten gedeckt werden. Durch die Einkommenssteuer werden nach Einführung der nachgelagerten Besteuerung sowohl Rentner als auch Erwerbstätige erfasst; Rentner allerdings auch langfristig in deutlich geringerem Umfang. Der zweite große Einnahmeblock des Bundeshaushalts ist die Mehrwertsteuer. Auch diese dürfte die ältere Generation weniger belasten als die jüngere, da die Konsumausgaben der jüngeren Generation in der Regel höher sind. Auch in dieser Hinsicht wirkt sich die Krise asymmetrisch, d.h. tendenziell zugunsten der Rentner und zulasten der jüngeren Generation aus.
(1) Information der Deutschen Rentenversicherung vom 20.03.2020 (https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Meldungen/2020/200320_rentenanpassung_2020.html)
(2) Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt, Arbeitsmarkt kompakt, Bundesagentur für Arbeit, April 2020, S. 6ff.
(3) Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Blickpunkt Arbeitsmarkt, Bundesagentur für Arbeit, April 2020.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. h.c. Axel Börsch-Supan, Ph. D.
Originalpublikation:
Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes: "Corona und Rente", MEA Discussion Paper 11-2020
Link: www.mpisoc.mpg.de/sozialpolitik-mea/publikationen/detail/publication/corona-und-rente/
Weitere Informationen:
https://www.mpisoc.mpg.de/newsroom/meldungen/detail/announce/forschungsarbeiten-zur-corona-pandemie/
https://www.mpisoc.mpg.de/newsroom/meldungen/detail/announce/corona-pandemie-belastet-beitragszahler-deutlich-staerker-als-rentner-mehrkosten-auch-fuer-den-bund/