Coronavirus-Pandemie: Vertrauensforscher spricht über gesellschaftlichen Zusammenhalt
Vertrauensforscher Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer von der Universität Vechta spricht über gesellschaftlichen Zusammenhalt, Verschwörungstheorien und Politik in Zeiten der Coronavirus-Pandemie
Was bedeutet die Corona-Krise für die Menschen aus Sicht eines Vertrauensforschers?
Die Corona-Krise bringt unweigerlich eine Vielfalt von Ungewissheiten mit sich, sie führt zu teils erheblichen Sorgen und Ängsten. Obwohl die konkreten gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise die Menschen unterschiedlich hart treffen, so sind wir doch alle mit einer für uns völlig neuen Herausforderung konfrontiert, deren Ausmaß und weitere Entwicklung selbst die Epidemiologie nicht hundertprozentig vorhersagen kann. Vertrauen in die Mitmenschen, die Wissenschaft und die Politik ist daher gleichermaßen fragil und dringlich, denn Vertrauen gibt uns im Umgang mit Risiken die erforderliche Sicherheit, uns in die Hand anderer begeben zu können, dabei baut es sich stets schrittweise auf gemachten Erfahrungen auf - dies auch in Krisenzeiten.
Warum gewinnen gerade die an der Regierung beteiligten Parteien an Vertrauen?
In Zeiten der Bedrohung und der Unsicherheit setzt die Bevölkerung auf das Bewährte, im Kontext der Politik sind das allen voran die Bundeskanzlerin und prominente Vertreter*innen des Regierungshandelns, die unter den gegenwärtigen Umständen auch medial besonders stark her-vorstechen können. So hat sich laut ARD-Deutschland-TREND bspw. die Zufriedenheit mit den Politikern Jens Spahn, Olaf Scholz und Markus Söder deutlich gesteigert. Dass von dem Vertrauensgewinn der kleinere Koalitionspartner insgesamt weniger profitieren kann, ist meines Erachtens der Tatsache geschuldet, dass erfolgreiches Regierungshandeln verstärkt dem größeren Partner und der Bundeskanzlerin ad personam zugeschrieben wird.
Warum gibt es nun mutmaßlich vermehrt Verschwörungstheorien?
Die besorgniserregenden Trends zu Verschwörungstheorien, nicht selten einhergehend mit extremen Einstellungen, sind schon seit Längerem zu beobachten. Dass Verschwörungstheorien in der aktuellen Situation an Bedeutung gewinnen, kann zunächst als Zeichen einer starken Verunsicherung und einem damit verbundenen mangelnden Vertrauen einiger Bevölkerungsgruppen gelesen werden. Diese besondere Lage wird von den Verfechter*innen der Verschwörungsszenarien gezielt genutzt, vermutlich in dem Glauben, dass gerade in bedrohlichen Zeiten eine hohe Offenheit für ihre Weltdeutungen besteht, sie verbreiten diese dementsprechend offensiv - in der Regel verbunden mit der (unausgesprochenen) Frage, wer von der derzeitigen Krise am meisten profitiert. Eine aktuelle Umfrage der Organisation „Wissenschaft im Dialog“ zeigt nun, dass die Bevölkerungsmehrheit vor allem vertrauensvoll auf die Wissenschaft setzt. Dabei halten ca. zwei Drittel der Befragten sogar unsichere Befundlagen der Forschung erstaunlich gut aus und betrachten wissenschaftliche Kontroversen als hilfreich auf dem Wege der Pandemiebekämpfung. Vertrauen fördert nämlich die Offenheit und Bereitschaft, sich mit komplexen Themen wie der Pandemie kritisch auseinanderzusetzen, eine gewisse Ruhe zu bewahren und sich nicht vorschnell von einfachen Antworten einfangen zu lassen.
Rückt eine Gesellschaft in Krisenzeiten näher zusammen oder wird Egoismus und Rücksichtslosigkeit gefördert?
Eine Krise eröffnet beiden Facetten eine Chance, da in den als bedrohlich erlebten Zeiten dominante Facetten der Persönlichkeitsstruktur und des erworbenen Wertekanons deutlicher zutage treten. Insofern kann der Versuch, „angemessen“ mit der Krise umzugehen, die Suche nach Unterstützung über Solidarität sein oder aber das egoistisch orientierte Voranstellen des eigenen Wohlergehens.
Welche Intentionen stecken hinter Hamsterkäufen?
Die Hamsterkäufe sind zunächst kein neuartiges Phänomen, man konnte ganz ähnliche Szenen bereits im Zuge der Spanischen Grippe oder etwa beim SARS-Ausbruch 2003 beobachten. In allen Fällen entspringen Hamsterkäufe der Sorge um eine ungewisse Zukunft, dies zum Teil verbunden mit der wahrgenommenen Gefährdung der eigenen Person resp. nahestehender Menschen. In jedem Fall steht dahinter der Versuch, durch das eigene Handeln Kontrolle über die Bedrohung wiederherzustellen. Hierbei spielt erneut das Vertrauen in die Gemeinschaft eine wichtige Rolle; sofern nämlich verstärkt auf Solidarität und Rücksichtnahme gesetzt wird, werden Hamsterkäufe umso unwahrscheinlicher.
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