Ist die Elektronik, so wie wir sie kennen, am Ende? Magnetische Kristallschichten für den Computer von Morgen
Der Einsatz moderner elektronischer Schaltkreise für immer leistungsfähigere Rechentechnik und mobile Endgeräte stößt durch die zunehmende Miniaturisierung in der Halbleiterelektronik an seine physikalischen Grenzen, da sich die verwendeten Nanostrukturen durch den elektrischen Stromfluss stark aufheizen. Diesem Problem könnte durch innovative Konzepte unter Nutzung von maßgeschneiderten Spinwellen anstelle bewegter elektrischer Ladungen begegnet werden. Aufgrund der somit wegfallenden Reibungsverluste würde diese zu einer deutlichen Reduzierung der Wärmeentwicklung in den Bauelementen führen.
Jenaer Materialwissenschaftler aus dem Forschungsinstitut INNOVENT e.V. liefern das Basismaterial für „Nature“ –Artikel
Weltweit werden geeignete Materialien und Bauelementstrukturen für die Informationsverarbeitung von Morgen entwickelt und getestet. Hier engagieren sich auch Materialwissenschaftler von INNOVENT und entwickeln nanometerdünne epitaktische Schichten, die als Basismaterial für Spinwellen-Baulemente eingesetzt werden können.
Die physikalischen Konzepte und Experimente, die in den aktuellen „Nature“-Artikeln [1,2] beschrieben werden, wurden von renommierten Wissenschaftlern verschiedener Universitäten geplant und durchgeführt. Beteiligte Einrichtungen sind z.B. die Technische Universität Kaiserslautern, die Universität Wien, die Universität von Colorado (USA), die Oakland Universität (USA) sowie die Eidgenössische Polytechnische Hochschule Lausanne (Schweiz). Das Material jedoch, dass diese für die Umsetzung ihrer Ideen einsetzten, stammt von INNOVENT aus Jena, was zu einer Koautorenschaft in den genannten Artikeln führte. Es handelt sich hierbei um nanometerdünne Seltenerd-Eisengranat-Schichten (siehe Abbildung). Diese werden mittels einer speziellen Beschichtungstechnologie – der Flüssigphasenepitaxie – hergestellt. Die hohe kristalline und magnetische Perfektion der besagten Schichten definiert bzw. übertrifft den aktuellen Stand der Technik [3].
Spezielle Materialkombinationen sorgen für überraschende Ergebnisse
Auf Basis dieser Schichten und darauf aufgebrachter Nano- bzw. Mikrostrukturen war es möglich, grundlegende physikalische Effekte zu demonstrieren bzw. zu untersuchen, sowie Prototypen neuartiger Mikrowellenbauelemente zu entwickeln. In dem kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „NATURE NANOTECHNOLOGY“ erschienen Artikel „Bose-Einstein condensation of quasiparticles by rapid cooling“ [1] konnte gezeigt werden, dass eine Bose-Einstein-Kondensation nicht nur bei extrem niedrigen Temperaturen nahe des absoluten Nullpunktes sondern auch bei Raumtemperatur und ohne die Injektion von zusätzlichen Teilchen realisiert werden kann. Hierzu bedarf es einer geeigneten Materialkombination unter Einsatz perfekter Eisengranat-Schichten, einer einfachen Nanostruktur und einer geeigneten Induktionstechnologie. In einem weiteren Beitrag in der Fachzeitschrift „NATURE COMMUNICATIONS“ [2] konnte demonstriert werden, dass es mit konventionellen, Mikrowellenantennen möglich ist, Spinwellen mit Wellenlängen im Nanometerbereich zu erzeugen. Das war bisher nur mit speziellen Anregungstechniken oder Arrays von periodisch angeordneten Nanostreifen möglich. Auch hier war eine geeignete Materialkombination aus perfekter Epitaxieschicht und modifizierter Antennenstruktur der ausschlaggebende Faktor um zu demonstrieren, dass technisch realisierbare Wellenlängenkonverter für Spinwellen schon heute herstellbar sind. Richtkopplerstrukturen, die kürzlich von der TU Kaiserslautern entwickelt wurden, sind weitere intelligente Mikrowellenbauelemente. Diese könnten eine Vielzahl von herkömmlichen Transistoren in der Halbleitertechnologie ersetzen, da wesentlich weniger Bauelemente pro Rechenoperation benötigt werden. Ein hierzu vorab publiziertes Manuskript [4] demonstriert einen voll funktionstüchtigen nanoskaligen Spinwellen-Richtkoppler auf Basis von Eisengranat-Schichten, der primär für Anwendungen mit niedrigem Energieverbrauch einsetzbar ist. Das eröffnet neue Wege für integrierte magnetische Schaltkreise, mit denen Daten ohne Nutzung von elektrischen Strömen prozessierbar sind [5].
Bei INNOVENT gezüchtete Einkristalle ermöglichen neue Einblicke
Neben den nanometerdünnen, epitaktischen Eisengranat-Schichten werden bei INNOVENT auch magnetische Einkristalle gezüchtet, die ebenfalls für Fragestellungen in der Grundlagenforschung sowie für zukünftige Anwendungen interessant sind. So konnte eines der letzten Kapitel bei der Erforschung des wohl bekanntesten technischen Granates, dem Yttrium-Eisen-Granat (YIG), mit Hilfe eines bei INNOVENT gezüchteten Einkristalls und dem Einsatz der Neutronenbeugung abgeschlossen werden. In dem im NATURE-Partner-Journal „npj Quantum Materials“ erschienen Artikel „The full magnon spectrum of yttrium iron garnet“ [6] wurde das vollständige und bisher detailreichste Magnonenspektrum von Yttrium-Eisengranat präsentiert und die Unzulänglichkeiten bisheriger Modelle beseitigt. Weiterhin konnte in einer Veröffentlichung in dem NATURE Open-Access Journal „Scientific Reports“ [7] erstmals der experimentelle Nachweis einer reziproke Beziehung zwischen dem Spin-Peltier- und dem Spin-Seebeck-Effekt für eine YIG-Einkristall-Scheibe erbracht werden, was für eine zukünftige Optimierung von miniaturisierten Peltier-Kühlern von Interesse sein könnte.
Aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit mit den verschiedensten Forschungsinstituten und deren Bedarf an perfektem Einkristallmaterial wird auch weiterhin die Materialentwicklung einkristalliner magnetischer Materialien im Fokus der Entwicklungen bei INNOVENT stehen. Parallel wird an einer Skalierung der Probendimensionen gearbeitet, um die Materialbasis für eine effiziente Schaltkreisfertigung im Wafermaßstab bereitstellen zu können.
Über INNOVENT
Die Industrieforschungseinrichtung INNOVENT e.V. analysiert, forscht und entwickelt seit über 25 Jahren in den Bereichen Oberflächentechnik, Primer und chemische Oberflächen, Magnetische und Optische Systeme, Biomaterialen und Analytik. Das Institut aus Jena beschäftigt etwa 130 Mitarbeiter, leitet verschiedene Netzwerke und führt bundesweit Fachtagungen durch. INNOVENT ist Gründungsmitglied der Deutschen Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
INNOVENT e.V. Technologienentwicklung Jena
Dr. Bernd Grünler
Prüssingstraße 27B
07745 Jena
E-Mail: bg@innovent-jena.de
Originalpublikation:
[1] Michael Schneider et al., https://doi.org/10.1038/s41565-020-0671-z
[2] Ping Che et al., https://doi.org/10.1038/s41467-020-15265-1
[3] Carsten Dubs et al., https://doi.org/10.1103/PhysRevMaterials.4.024416
[4] Qui Wang et al., https://arxiv.org/abs/1910.08801
[5] Andrii V. Chumak et al., https://doi.org/10.1038/nphys3347
[6] Andrew J. Princep et al., https://doi.org/10.1038/s41535-017-0067-y
[7] Alessandro Sola et al., https://doi.org/10.1038/s41598-019-38687-4
Korrekturen
05.06.2020 10:43
Autor der Meldung:
Dr. Carsten Dubs
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
INNOVENT e.V. Technologienentwicklung Jena
R. Holzhey
Prüssingstraße 27B
07745 Jena
E-Mail: rh2@innovent-jena.de
Originalpublikation:
[4] Qi Wang et al., https://arxiv.org/abs/1905.12353