24 Fachgesellschaften fordern wissensbasierte und faire Regeln für Öffnung der Gesellschaft
München, 18. Juni 2020 - Die Pandemie ist nicht vorbei, aber ein großer Teil der
Bevölkerung sehnt sich nach Normalität – und in vielen Teilen der Gesellschaft kehrt sie
auch wieder zurück: Thüringen beendet die Kontaktbegrenzungen, Schleswig-Holstein
ermöglicht Urlaube und andere Bundesländer öffnen in unterschiedlichem Ausmaß
Kneipen, Theater, Sportvereine und Schulen. Wie das wissensbasiert und fair gelingen
kann, haben Wissenschaftler*innen aus 24 Fachgesellschaften, die gemeinsam im
Kompetenznetz Public Health zu COVID-19 arbeiten, zusammengefasst.
Im Frühjahr lag das öffentliche Leben brach: Die Eindämmung des neuartigen Coronavirus und der Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung waren das oberste Gebot. Die drastischen Maßnahmen hatten für die Bevölkerung erhebliche Konsequenzen, besonders für die Menschen, die ohnehin schon sozial benachteiligt sind. Nun gehen die Infektionszahlen zurück und die Bundesländer heben nach und nach die Beschränkungen wieder auf. Sie legen dabei ein unterschiedliches Tempo vor. Das stellt Deutschland vor neue Herausforderungen. Eine Vielfalt an unterschiedlichen regionalen Regeln birgt die Gefahr einer Verwirrung, aber auch einer sinkenden Akzeptanz für einzelne, sinnvolle Maßnahmen („in der Nachbarstadt darf man aber schon“). „Die Bürger auf diesem Weg mitzunehmen, die Erfolge der letzten Monate bei der Bekämpfung der Pandemie zu sichern und solidarisches Verhalten zu stärken - das sind die Anforderungen der Stunde“, fordert Prof. Dr. med. Eva Bitzer vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention und Mitglied des Kompetenznetz Public Health zu COVID-19.
Geteilte Verantwortung braucht klare Kommunikation
„Das Zusammenleben in der Pandemie funktioniert auch jetzt nur, wenn alle – von staatlichen Behörden über die Firmenleiterin und den Vermieter bis zu den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern – Verantwortung dafür übernehmen. Und zwar, indem sie ihren Teil dazu beitragen, die Mitmenschen vor Infektionen zu schützen“, ergänzt Prof. Dr. Ansgar Gerhardus, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Public Health und Mitglied der Koordinierungsgruppe im Kompetenznetz Public Health zu COVID-19.
Vor allem drei Dinge fordert das Kompetenznetz Public Health zu COVID-19 von den politisch Verantwortlichen, damit dies gelingen kann:
1. Ein gemeinsames, wissenschaftlich begründetes Vorgehen der Bundesländer zu COVID-19, bei dem die Maßnahmen zum Infektionsschutz immer wieder nachvollziehbar gegen deren Folgeschäden abgewogen werden.
2. Eine transparente Begründung von regional unterschiedlichen Vorgehensweisen, um dem Eindruck von Beliebigkeit entgegenzuwirken und die hohe Motivation der Bürgerinnen und Bürgern zu unterstützen.
3. Eine klare, wertschätzende und ermutigende Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern und einen klaren Appell an die gemeinsame Verantwortung.
Die größte Herausforderung: Soziale Ungleichheit
Auf einen drängenden Missstand macht das Kompetenznetz aufmerksam, für den es keine schnelle Lösung gibt: Viele Menschen leben oder arbeiten derzeit unter Bedingungen, die es ihnen unmöglich machen, sich und andere vor Infektionen zu schützen. Sie müssen auf engem Raum zusammenleben, oder sie müssen trotz Krankheit oder unzureichend geschützt arbeiten. Dies betrifft vor allem vulnerable Bevölkerungsgruppen. „Die Forderungen nach geteilter Verantwortung, Kommunikation und Kompetenzerwerb richten wenig aus, solange unsere Gesellschaft und die politisch Verantwortlichen solche Rahmenbedingungen akzeptieren und nicht grundsätzlich ändern“, fügt Corinna Schaefer an, Vorsitzende des Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz und ebenfalls Mitglied im Kompetenznetz Public Health zu COVID-19.
Mehr Informationen:
Die Stellungnahme im Wortlaut: Stellungnahme von 24 Fachgesellschaften aus dem Kompetenz zu COVID-19, im Anhang.
Das Kompetenznetz Public Health zu COVID-19: www.public-health-covid19.de
Handlungsempfehlungen und Policy Briefs des Kompetenznetzes:
www.public-health-covid19.de/ergebnisse
Das Kompetenznetz Public Health zu COVID-19 ist ein Ad hoc-Zusammenschluss von wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Verbänden aus dem Bereich Public Health, die hier ihre methodische, epidemiologische, statistische, sozialwissenschaftliche sowie (bevölkerungs-) medizinische Fachkenntnis bündeln. Gemeinsam vertritt es mehrere Tausend Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ziel ist es, schnell sowie flexibel interdisziplinäre Expertise zu COVID-19 für die aktuelle Diskussion und Entscheidungsfindung zur Verfügung zu stellen. Dafür werden wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengestellt, aufbereitet und in möglichst leicht verständlicher Form verbreitet. Je nach Thema und Zielgruppe nutzen wir unterschiedliche Formate, wie z.B. Policy Briefs, Hintergrundpapiere oder Handreichungen. Mehr als 25 Papiere wurden bereits veröffentlicht.
Ansprechparter*innen für diese Stellungnahme:
Prof. Ansgar Gerhardus (Deutsche Gesellschaft für Public Health)
Universität Bremen
Tel: +49(0)421-218 688 00
E-Mail: ansgar.gerhardus@uni-bremen.de
Prof. Eva Bitzer (Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention)
Pädagogische Hochschule Freiburg
Tel: +49 (0)761 682 142
E-Mail: evamaria.bitzer@ph-freiburg.de
Corinna Schaefer, M.A. (Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz)
Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin
Tel: +49(0)30 4005 2501
E-Mail: Schaefer@azq.de